#Afghanistan: Mit dem Tripod bei den Taliban

13. August 2025 • Internationales, Top • von

Afghanistan hat sich trotz der schwierigen politischen und humanitären Situation zu einem beliebten Ziel für Reiseinfluencer:innen entwickelt. Doch wie wirken sich Inhalte aus dem Land aus, in dem die islamistischen Taliban sich um internationale Anerkennung bemühen?

Bildquelle: Pexel

Ein junger Mann mit Sonnenbrille steckt den Kopf aus einem Autodach, Wind weht ihm durchs Haar, im Hintergrund liegen schneebedeckte Berge. „This is what it´s like to travel Taliban controlled Afghanistan as an American”, erzählt seine Stimme aus dem Off. So fühle es sich an, das von den Taliban kontrollierte Afghanistan als Amerikaner zu bereisen. Der junge Mann heißt Ben Herskowitz, und er ist Reiseinfluencer. Auf seinem Instagram-Profil @benbookstheworld postet er Fotos und Reels für seine über 62 000 Follower:innen. Sie begleiten ihn auf seinen Reisen durch Tunesien, Portugal, den Iran – und Afghanistan.

Über die Autoreise von der Hauptstadt Kabul ins afghanische Hochland nach Bamiyan sagt er, dass die Straße früher extrem gefährlich gewesen sei und viele Entführungen und Überfälle stattfanden. Das sei jetzt anders: Seit die Taliban erneut die Kontrolle über das Land übernommen haben, sei die Straße sicher. Herskowitz zeigt den Check-In ins Hotel und beschreibt die wunderschöne Aussicht auf die Buddha-Statuen von Bamiyan. Besser gesagt: auf das, was von ihnen übrig ist.

Es geht um dieselben Buddha-Statuen, die 2001 von den radikal-islamistischen Taliban endgültig zerstört wurden, in einem Akt, den die UNESCO als „Verbrechen gegen die Kultur“ bezeichnete. Symbolisch stand er für die Ablehnung jeder anderen religiösen Orientierung als dem Islam. Solcher Kontext findet sich nicht im Reel von Herskowitz.

Wenige Monate nach der Zerstörung der Buddhas wurde das Taliban-Regime im Oktober 2001 gestürzt. Die politische Lage in Afghanistan blieb instabil. 2021 gelang es der Gruppe, erneut die Kontrolle über das Land zu erlangen. Seitdem leben die Bürger:innen Afghanistans unter zunehmend repressiven Bedingungen. Besonders Frauen und Mädchen werden verbannt. Für sie ist der Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und dem öffentlichen Leben massiv eingeschränkt. Im Juli 2025 erließ der Internationale Strafgerichtshof mehrere Haftbefehle gegen Anführer der Taliban wegen der Unterdrückung von Frauen in Land. Der Vorwurf: Verfolgung aufgrund des Geschlechts, und somit Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Afghanistan erfreut sich wachsender Beliebtheit bei Reiseinfluencer:innen

Trotzdem ist Ben Herskowitz bei weitem nicht der Einzige, der das Land bereist und seine Erfahrungen online teilt. Unter dem Hashtag #afghanistantravel finden sich auf Instagram Hunderte von Videos, in denen mehr oder weniger bekannte Influencer:innen ihre Reiseerfahrungen teilen. „Your sign to take that girl´s trip to Afghanistan”, lautet der Text, oder “Money will return but you will never be in Afghanistan playing in the snow with the Taliban again”.

Auch deutsche Reiseinfluencer:innen hat es in den letzten Jahren nach Afghanistan gezogen. Zu ihnen gehören zum Beispiel Valerie Kraus, die als @journeyious auf Instagram über 370 000 Follower:innen hat, und Daniel Großhans, @thegreathans auf Instagram. Ihn verfolgen dort über 200 000 Menschen.

