
Bildquelle: Quelle: File:Nonbinary flag.svg – Wikimedia Commons
Mit dem Debütroman „Blutbuch” gewann Kim de l`Horizon 2022 sowohl den Deutschen als auch den Schweizer Buchpreis und erlangte damit große Aufmerksamkeit in den Medien. Kim de l`Horizon sowie die Erzählfigur des Romans identifizieren sich als nicht-binär – das bedeutet, dass sie ihre Identität außerhalb der binären Geschlechterordnung verorten und sich weder dem männlichen noch weiblichen Geschlecht eindeutig zugehörig fühlen (Pauli, 2024, S. 35). Während de l`Horizon in Blutbuch eine neue Sprache findet, die die geschlechtliche Markierung von Wörtern auf besondere Weise unsichtbar beziehungsweise sichtbar macht, zeigen sich viele Redaktionen deutscher Medien mit der Versprachlichung der Geschlechtsidentität in den Artikeln über die nicht-binäre Autorenperson überfordert.
Häufig greifen sie auf männliche oder weibliche Personenbezeichnungen und Pronomen zurück, um über Kim de l`Horizon zu berichten – obwohl bekannt ist, dass de l`Horizon dies ablehnt und stattdessen entweder ohne Pronomen oder mit den Neopronomen “dey/dem” angesprochen werden möchte.
Wie die Ergebnisse der vorliegenden Bachelorarbeit zeigen, werden nicht binäre Menschen wie Kim de l`Horizon oder ESC-Gewinner*in Nemo in der deutschsprachigen Berichterstattung häufig misgendert. Untersucht wurde, wie deutsche überregionale Tageszeitungen nicht-binäre Personen sprachlich darstellen und inwiefern dies den Prinzipien geschlechtergerechter Sprache sowie den Forderungen Betroffener entspricht.
Anlass der Forschung
Seit der Einführung der dritten Geschlechtsoption „divers” im Jahr 2018 sowie dem Selbstbestimmungsgesetz 2024 sind nicht-binäre Identitäten zunehmend in der medialen Berichterstattung und Öffentlichkeit sichtbar (Lind, 2022, S. 632). Mit Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes (SBG) am 1. November 2024 besteht für nicht-binäre, transgeschlechtliche und intergeschlechtliche Personen in Deutschland ein rechtlicher Anspruch auf die Anerkennung ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung (BmfSFJ, o.D). Auch immer mehr prominente Persönlichkeiten wie Sam Smith oder Demi Lovato machen durch ihr Coming-out als nicht-binär auf diese Identitäten aufmerksam.
Damit rückt auch die Frage in den Fokus, wie journalistische Medien nicht-binäre Personen sprachlich darstellen. Da die deutsche Sprache traditionell binär in männliche und weibliche Genusformen strukturiert ist, besteht für nicht-binäre Geschlechtsidentitäten bei Personenbezeichnungen und Pronomen eine Bezeichnungslücke, die die Abbildung in Texten erschwert (Diewald & Steinhauer, 2022, S.63). Redaktionen müssen dabei die Wünsche der Betroffenen respektieren, um Diskriminierung zu vermeiden und gleichzeitig den Lesefluss und die Verständlichkeit ihrer Texte gewährleisten (Reimann, 2020, S. 286; Wittwer, 2021). Zudem sind sie häufig an hausinterne Richtlinien zum Gendern gebunden, die ihre sprachlichen Möglichkeiten einschränken (ebd.).
Fehlerhafte Darstellungen wie das Misgendern von divers geschlechtlichen Personen können bei Betroffenen viel Leid auslösen, die ohnehin viel Energie aufwenden müssen, um ihr Umfeld über ihre Identität aufzuklären (Darwin, 2022, S. 52). Wie Pauli (2024) betont, ist die Entscheidung, ob Sprache genderinklusiv gestaltet wird, auch eine Entscheidung darüber, ob nicht-binäre Menschen in gesellschaftliche Strukturen einbezogen oder ausgeschlossen werden (S.35). Medienschaffende tragen hier eine besondere Verantwortung, da sie mit ihrer Sprache Reichweite erzeugen, Sichtbarkeit schaffen und Sprachwandel befördern oder entgegenwirken können (Simon, 2022, S. 19-20).
