Was sind europäische Freiheiten wert? Der EMFA

8. August 2025 • Pressefreiheit, Top • von

Das Europäische Parlament in Straßburg. Foto: DJV

Immer mehr Regierungen und Politiker:innen in Europa verfolgen aktuell das Ziel, Journalist:innen mundtot zu machen. „Grundsätzlich geht es mit der Pressefreiheit bergab – auch in Deutschland“, sagt die EU-Abgeordnete Nela Riehl (Fraktion Die Grünen/EFA). Diesem Vorhaben tritt der European Media Freedom Act (EMFA) entgegen, der am 08. August vollständig in Kraft tritt (wir berichteten:1; 2). Ein Überblick über eine Woche der Freiheit(en) und Schlagabtausche im Europäischen Parlament.

Dieser Beitrag ist bei einem Besuch des Europäischen Parlaments im Rahmen der Jahrestagung der Kommission Europa und Internationales des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) entstanden. Die Kommission traf sich vom 07.-10. Juli 2025 in Straßburg. Der Autor ist Mitglied der Kommission.

Bei der Durchsicht der Tagesordnung für die Plenarwoche zeigt sich schnell: Es geht um Grundrechte. Denk- und Meinungsfreiheit im Analogen wie im Digitalen, die Rechte von Minderheiten und die Freiheit der Presse und Medien: All diese Aspekte wird das EU-Parlament in diesen Tagen debattieren – teils mit deutlich erhitzten Gemütern. Zu Beginn ist davon noch wenig zu spüren. Der Großteil der Abgeordneten verlässt zunächst den zuvor fast vollbesetzten Plenarsaal, nachdem die EU-Vertreter:innen über eine Resolution zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Nachkriegszeit in Slowenien abgestimmt haben. Für den anstehenden Austausch zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz (European Media Freedom Act – EMFA) scheinen sich hingegen nur vereinzelte Abgeordnete zu interessieren. Steht die Medien- und Pressefreiheit etwa nicht mehr auf der Prioritätenliste des EU-Parlaments? Die folgende Debatte zumindest zeigt: In dem Gesetz steckt nach wie vor Zündstoff.


Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg vor und nach der Aussprache zum EMFA. Fotos: Richard Brandt

Kurz zusammengefasst: Der European Media Freedom Act soll Medienschaffende vor politischer Einflussnahme und Ausspähung schützen sowie den Medienpluralismus in Europa fördern. Das Besondere: Der EMFA ist keine Richtlinie, sondern eine Verordnung. Das Gesetz gilt somit unmittelbar und muss verpflichtend im Mediensektor umgesetzt werden. Geschieht dies nicht oder nur unzureichend, besteht die Möglichkeit, Mitgliedsländer zu verklagen. Auch säumige Regulierungsbehörden könnten so künftig zur Rechenschaft gezogen werden. Am 08. August tritt der EMFA vollständig in Kraft.

In der heutigen Sitzung soll es um den Stand der Umsetzung des Gesetzes in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten gehen. Dieser allerdings lässt in vielen Ländern zu wünschen übrig. Sabine Verheyen, Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der die deutschen Parteien CDU und CSU gehören, hat den EMFA maßgeblich verhandelt und beklagt: „Was wir jetzt sehen, ist ein bekanntes Muster. Der Gesetzentwurf wird gefeiert, aber wenn es um die Umsetzung geht, wird es plötzlich still. Dann reden wir über Ausnahmen, Übergangsfristen, nationale Befindlichkeiten, und ich sage ganz klar: Das reicht nicht!“ Beim European Media Freedom Act gehe es um das Fundament jeder freiheitlichen Demokratie: „Eine vielfältige, unabhängige und freie Medienlandschaft ist kein nice to have. Und ja, Medien dürfen unbequem sein, sie müssen es sogar. Eine Regierung, die damit nicht leben kann, stellt sich nicht gegen die Medien, sondern sie stellt sich gegen die Demokratie selbst.“

Was ist der European Media Freedom Act?

Das Europäische Parlament setzt sich fortwährend für Pressefreiheit und Medienpluralismus in der EU ein. In den Mitgliedstaaten allerdings gibt es zunehmend besorgniserregende Trends. Nach dem European Media Freedom Act sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Unabhängigkeit der Medien zu wahren und jede Form der Einmischung in redaktionelle Entscheidungen zu untersagen. Die Verordnung baut auf der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) auf und ist Teil des umfassenderen Europäischen Aktionsplans für Demokratie, der im Jahr 2020 gestartet wurde. Nach der Annahme durch das Parlament im Jahr 2023 traten der EMFA und die Anti-SLAPP-Richtlinie (Abkürzung für „strategic lawsuits against public participation“, zu Deutsch „strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“) im Mai 2024 in Kraft.