2024 haben beide gemeinsam ein Reel aufgenommen. Großhans interviewt Kraus. Es geht um die Behauptungen von Follower:innen, er habe nur allein durch das Land reisen können, weil er ein Mann sei. Valerie soll diese These widerlegen. Es werden Fotos von ihr in afghanischer Kleidung eingeblendet, lachend auf einem Basar. Am Ende des Videos fragt er Valerie nach Rat für Frauen, die gerne auch eine Reise wie ihre unternehmen würden, aber sich nicht trauen. „Fucking do it“, sagt sie und lächelt breit in die Kamera. „Ich lasse mir nicht von irgendwelchen Männern vorschreiben, was ich sehen darf und was nicht.“ Nur dass die Taliban für die afghanischen Frauen kaum „irgendwelche Männer“ sind, und sie harte Konsequenzen spüren, wenn sie sich von ihnen „nichts vorschreiben“ lassen. Hier wird die große Kluft zwischen den Erfahrungen der Influencer:innen und denen der Bürger:innen Afghanistans deutlich.

Im Rahmen seiner Fahrradweltreise bereiste Daniel Großhans das Land ebenfalls im Jahr 2024. Nach seiner Reise postete er ein Reel auf seinem Instagram-Profil. Der Titel: Die Wahrheit über Afghanistan. Großhans beschreibt Afghanistan als ein Land, dass sich „kulturell und politisch extrem stark“ von westlichen Vorstellungen unterscheidet. Er spricht über Armut und die Situation der afghanischen Frauen, die völlig vom öffentlichen Leben ausgeschlossen sind. Das Leben der Menschen beschreibt er als „extrem hart“, Meinungsfreiheit oder Demokratie gäbe es keine. Die Taliban erwähnt er nie namentlich. Dann folgt das große „Trotzdem“: Alle seine Begegnungen in Afghanistan seien positiv verlaufen, die Menschen seien extrem gastfreundlich und strahlten „hohe Lebensfreude“ aus. „Ich will euch vor allem von diesen positiven Seiten des Landes erzählen, von denen wir alle nichts wissen (…)“, schließt Großhans das Reel ab. „Ein Land ist nicht nur schwarz oder weiß, die Politik spiegelt nicht die Gesellschaft wider.“

Damit scheint er beim Kern dessen angekommen zu sein, was Reiseinfluencer:innen ihrer eigenen Aussage nach mit dem Content aus Afghanistan erreichen wollen: Das ungesehene Bild eines Landes zeichnen, das in den Medien meistens nur im Kontext mit Menschenrechtsverletzungen und Krieg vorkommt. Aber wem nützt diese Darstellung letztendlich?

Afghanistan steckt in einer humanitären und wirtschaftlichen Krise. Nach Daten der Vereinten Nationen haben 75% der Gesamtbevölkerung Schwierigkeiten, ihre täglichen Bedürfnisse zu decken, Tendenz steigend. Laut dem Europäischen Rat ist die Hälfte der Menschen im Land auf humanitäre Hilfe angewiesen. Auch die Arbeitsverbote für Frauen verschärfen die wirtschaftliche Lage weiter. Nur sieben Prozent der afghanischen Frauen haben 2024 noch außerhalb ihres Haushaltes gearbeitet. Wird die Tourismusbranche angekurbelt, etwa durch Content von Blogger:innen, kann dies auch der Bevölkerung vor Ort helfen, die schon lange unter den instabilen Verhältnissen leidet. Die völlige Isolation des Landes kann die Lage für diese Menschen weiter verschlimmern.

Inhalte bergen die Gefahr der Verharmlosung

Dr. Kefa Hamidi von der Universität Leipzig sieht die Arbeit der Influencer:innen trotzdem aus mehreren Gründen sehr kritisch. Hamidi forscht unter anderem zu Mediensystemen in fragilen Staaten und hat sich auch mit Afghanistan beschäftigt. Auch ihm ist aufgefallen, dass sich das Land zu einem beliebten Ziel für Reiseblogger:innen entwickelt hat. Er kritisiert, dass Influencer:innen trotz der aktuellen Situation weiter einreisen, um Aufmerksamkeit für ihre Inhalte zu generieren und damit Geld zu verdienen: „Für die YouTuber spielt keine Rolle, was da vor Ort geschieht, dass dieses Regime die Hälfte der Gesellschaft, also Frauen eingesperrt  hat.“ Außerdem würden die Inhalte häufig aus einer sehr westlich geprägten Perspektive erstellt und Stereotype reproduzieren. „Die Menschen vor Ort erscheinen, ähnlich wie die Landschaft, oft nur als Kulisse oder Objekt der Darstellung. Ihre Gastfreundschaft wird zwar positiv hervorgehoben, bleibt jedoch in klischeebehafteten Zuschreibungen verhaftet. Dadurch werden auch in diesem Kontext koloniale Bilder fortgeschrieben..“