Forschungsmethode und Untersuchungsgegenstand
Die Bachelorarbeit untersucht mit einer quantitativen Inhaltsanalyse, wie nicht-binäre Personen in deutschen überregionalen Tageszeitungen dargestellt werden und inwieweit dabei Prinzipien geschlechtergerechter Sprache berücksichtigt werden. Analysiert wurden 61 Online-Artikel der taz, Süddeutschen Zeitung, Welt, FAZ und Bild zur Berichterstattung über die nicht-binären prominenten Personen Kim de l’Horizon und Nemo.
Zunächst wurde erfasst, wie häufig verschiedene sprachliche Mittel zur Markierung von Geschlechtsidentität verwendet werden, anschließend wurden die Ergebnisse anhand der Kriterien geschlechtergerechter Sprache überprüft. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Berichterstattung abhängig von der politischen Ausrichtung und der Haltung zu gendergerechter Sprache unterscheidet, da die Diskussion darüber meist eng mit gesellschaftlichen und politischen Polarisierungen verknüpft ist (Gasser und von Rath, 2024, S. 63). Daher werden die untersuchten Medien ihrer Ausrichtung nach in progressiv und konservativ eingeordnet. Mit den ausgewählten Medien ergibt sich eine ausgewogene Mischung aus zwei progressiv (taz, Süddeutsche Zeitung) und drei konservativ (FAZ, Bild, Welt) eingestellten Tageszeitungen.
Theoretisch stützt sich die Arbeit auf die Forschung zu geschlechtergerechter Sprache, ergänzt durch Michel Foucaults Diskurstheorie, Judith Butlers Konzept der Performativität von Geschlecht sowie die queere Linguistik, die die Wechselwirkung von Sprache und Wirklichkeit hervorheben.
Herausforderungen bei der Umsetzung geschlechtergerechter Sprache
Viele Menschen begegnen Versuchen, diskriminierende Sprachgewohnheiten zu verändern, mit Widerstand. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einige halten sprachliche Maßnahmen für irrelevant im Hinblick auf gesellschaftlichen Wandel, andere empfinden sie als Angriff auf bestehende Ordnungen oder als politische Instrumente (Diewald und Steinhauer, 2022, S.11-12). Diese Skepsis sowie die Vielzahl und Uneinheitlichkeit der Reformvorschläge erschweren eine konsequente Umsetzung in der Praxis (ebd.).
Hinzu kommen sprachliche Hürden: Während das Gendern bei Personenbezeichnungen im Plural gut funktioniert, wird es im Singular bei der Verwendung von Artikeln und dem Deklinieren kompliziert. So müssen bei ‚ die Autor*innen‘ im Singular der männliche Artikel der und der weibliche Artikel, die zusammengezogen werden, woraus ‚der*die Autor*in‘ entsteht (Genderleicht & Bildermächtig, 2024). Dem Rat für deutsche Rechtschreibung zufolge, führe diese Mehrfachnennung von Artikeln oder Pronomen (‚der*die Autor*in‘) zu grammatikalischen Folgeproblemen, die noch nicht geklärt werden konnten (Rat für deutsche Rechtschreibung und Institut für Deutsche Sprache, 2023). Deshalb wurden Wortbinnenzeichen, wie sie beim Gendern benutzt werden, bisher nicht in das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufgenommen und gelten somit nicht als Teil der offiziellen Orthografie (ebd.).
