Die «Top 30»
Es ist ein seltener Glücksfall, dass zwei Herausgeberteams nahezu gleichzeitig dieselbe Marktnische erspäht haben: die Alphatiere im Medienbetrieb. Denn – Hand aufs Herz – wenn wir schon täglich einen Grossteil unserer Freizeit vor der Mattscheibe (und, zumindest manche von uns, noch immer mit Presseerzeugnissen) verbringen, dann möchten wir womöglich doch ein wenig mehr über diejenigen wissen, die dort den Ton angeben und die öffentliche Meinung prägen. Genug Anlass also, um jene ins Scheinwerferlicht zu rücken, die dieses üblicherweise auf andere richten.
Stephan Weichert und Christian Zabel identifizieren erst einmal die «Top 30», die sie für die Wortführer unter Deutschlands Medienmachern halten – eine willkürliche Auswahl, wie die beiden Herausgeber unumwunden konzedieren. Dass wir über diese Elite im Alltag eher wenig (und vor allem wenig Kritisches) erfahren, mag mit ihrem Job zu tun haben. So «sichtbar» sie auf den ersten Blick sein mögen, wirken sie doch zugleich zu einem erheblichen Anteil hinter den Kulissen. Gewiss sind aber in der sonst so geschwätzigen Branche auch viele gehemmt, wenn sie ranghohe Kolleginnen und Kollegen aufs Korn nehmen sollen – schliesslich könnten diese morgen oder übermorgen einmal ihre Chefs werden. So ist es schon eine kleine Sensation, dass Weichert und Zabel 30 weitere prominente Journalisten als Autoren für ihr Projekt gewinnen konnten.
Das Führungstrio
Wie unterschiedlich diese sich ihren Sujets nähern, sei an Beispielen gezeigt. Drei Journalisten zehren in Deutschland vom Nimbus, so etwas wie die Alphatiere der Alphatiere zu sein – wobei in der Branche aufmerksam beobachtet wird, wie sie sich wechselseitig die Bälle zuspielen: Stefan Aust, Chefredaktor des «Spiegels», sein gewiss noch mächtigerer Kollege Kai Diekmann der «Bild»-Zeitung und Frank Schirrmacher, der fürs Feuilleton zuständige Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» («FAZ»).
Stefan Aust wird von Michael Hanfeld, dem Leiter des Medienressorts der «FAZ», überaus wohlwollend als recherchierender «Schatzsucher» porträtiert, «geradeheraus, sachlich, direkt» und «extrem realistisch». Von seinem «grossen taktischen Gespür» und seiner beneidenswerten Gabe, «keine entscheidenden Fehler» zu machen, ist die Rede. Wie pragmatisch Aust agiere, verdeutliche nicht zuletzt sein Lieblingsspruch: «I cross the bridge, when I reach it.»
Viel schonungsloser springt der Deutschland- Korrespondent der Londoner «Times», Roger Boyes, mit Kai Diekmann um, wobei naturgemäss ein «Bild»-Chefredaktor – dem obendrein nachgesagt wird, dass er mimosenhaft empfindlich sei – mehr Angriffsfläche bietet als andere. Boyes lässt Diekmann als «Gott auf dem Gänsemarkt» umherstolzieren, wo der Chefredaktor im zehnten Stock (vorerst noch, bis zum geplanten Umzug nach Berlin) residiert. «Bild» sei nicht nur die Nummer eins des deutschen Boulevardjournalismus, sondern – so Diekmann selbst über sein Blatt – der «Puls der Nation». Und Diekmann spiele mit diesem Machtinstrument: Er sei es, der täglich neu die Grenzen der Privatsphäre definiere und der «entscheidet, wer gefördert und wer wie ansprechend präsentiert werden soll». Diekmann sei Katholik, rede aber wie ein Calvinist. Für ihn müsse «Erfolg – andauernder Erfolg – durch harte Arbeit verdient sein», und das sei «genau das, was ‹Bild› zur Springer-Milchkuh hat werden lassen».
«Grossartiges intellektuelles Spielzeug»
Über Frank Schirrmacher verrät uns Jakob Augstein, Journalist und Sohn des legendären «Spiegel»-Herausgebers, er sei «ohne Zweifel ein Machtmensch», allerdings einer, «der sich mit Macht im herkömmlichen Sinne gar nicht sehr beschäftigt». Seine Rollenvorbilder seien Anarchisten und Verschwörer, die sich nicht von der Gesellschaft definieren liessen, sondern diese definiert hätten. Diese Haltung lasse sich auch aus den Texten des Chef-Feuilletonisten der «FAZ» herauslesen, an denen Augstein vor allem den Tonfall bemerkenswert empfindet, «das Drängende, Endgültige, Alarmierende, Entscheidende». Schirrmacher wird als Apokalyptiker präsentiert, getrieben von dem Gefühl, dass «die grossen Tragödien und Katastrophen erst noch kommen». Aber auch die andere Seite des «FAZ»-Herausgebers fängt Augstein ein. Er schreibe «mit der Fähigkeit zur Bosheit und der Neigung zur Sehnsucht. Aber immer manieriert.» Das Feuilleton betrachte er als ein «grossartiges intellektuelles Spielzeug» – und so handhabe er es auch.