Vor allem aber meint Hamidi, dass die Bilder atemberaubender Landschaften, bunter Basare und freundlicher Taliban die Situation vor Ort verharmlosen und beschönigen. Das große Risiko: eine schrittweise Legitimation des Taliban-Regimes. Eine Annäherung an die Gruppe konnte teilweise bereits beobachtet werden: Im Juli 2025 erkannte Russland als erstes Land der Welt die Taliban an. Die deutsche Regierung sorgte für Kritik aus den eigenen Reihen, als sie mit Vertretern der Taliban über Abschiebeflüge nach Afghanistan verhandelte, obwohl Deutschland das Regime nicht völkerrechtlich anerkennt. Der Status als legitime Regierung würde den Taliban eine Reihe neuer Möglichkeiten im Bezug auf Handel und Diplomatie eröffnen und gleichzeitig ihre Ideologie anerkennen.

Die Taliban erkennen das Potenzial sozialer Medien

Die Gruppe hat ihren Umgang mit Medien zwischen den zwei Machtperioden merklich verändert. In der Zeit von 1996 bis 2001 setzten die Taliban vor allem auf rigorose Medienkontrolle durch Zensur. Die Medienlandschaft wurde eingestampft, es blieben nur wenige, kontrollierte Medien übrig, etwa der Radiosender Voice of Sharia. Dieser sendete hauptsächlich religiöses Programm. Obwohl auch die zweite Herrschaft der Taliban die Vielfalt der afghanischen Medienlandschaft stark beeinträchtigt und Pressefreiheit praktisch nicht existiert, hat sich die Beziehung der Taliban zu Medienkommunikation seit 2021 verändert. „Sie nutzen Medien sehr bewusst und professionell und instrumentalisieren sie“, sagt Dr. Hamidi. Das gilt vor allem für soziale Medien. Die Gruppe habe mittlerweile sogar eigene Influencer innerhalb des Landes und Unterstützer außerhalb des Landes.

Hamidi glaubt, dass die Taliban mittlerweile auch das Potenzial in den Inhalten von Reiseinfluencer:innen erkannt haben und diese Inhalte unterstützen, um ihre Legitimität nach außen hin zu untermauern: „Dies trägt zur Konstruktion eines positiven Images der Taliban bei. Ziel ist es, den Eindruck zu vermitteln, dass sie keine gewaltsame und terroristische Organisation sind, sondern „normale“ Mitglieder der Gesellschaft. Diese Selbstdarstellung ist Teil eines strategischen Image-Managements und Framings, das gezielt auf westliche Öffentlichkeiten ausgerichtet ist..“

Aus einer Instagram-Story von Daniel Großhans kurz nach seiner Reise geht hervor, dass er sich durchaus darüber im Klaren war, dass die Taliban auch ein Auge auf Reiseinfluencer:innen haben. In dem Post geht er auf Nachrichten seiner Follower:innen ein, die ihn zu Beginn seiner Reise erreicht haben: Viele hätten sich mit Nachfragen zur Situation der Frauen in Afghanistan bei ihm gemeldet, und mit der Aufforderung, zum Thema Stellung zu beziehen. Großhans kommentiert, er fände es schade, dass so wenig Leute verstanden hätten, dass Meinungsfreiheit in Afghanistan praktisch nicht existiere und es dementsprechend sehr gefährlich für ihn gewesen wäre, sich zu dem Thema zu äußern. Dann: „Die Taliban sind nette Leute, aber die verstehen eher kein Heckmeck und können durchaus unberechenbar handeln.“ Egal gewesen sei ihm die Situation der afghanischen Frauen natürlich nicht.

Der Versuch, authentische Eindrücke aus einem angeblich misrepräsentierten Land zu vermitteln, kollidiert hier mit der Realität: Authentizität stößt dort an ihre Grenzen, wo sie Kritik beinhalten müsste. Unschwer lässt sich das auch am Zustand der Pressefreiheit im Land erkennen: Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Afghanistan zurzeit Platz 175 von 180. Die Medienvielfalt ist unter den Taliban erneut stark zurückgegangen, Journalist:innen haben mit Zensur und Bedrohungen zu kämpfen. Viele internationale Medien haben ihre Auslandskorrespondent:innen abgezogen. Afghanistan gilt als eines der gefährlichsten Länder für Journalist:innen überhaupt.