Weitere Sprachstrategien, wie der Verzicht auf Pronomen oder die Nennung des Namens anstelle von Pronomen sind für viele Menschen ungewohnt und gehen auch aufgrund der ständigen Wiederholung mit Unwohlsein einher (Darwin, 2022, S. 46). Während solche Praktiken sowie der Gebrauch von neuen Pronomen in der queeren Community verbreiteter sind, fehlt nicht betroffenen cisgeschlechtlichen Menschen häufig das Wissen um deren Bedeutung. Daher greifen sie oft auf die gewohnten binären Bezeichnungen zurück, was oft zu misgendern führt (Darwin, 2022, S. 45). Für Journalist*innen gilt dabei wie für alle Menschen, dass sie Fehler machen (Wollf et al. 2021, S.14). In den Redaktionen von Tageszeitungen fehlt es zusätzlich oft an Zeit, Geld oder dem Willen für sorgfältige Recherchen, die für eine korrekte Abbildung diverser Geschlechtsidentität bei mangelndem Vorwissen nötig sind.
Umsetzung von geschlechtergerechter Sprache in der Berichterstattung
Wie in der Gesellschaft insgesamt ist auch im Journalismus die Diskussion über konkrete Formen geschlechtergerechter Sprache von großer Uneinigkeit geprägt (Haeming, 2023). Manche Schreibende befürchten, dass gendergerechte Formulierungen die Lesbarkeit und Verständlichkeit beeinträchtigen könnten (Reimann, 2020, S. 286). Ein häufig vorgebrachtes Argument gegen den Einsatz von Sonderzeichen ist zudem deren eingeschränkte Barrierefreiheit: Viele Screenreader, die Menschen mit Sehbeeinträchtigung unterstützen sollen, können diese Zeichen nicht korrekt verarbeiten (Haeming, 2023). Auch die Internetsuche, die für die Reichweite journalistischer Beiträge wichtig ist, kann durch gegenderte Schreibweisen erschwert werden (Diewald und Steinhauer, 2022, S.130).
Blake und Klimmt kamen in einer Studie aus dem Jahr 2010 zu dem Ergebnis, dass eine Kombination aus Paarformen (Autoren und Autorinnen) und genusneutralen Begriffen (Schreibende) eine Möglichkeit bietet, gendergerechte Sprache in Nachrichtentexten einzusetzen, ohne dabei die Lesbarkeit stark zu beeinträchtigen (S.302). Allerdings berücksichtigen Paarformen ausschließlich weibliche und männliche Personen und blenden damit nicht-binäre Identitäten aus. Laut einer Umfrage des journalist (2021) achten knapp 70 Prozent der größten deutschen Medien darauf, das generische Maskulinum zu vermeiden Dabei gaben nur etwa die Hälfte der Zeitungen, Zeitschriften und Nachrichtenportale an, auf gendersensible Sprache zu achten (ebd.). Zwei Jahre später erklärten alle 22 befragten Redaktionen, die an einer Umfrage des Portals Übermedien teilnahmen, geschlechtergerechte Sprache in der Redaktion oder in Teilen der Redaktion zu nutzen (Haeming, 2023). Dabei setzen 73 Prozent der Redaktionen auf geschlechtsneutrale Formulierungen, während 41 Prozent Sonderzeichen oder Sprechpausen in audiovisuellen Medien uneingeschränkt akzeptieren (ebd.).
In der Gesamtbevölkerung stößt das Gendern hingegen häufig auf Ablehnung: Laut einer Umfrage von infratest dimap im Auftrag des WDR halten 41 Prozent der Befragten geschlechtersensible Sprache für „gar nicht wichtig”, weitere 21 Prozent für „weniger wichtig” (WDR, 2023). Olderdissen (2023) weist auf der Plattform Genderleicht & Bildermächtig darauf hin, dass für den Einsatz von Sonderzeichen in journalistischen Medien die Zielgruppe maßgeblich sei. So würden Mainstreammedien mit einer gemischten Zielgruppe Sonderzeichen üblicherweise komplett ablehnen, während junge Magazine mit queerfeministischer Ausrichtung den Genderstern ohne Bedenken einsetzen können (ebd.).