Der Spagat, sich Kollegen journalistisch zu nähern, kann waghalsig sein – und jeder der Autoren geht ihn anders an. Die meisten horchen eher behutsam, aber doch gekonnt in die Branche hinein. Es sind keine grossen Enthüllungen, sondern eher alltägliche Beobachtungen, die uns die grossen Medientiere näherbringen. Der Stoff, der hier aufbereitet wird, hätte sich wunderbar für die besten Reportage- und Featureseiten geeignet. Und die präsentierten Storys widerlegen eindrucksvoll die Mär, Personalisierung sei für den Journalismus so etwas wie Pest und Cholera.
Hartnäckige studentische Befrager
In der Machart noch unkonventioneller ist der zweite Band: Hier stossen 26 Studierende, die Interview-Erfahrung sammeln wollen, auf 31 Medienmenschen, die mehr oder weniger aus dem Nähkästchen plaudern. Bernd Pörksen, Journalistikprofessor an der Universität Hamburg, und Jens Bergmann, Redaktor beim Wirtschaftsmagazin «brand eins», wollten journalistischen Nachwuchstalenten eine rare Entfaltungsmöglichkeit gewähren, und diese haben ihre Chance genutzt. Zusammengenommen ergibt das ein Buch, das weitere kluge Einblicke ins Innenleben des Medienbetriebs gewährt – und alle Lügen straft, die behaupten, junge Leute seien unfähig, sich gründlich zu informieren und hartnäckig zu fragen.
Schon die Auswahl ist ungewöhnlich. Ob Politiker wie Joschka Fischer und Gregor Gysi, die Schriftstellerin und einstige TV-Wetterfee Else Buschheuer, der gestrauchelte Moderator Michel Friedman und der «Spiegel»-Reporter Jürgen Leinemann, aber auch der PR-Berater Klaus Kocks und der Philosoph Peter Sloterdijk – es sind ausnahmslos nicht nur Prominente, sondern auch Leute, die etwas preiszugeben haben, wenn sie über ihre Erfahrungen im Umgang mit Medien und inszenierter Wirklichkeit plaudern.
Nähe und Distanz als grosses Thema
Das «grosse» Thema, das sich durch viele der Gespräche wie ein roter Faden zieht, ist Nähe und Distanz. Für Leinemann ist die Balance zwischen den beiden «eine ganz zentrale Schwierigkeit im Journalismus», und er macht aus seinen Sympathien, die er für manche der von ihm Porträtierten empfindet, erst gar kein Hehl. Der Gesellschaftsreporter Alexander von Schönburg pflichtet ihm bei, es sei unmöglich, Dinge aus der Nähe zu beschreiben, ohne dabei Distanziertheit einzubüssen. Für Journalismus sei die Verwurzelung in einem Milieu immer hilfreich – nur dann könne man darüber kompetent schreiben. Was ja vielleicht auch erklärt, weshalb sich Journalisten zunehmend schwer damit tun, bestimmte Lebenssphären wirklichkeitsnah zu erfassen – und warum sie, ohne es zu merken, immer öfter auf PR- Inszenierungen hereinfallen.
Paradoxerweise wird Klaus Kocks in diesem Diskurs womöglich gerade deshalb zu einem besonders glaubwürdigen Kronzeugen, weil er sich – sei es aus Zynismus, sei es aus Freude an der Provokation und am Tabubruch – zum «käuflichen Intellektuellen» erklärt und ohne Umschweife meint, PR-Berater lögen. Sein Erfolgsgeheimnis: «Man muss eine relativ komplexe Persönlichkeit in ein Rollenkonzept überführen.»
Stereotype
Letztlich gerinnt dieses Rollenkonzept dann wohl immer wieder zum Stereotyp, das von vielen Journalisten ebenso dankbar wie hilflos aufgenommen und hunderttausendfach weiterverbreitet wird. Michel Friedman, der die Opfer- und die Täterrolle selbst zur Genüge kennengelernt hat, beschreibt das so: «Journalisten übernehmen – nicht nur in meinem Fall – sehr vieles kritiklos, statt selbst zu recherchieren und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Wer ein Porträt schreibt, geht ins Archiv und liest das, was die Kollegen geschrieben haben. Aus dieser Akkumulation von oberflächlichen Bewertungen entstehen dann Artefakte, Kunstfiguren, die mit der Realität wenig zu tun haben.» Weshalb wir über die meisten Medienmenschen, mögen sie uns auch beinahe täglich in Talkshows und Nachrichtensendungen begegnen, letztlich doch nur sehr wenig wissen.
Pörksen und Bergmann haben geschafft, was an überfüllten und unterfinanzierten Universitäten unmöglich erscheint: Sie haben Studierende zu Höchstleistungen motiviert und uns, den Lesern, Einblicke backstage gewährt – da und dort ja sogar ins Seelenleben der Promis, die uns so nahe und doch zugleich unnahbar sind. Deutlich unterrepräsentiert sind unter den Porträtierten in beiden Büchern sowohl Frauen als auch österreichische und Schweizer Medienleute. Dabei spielen diese «Minderheiten» beim nördlichen Nachbarn in der Branche längst eine tragende Rolle. Vielleicht ja eine Anregung an die Herausgeber für ihr nächstes Buchprojekt?
- Stephan Weichert / Christian Zabel (Hg): Die Alpha-Journalisten. Deutschlands Wortführer im Porträt. Herbert-von-Halem- Verlag, Köln 2007. 415 S., zirka Fr. 37.-.
- Jens Bergmann / Bernhard Pörksen (Hg): Medienmenschen. Wie man Wirklichkeit inszeniert. Solibro-Verlag, Münster 2007. 344 S., zirka Fr. 35.-.
Schlagwörter:Deutschland, Interview, Porträt, Prominenz