Vorsicht im medialen Umgang mit den Taliban

In den Inhalten von Reiseinfluencer:innen wie Großhans und Kraus finden sich zwar Versuche einer Einordnung in diesen Kontext. Großhans´ Video Die Wahrheit über Afghanistan ist ein Beispiel dafür. Auch Valerie Kraus räumt in ihren Erfahrungsberichten ein, dass sie als weibliche Reisende gegenüber einheimischen Frauen sehr privilegiert sei. Die Frage, inwieweit sie sich über die potenziellen Auswirkungen ihrer Inhalte bewusst sind und sich für diese verantwortlich sehen, bleibt trotzdem oft unbeantwortet. Für diesen Artikel wurden deshalb alle namentlich erwähnten Reiseblogger:innen kontaktiert. Kraus musste ein Interview wegen der schwierigen Erreichbarkeit auf Reisen ablehnen. Großhans wolle sich zu dem Thema nicht mehr äußern, teilte sein Management mit. In der Vergangenheit hatte er dies noch getan, zum Beispiel im Gespräch mit der Wiener Zeitung. Die zitierte ihn 2024 so: „Ich bin lediglich ein männlicher, westlicher Reisender, der seine Erlebnisse einfach genauso gezeigt hat, wie sie im Land passiert sind.“ Dass er als Reisender ganz anders behandelt würde, und dementsprechend kein realistisches Bild zeichnen könne, wisse er. Trotzdem: „Was jeder Zuschauer hieraus für sich lernt, ist jedem selbst überlassen. Ich will darüber nicht werten.“

Eine wirklich differenzierte Darstellung der afghanischen Situation scheint ohne Selbstgefährdung kaum möglich. Die Narrative bleiben also kontrolliert. Ist solcher kontrollierter Content trotzdem besser als keiner? Die Diskussion darum kann man am Beispiel des embedded journalism verfolgen. Dabei werden Kriegsberichterstatter:innen einer Militäreinheit zugewiesen, unter deren Schutz, aber auch Beobachtung, sie aus Krisengebieten berichten können. Dies erlaubt Einblicke, die sonst ganz unmöglich wären. Gleichzeitig ist die Perspektive stark eingeschränkt und von einer Kriegspartei kontrolliert. Eine solche Berichterstattung kann einen großen informationellen Mehrwert haben, sollte im Idealfall aber hohen Standards unterliegen: Die Rolle des Berichterstattenden als embedded journalist muss transparent behandelt werden, die gesammelten Erkenntnisse müssen der besonderen Situation entsprechend reflektiert werden, Worte müssen mit Bedacht gewählt werden.

Auch beim Beispiel Afghanistan erscheinen diese Standards mit Hinblick auf die Medienstrategie der Taliban wichtig. Ob die Inhalte von Reiseinfluencer:innen ihnen insgesamt (schon) entsprechen, ist fraglich.

 

Quellen:

https://www.wienerzeitung.at/a/bei-den-taliban-ich-hatte-eine-unglaublich-tolle-zeit

https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/influencer-syrien-afghanistan-100.html

https://www.bbc.com/news/articles/cv223yvnp9mo

https://www.dw.com/de/20-jahre-nach-der-sprengung-der-buddha-statuen-von-bamiyan/g-56751347

https://news.un.org/en/story/2025/04/1162841

https://apnews.com/article/afghanistan-tourism-growth-taliban-919a6a6b3714908603e7388f5312dcc9

https://www.tagesschau.de/ausland/asien/russland-afghanistan-taliban-100.html

https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/afghanistan-node/bilateral-204680

https://www.dw.com/de/deutschland-schiebt-nach-afghanistan-ab-trotz-taliban-regime-alexander-dobrindt-merz-abschiebung-v3/a-73363992

Mettner, F. (2024). How do the Taliban use Social Media to promote its agenda and influence public opinion in Afghanistan?. Universität Leipzig Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft. https://mpsafg.com/howdothetalibanusesocialmediatopromoteitsagendaandinfluencepublicopinioninafghanistan/

Ghorzang, S. (2020). History of freedom of press and current barriers in Afghanistan. International Journal of Advanced Mass Communication and Journalism. 1(2).

Gesprächspartner:

Dr. Kefa Hamidi, Universität Leipzig

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