Geschlechtergerechte Sprache aus der Sicht nicht-binärer Personen
Aus der Perspektive nicht-binärer Personen hat geschlechtergerechte Sprache eine deutlich höhere Relevanz. Die Sichtweise der Betroffenen auf gendergerechte Sprache untersucht Ronja Löhr (2022) im Rahmen einer Online-Umfrage unter der entsprechenden Zielgruppe. Ein Großteil der 324 Befragten empfindet „den sprachlichen Einbezug nicht-binärer Genderidentitäten als sehr wichtig oder wichtig” (Löhr, 2023, S. 361). Besonders wichtig finden die Teilnehmenden ein Bemühen um geschlechtsneutrale Formulierungen (Löhr, 2022, S. 362-363). Dies spiegelt sich auch in der Befragung zur empfundenen Repräsentation durch Bezeichnungsvarianten wider: neutrale Formulierungen wurden insgesamt als besonders passend empfunden, gefolgt von Varianten mit Genderstern. Nennungen von sowohl weiblichen als auch männlichen Formen oder das Binnen-I werden dagegen am wenigsten als repräsentativ wahrgenommen (Löhr, 2022, S. 349). Die Wahl neutraler Bezeichnungen begründen viele Teilnehmende damit, dass Geschlecht als Kategorie und damit auch eine binäre Aufteilung in den Hintergrund rücken.
Für viele nicht-binäre Personen ist es herausfordernd, sich selbst zu bezeichnen. Da es an geeigneten Varianten, die in der breiten Öffentlichkeit bekannt sind, mangelt, kommt es oft zu der Nutzung traditioneller Formen, die mit Misgendern einhergehen (ebd.). Aus Angst vor negativen Reaktionen ihrer Gesprächspartner, vermeiden viele Befragte alternative Pronomen (Löhr, 2022, S.367). Eine Mehrheit von ihnen befürwortet außerdem die Einführung eines neuen Pronomens, wobei einige betonen, dass es schwierig sei, eine für alle geeignete Form zu finden (ebd.).
Im Rahmen geschlechtergerechter Sprache wird häufig betont, dass die Wünsche der von Diskriminierung Betroffenen wie nichtbinären Personen im Sprachgebrauch berücksichtigt werden sollen. So schreibt die AG Feministisch Sprachhandeln: „Die Personen, die → strukturell diskriminiert sind, befinden darüber, wie sie benannt werden wollen. Werde ich privilegiert in Bezug auf eine Diskriminierungsform, kann ich denen, die diskriminiert werden und darüber sprechen und schreiben, genau zuhören und sie als kompetente Ex_pertinnen ernst nehmen. Ich nehme mir dadurch Raum zum Lernen, anerkenne die Selbstbenennungen von diskriminiert positionierten Personen und nutze meine Irritation, die ich vielleicht habe, weil mir vieles neu und ungewohnt ist, meine Normalvorstellungen und Kommunikationsformen zu verändern.” (AG Feministisch Sprachhandeln, 2015, S.6). Welche Aspekte aus Sicht der Betroffenen konkret für Medienschaffende zu beachten sind, hat das Schweizer Portal nonbinary.ch in einem Medienguide zusammengetragen (Hübscher, 2016). Das Transgender Network Switzerland (TGNS) bietet ebenfalls eine Orientierungshilfe mit Beispielen und Formulierungshilfen für die Korrespondenz sowie Berichterstattung über nicht-binäre Personen (TGNS, 2023).
Repräsentation im Berufsfeld
Wie Io Görz (2022) in dem Artikel „Trans sein im Journalismus – geht das?” im Journalist berichtet, sind offen queere Menschen in deutschen Redaktionen eine Seltenheit und offen transgeschlechtliche Journalist*innen so gut wie nicht vertreten. Görz beklagt, dass die Sicht auf diverse Themen immer eine von außen bleibe, wenn marginalisierte Gruppen in Medienhäusern stark unterrepräsentiert sind. Die Unterrepräsentation von queeren Perspektiven in Redaktionen verdeutlicht, dass mediale Inhalte und Diskurse von gesellschaftlichen Machtverhältnissen geprägt sind.