Die neuen Vorschriften sollen die politische Einmischung in redaktionelle Entscheidungen verhindern und die Eigentumsverhältnisse von Medienunternehmen transparent machen. Das Gesetz soll Journalist:innen davor schützen, ihre Quellen offenlegen zu müssen, und vor dem Einsatz von Spionageprogrammen gegen sie. Außerdem legt der European Media Freedom Act Anforderungen an Messsysteme für Einschaltquoten sowie an die transparente Vergabe staatlicher Werbung fest und soll Medieninhalte besser gegen die Entfernung von Online-Inhalten schützen.

Ab Juli 2025 befindet sich der EMFA in der letzten Phase seiner Einführung, die am 8. August 2025 abgeschlossen sein soll. Derzeit liegt der Schwerpunkt auf der Umsetzung des Gesetzes: Mitgliedstaaten, Regulierungsbehörden, Plattformen und Medienanbieter müssen den neuen rechtlichen Verpflichtungen nachkommen. Die Überwachung und Koordinierung übernimmt der neu eingerichtete Europäische Rat für Mediendienste, der nicht nur gewährleistet, dass der EMFA einheitlich in der gesamten Union durchgesetzt wird, sondern auch dessen Umsetzung zukünftig kontinuierlich überprüft. Er berät zudem die Europäische Kommission.

Die Kommission Europa und Internationales des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) trifft die Europaabgeordnete Sabine Verheyen (EVP). Foto: European Union 2025 – Source: EP

Der politische Wille, den freien, unabhängigen Journalismus zu schützen, fehlt allerdings in einigen Mitgliedstaaten. Das zeigt sich auch in den Redebeiträgen, insbesondere der rechten Fraktionen im Parlament. Zu diesen gehören die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die Patriots for Europe (PfE) sowie Europe of Sovereign Nations (ESN). Die Vertreter:innen dieser drei Fraktionen stellen den European Media Freedom Act grundsätzlich infrage. Sie sehen durch den EMFA die Denk- und Meinungsfreiheit in Europa bedroht, beklagen Zensur und eine überbordende Kontrolle seitens der europäischen Gesetzgebung. Der European Media Freedom Act habe nicht nur reale Auswirkungen auf Journalist:innen und ihre Arbeit, sondern auch auf jede EU-Bürgerin und jeden EU-Bürger. Mehrmals weisen die Politiker:innen der rechten Fraktionen deshalb darauf hin, dass es nicht um den Schutz der Journalist:innen vor staatlicher Einflussnahme gehen sollte, sondern um den Schutz der Bürger:innen vor den Journalist:innen.

Woher kommt diese teils offene Ablehnung des Gesetzes? Offenkundig spielen politische Überzeugungen der erstarkten Rechten im Parlament eine Rolle. Einen weiteren Grund sieht Sabine Verheyen in der Historie vieler Mitgliedsländer. Insbesondere in Osteuropa gebe es wenig Erfahrung mit einem unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Gerade in diesem Bereich sieht der EMFA zahlreiche Bestimmungen vor, die auf nationaler Ebene umgesetzt werden müssen. „Wir hätten mehr in die Bildung und Werteerziehung der Menschen in diesen Ländern investieren müssen Anfang der 1990er- und 2000er-Jahre. Doch das wurde versäumt. Jetzt müssen wir mit der aktuellen Situation umgehen.“ Darüber hinaus hätten noch immer mehr als 70 Prozent der EU-Mitgliedsländer keine offenen Register zu den Eigentümern von Medienunternehmen, ergänzt ihre Kollegin Diana Riba i Giner (Fraktion Die Grünen/EFA). Statt für mehr Transparenz zu sorgen, machten Mitgliedsländer wie die Slowakei und Ungarn aktuell eher Rückschritte in Sachen Medienfreiheit.