Auswertung und Interpretation der Ergebnisse
Welche sprachlichen Mittel und Strategien verwenden deutsche Leitmedien bei der Darstellung nicht-binärer Personen?
Wie die Analyse zeigt, werden in der Berichterstattung über nicht-binäre Personen besonders häufig geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen verwendet. Sonderzeichen wie der Genderstern oder Doppelpunkt kommen hingegen selten zum Einsatz. Konservative Medien wie die Welt und Frankfurter Allgemeine Zeitung greifen diese Zeichen nur im Rahmen eines Zitats auf oder um die sprachliche Herausforderung beim Umgang mit nicht-binären Identitäten zu verdeutlichen. In progressiven Medien wie der taz wurde der Genderstern als Sonderzeichen von einem Autor benutzt, jedoch nicht konsistent oder in grammatikalisch falscher Form, was auf ein misslungenes Gendern mit Sonderzeichen hinweist.
Eine weitere zentrale Strategie ist der Verzicht auf Pronomen und das Verwenden des Namens der dargestellten Person anstelle von Pronomen. Dies kann helfen, Misgendern zu vermeiden, erfordert aber auch sprachliche Sensibilität, um Wiederholungen zu vermeiden. Neue, nicht-binäre Pronomen wurden nur einmal innerhalb der Stichprobe in Form von „dey” in einem Artikel der taz verwendet. Das Pronomen entspricht jedoch nicht dem Wunsch der abgebildeten Person Nemo, was auf einen mangelnden Abgleich mit den selbstgewählten Bezeichnungen der Betroffenen hinweist. Insgesamt wendeten 62% der untersuchten Artikel sprachliche Bezeichnungsformen konsequent an. Nur in wenigen Fällen wurden mehr als zwei neutrale Sprachstrategien verwendet. Besonders oft wurde dabei ein indirekter Personenbezug über das Werk über Verweise auf die Musik oder Literatur der Person hergestellt, um die direkte Benennung zu umgehen. Davon abgesehen wurden am häufigsten Sachbezeichnungen, neutrale Personenbezeichnungen sowie unpersönliche Passivkonstruktionen als Strategien eingesetzt.
Inwiefern orientieren sich die untersuchten Medien an bestehenden Leitfäden und theoretischen Prinzipien geschlechtergerechter Sprache?
Bei gendergerechter Sprache geht es um einen inklusiven und diskriminierungsfreien Sprachgebrauch, der die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten sichtbar macht und anerkennt (Schach, 2023, S. 265). Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse zeigen jedoch, dass mit 52% in über der Hälfte der untersuchten Artikel die dargestellten Personen falsch bezeichnet, also misgendert wurden. Dies steht im klaren Widerspruch zum Grundsatz einer gendergerechten Sprache.
Der geringe Anteil an nicht-binären und damit selbst betroffenen Personen in Redaktionen lässt darauf schließen, dass die meisten Berichterstattenden in der Stichprobe sich als Frau oder Mann innerhalb des binären Systems identifizieren und auf gewohnte männliche oder weibliche Bezeichnungen zurückgreifen (Görz, 2022; Darwin, 2022, S. 45-46). So wurden in 19 Artikeln männliche Pronomen, in zwei Artikeln weibliche Pronomen und in 23 Fällen geschlechtsspezifische Personenbezeichnungen im Zusammenhang mit den dargestellten nicht-binären Personen genutzt. Indem Berichterstattende diese Bezeichnungen verwenden, tragen sie innerhalb des Diskurses dazu bei, dass die binäre Geschlechterordnung aufrechterhalten wird (Pino und Edmonds, 2024, S.1243; vgl. Butler, 1991, Foucault, 1972, zitiert nach Pentzold, 2022).
Mit ihrer Sprache legen sie nach Butler (1991) den „Vorstellungshorizont fest“, in dem nicht-binäre Identitäten existieren können (S.10). Durch das häufige Misgendern verweigern sie eine Sichtbarmachung diverser Geschlechter außerhalb der institutionalisierten Heterosexualität (Butler, 1991, S.45). Gleichzeitig verfehlen sie den Anspruch geschlechtergerechter Sprache, geschlechtliche Vielfalt anzuerkennen und sichtbar zu machen (Schach, 2023, S.265). Somit ist festzustellen, dass Redaktionen in einem Großteil der Beiträge auf Formulierungen zurückgreifen, die die Wünsche der dargestellten nicht-binären Personen nicht berücksichtigen und nicht im Sinne gendergerechter und diskriminierungsfreier Sprache sind.
Die Erfahrung, mit falschen Pronomen und Personenbezeichnungen bezeichnet zu werden, wird von vielen Betroffenen als diskriminierend und psychisch belastend wahrgenommen (Darwin, 2022, S.6). Auch wenn in Redaktionen häufig Zeitdruck herrscht, sollten sich Berichterstattende bei Texten über nicht-binäre Personen der gewünschten Pronomen und ihrer Nutzungsweise vergewissern, auch wenn dies mit Schwierigkeiten beim Formulieren einhergeht, schreibt Olderdissen (2023) bei Genderleicht & Bildermächtig.
Von den insgesamt 45 Artikeln, die von progressiven Medien stammen, wurde in 13 Artikeln misgendert, was einem Anteil von ca. 28, 89% entspricht. Mit 18 von insgesamt 26 Artikeln fällt der Anteil der misgenderten Artikel in konservativen Medien höher aus. So wurde in fast 69,23% der Beiträge geschlechtsspezifische binäre Bezeichnungen verwendet, das heißt Misgendern tritt mehr als doppelt so häufig auf. Das Ergebnis bestätigt, dass Medien mit einer konservativen Haltung zu gesamtgesellschaftlichen und sprachlichen Normen, eher auf traditionelle binären Sprachstrukturen zurückgreifen, um diese aufrechtzuerhalten (Efing, 2024, S. 30). Dies entspricht auch den Einstellungen zum Gendern sowie dem Sprachgebrauch der Zielgruppe dieser Medien (ebd.). Gleichzeitig verfehlen auch die progressiven Medien taz und Süddeutsche Zeitung in fast 30% der Fälle ihren Anspruch, diskriminierungsfreie und achtsame Sprache zu nutzen (vgl. Wittwer, 2021).
Dies spiegelt die Erfahrungen nicht-binärer Menschen wider, die insgesamt durch falsche Annahmen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Geschlechtergeschichte sehr häufig mit unzutreffenden Bezeichnungen angesprochen werden (Robert Koch-Institut & Deutsche Aidshilfe, 2023, S. 48). Auch in progressiv ausgerichtete Redaktionen sind viele mit der Realität diverser Geschlechtsidentitäten aufgrund der eigenen Cis-Geschlechtlichkeit nicht familiär, sodass sie auf gewohnt binäre Bezeichnungen zurückgreifen (Darwin, 2022, S. 45; Görz, 2022).
Immerhin zeigt sich, dass sprachliche Bezeichnungen innerhalb der Artikel, wie in Medienguides empfohlen, überwiegend konsistent verwendet werden (Hübscher, 2016). Dennoch bleibt der Anteil eines inkonsistenten Sprachgebrauchs, in dem nicht-binäre und binäre Bezeichnungsformen gemischt werden mit 23 von 51 Beiträgen beachtlich hoch. Die Ergebnisse machen deutlich, dass Medien sich stark um eine einheitliche Sprache innerhalb der Artikel bemühen, sei es mit ausschließlich binären oder geschlechtergerechten Formulierungen, in nicht wenigen Fällen allerdings Schwierigkeiten bei der Umsetzung haben. Hier zeigt sich erneut, dass die Redaktionen im Umgang mit nicht-binären Personen noch ungeübt sind und bei der Vielzahl an Varianten große Unsicherheit besteht (Darwin, 2022, S. 45-46). Die Ungewissheit, was die Bezeichnungsformen angeht, drückt Mara Delius in einem Porträt über Kim de l’Horizon in der Welt aus:
„Gebietet es also allein schon der Anstand, eine Person, die sich als nonbinär versteht, auch nonbinär zu beschreiben, gerade weil die Person, ja, was eigentlich, ein Schriftsteller, Schriftstellerin, Schriftsteller:in, schreibende Person ist?“ (Mara Delius, 2023).