Darum brauche es klare Kontrollen und Verfahren gegen Mitgliedstaaten, die sich nicht an die gemeinsamen Regeln hielten. Bereits jetzt müsste es massenhaft Abmahnungen zum EMFA geben, äußert Verheyen in einem Hintergrundgespräch mit den Journalist:innen des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Auch zunächst positiv anmutende Schritte wie die Auflösung und Neubesetzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Polen unter der neuen proeuropäischen Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk seien nicht der richtige Weg: „So bricht man den Teufelskreis nicht.“

Die Delegation des DJV im Gespräch mit der Europaabgeordneten Nela Riehl (Die Grünen/Europäische Freie Allianz). Foto: DJV

Beim anschließenden Presse-Seminar zum EMFA sind viele Medienschaffende im Raum. Im Gegensatz zu einigen Abgeordneten ist die Bedeutung des European Media Freedom Act für sie greifbar. Europaweit sehen sich Journalist:innen zunehmendem politischen und ökonomischen Druck ausgesetzt, werden ausgespäht, überwacht, angegriffen und verklagt. Entsprechend fordert Nela Riehl im Hintergrundgespräch mit den DJV-Journalist:innen: „Journalistische Arbeit muss geschützt werden, damit diese wertgeschätzt und gut bezahlt bleibt.“ Und Sabine Verheyen stellt im Presse-Seminar klar: „Diese Gesetzgebung ist etwas völlig anderes als Zensur. Es ist genau das Gegenteil. Es bietet Journalisten ein geschütztes rechtliches Umfeld.“ Menschen könnten sich nur breit informieren, wenn der Medienpluralismus gestärkt werde. Zur Debatte im Parlament habe es vielen Abgeordneten aber an dem nötigen Wissen zum EMFA gefehlt. „Die Parlamentarier sollten die Gesetzgebung lesen und wissen, worum es in der Debatte wirklich geht.“ Und Riba i Giner bekräftigt: Freiheit bedeute nicht Abwesenheit von Regulierung. Regulierung werde aber von einigen Fraktionen als Unfreiheit übersetzt. Maja Sever, Präsidentin der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF), betont gleichfalls: „Der nächste Schritt muss darin bestehen, die ordnungsgemäße und proaktive Umsetzung des EMFA sicherzustellen, denn ohne Sanktionen ist dieses Dokument nur Worte auf Papier. Ein Großteil der derzeitigen Debatte im Parlament spiegelt einen beunruhigenden Mangel an Verständnis für den Journalismus und die Rolle der Journalisten wider.“

Die Mitglieder des DJV besuchen das Presse-Seminar zum EMFA nach der Anhörung im Plenarsaal. Foto: European Union 2025 – Source: EP

Die ungarische Journalistin Veronika Munk unterstreicht die Relevanz des European Media Freedom Act aus praktischer Sicht. In ihrem Land entschieden politische Kräfte, welche Medien zur Berichterstattung zugelassen würden und welche nicht. Der Erfolg des EMFA werde am Ende vom politischen Willen abhängen – dem Willen der Mitgliedstaaten, das Gesetz umzusetzen, sowie dem Willen der EU, potenzielle Verstöße gegen dieses Vorhaben zu ahnden. Zugleich warnt Riba i Giner davor, im European Media Freedom Act ein Allheilmittel für die vielfältigen Herausforderungen des Journalismus zu sehen. Der EMFA sei nur ein erster Schritt. Finanzierungsprobleme, der Verlust von Akzeptanz und Vertrauen in mediale Berichterstattung sowie die vielfältigen Einflüsse durch soziale Medien ließen sich nicht ohne Weiteres lösen.

Neben Facebook, Instagram und TikTok mit ihren Algorithmen fordern zunehmend Anwendungen künstlicher Intelligenz den unabhängigen Journalismus heraus. „Digital- und Medienkompetenz haben wir total verpasst“, bekundet Nela Riehl von der Fraktion der Grünen/EFA im EU-Parlament. Könnte eine europäische soziale Plattform hier eventuell Abhilfe schaffen? „Mit dem EMFA hat die EU die ihr zugestandenen Kompetenzen schon sehr weit ausgereizt“, sagt Sabine Verheyen von der EVP. Für eine eigene europäische soziale Plattform brauche es noch stärker Journalist:innen, die sich für eine solche einsetzten – und Kooperationen zwischen Medienunternehmen. Die EU unterstütze gerne, das Projekt müsse aber staatsfern erfolgen, um wiederum einer möglichen Einflussnahme von politischer Seite vorzubeugen. Viele Regierungen, zum Beispiel in Ungarn, hätten ein großes Interesse daran, direkt mit den etablierten Tech-Unternehmen zu verhandeln – um ihre Regierungspropaganda zu verbreiten, warnt die ungarische Journalistin Veronika Munk. In einem solchen Fall wäre der freie Journalismus wirklich in Gefahr.

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