In diesem Zitat mit der Frage, wie nicht-binäre Personen zu beschreiben sind, werden geschlechtsneutrale und geschlechtsspezifische Bezeichnungen in einer Auflistung gemischt, wie es in vielen der analysierten Artikeln auch der Fall ist.
Positiv hervorzuheben ist, dass die Redaktionen durch die Thematisierung der nicht binären Identität von Nemo und Kim de l’Horizon in einem Großteil der Beiträge (80,33%) zu mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit beitragen.
Neutrale Sprachstrategien aus dem Repertoire gendergerechter Sprache kommen in der Berichterstattung bislang hingegen nur selten zum Einsatz. Redaktionen zeigen hier nicht die Vielfalt, die von Befürwortern geschlechtergerechter Sprache gefordert wird (Olderdissen, 2023). Auch nicht-binäre Pronomen, die innerhalb der betroffenen Community entwickelt wurden, finden bislang kaum Verwendung. Aufgrund der Vielzahl uneinheitlicher Vorschläge für Neopronomen, werden diese in Tageszeitungen, die auf die Verständlichkeit für ein breites Publikum angewiesen sind, momentan nicht genutzt (Darwin, 2022, S.45-47; Jánosi, 2024, S. 49).
Fazit
Die Inhaltsanalyse zeigt, dass deutsche Leitmedien bei der Darstellung nicht-binärer Personen vor allem auf geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen und den Verzicht auf Pronomen oder die Verwendung des Namens anstelle von Pronomen als sprachliche Strategie zurückgreifen, während Sonderzeichen kaum eingesetzt werden. Auch neue, nicht-binäre Pronomen spielen nahezu keine Rolle in der Berichterstattung, was auf einen zurückhaltenden Umgang mit innovativen gendergerechten Vorschlägen hinweist. Zwar werden Bezeichnungen innerhalb der Artikel meist konsistent verwendet, dennoch kommt es in über der Hälfte der Beiträge zu Misgendern, was den Prinzipien geschlechtergerechter Sprache widerspricht. Hier weisen konservative Medien größere Defizite auf als progressive. Zudem zeigen die Redaktionen bei der Verwendung von neutralen Sprachmethoden entgegen den Forderungen der geschlechtergerechten Sprache bisher wenig Kreativität. Insgesamt wird deutlich, dass die untersuchten Medien theoretische Ansätze und bestehende Leitfäden nur unzureichend umsetzen und teilweise unsicher mit der Versprachlichung nicht-binärer Personen umgehen.
Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, mangelt es auch in den Redaktionen bisher an konkreten und einheitlichen Strategien und Handlungsempfehlungen. Als Menschen mit viel Reichweite und diskursiver Macht, sind Journalist*innen aktiv an der Reproduktion und Stabilisierung bestehender binärer Geschlechtsidentitäten beteiligt, wenn sie die Prinzipien geschlechtergerechter Sprache und queerer Linguistik nicht berücksichtigen (vgl. Petzold 2022, 1973, Butler, 1991, Motschenbacher, 2012). Damit besteht weiterhin erheblicher Verbesserungsbedarf, um den Anspruch eines inklusiven und diskriminierungsfreien Sprachgebrauchs im Sinne gendergerechter Sprache einzulösen.
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Schlagwörter:Bachelorarbeit, geschlechtergerechte Sprache, Inhaltsanalyse, nicht-binär

