Wie deutsche Journalisten mit dem Vorwurf „Lügenpresse“ umgehen

28. September 2017 • Qualität & Ethik • von

Der Ukraine-Konflikt, die Flüchtlingskrise und die Pegida-Demos haben die Debatte um das Thema „Lügenpresse“ aufgeheizt. Es scheint, als würde in Deutschland das Vertrauen in die Medien immer geringer werden. Das sei aber nicht wahr, sagt Kommunikationswissenschaftler Carsten Reinemann.

Die Kritik gegenüber der Berichterstattung der deutschen Medien wird spürbar lauter – zumindest laut dem subjektiven Empfinden vieler Deutschen. Dabei ist die Hochzeit des Begriffs „Lügenpresse“ gar nicht zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu finden, sondern zu Zeiten des Nationalsozialismus.

Adolf Hitler nutzte den Ausdruck „Lügenpresse“, um Zeitungen als unpatriotisch darzustellen. Er verwendete in seinem Buch „Mein Kampf“ zudem Begriffe wie „Schmutzpresse“ und „mit jedem Mittel der Verleumdung und einer wahrhaft balkenbiegenden Lügenvirtuosität arbeitende Tagespresse“. Auch Joseph Goebbels zweifelte an der Glaubwürdigkeit der Presse. Einer der Hauptgründe: Viele Medien gehörten damals Juden, viele Redakteure waren jüdisch.

Auch zu Zeiten der DDR bezeichneten westdeutsche Journalisten ostdeutsche Medien als „Lügenpresse“ –  und umgekehrt.

Dennoch haben viele Deutsche den Eindruck, dass das Phänomen „Lügenpresse“ seit einigen Jahren wieder Aufschwung bekommen hat. Im Ukraine-Konflikt trat der Begriff erstmals wieder häufiger auf.

Viele Deutschen kritisierten die „tendenziöse“ Berichterstattung der deutschen Medien. Ein Fehler der ARD spielte den Kritikern auch noch zu. Russland-Korrespondent Udo Lilischkies hatte in einem Beitrag russische Separatisten für den Tod zweier Männer verantwortlich gemacht – dabei gehörten die Schützen einem ukrainischen Freiwilligen-Bataillon an. Tagesthemen-Moderator Thomas Roth entschuldigte sich für den Fehler.

Seit Oktober 2014 demonstriert die Pegida gegen die Islamisierung des Abendlandes – und bezeichnet die Medien ebenfalls als einseitig und als „Lügenpresse“. Der Vorwurf: Die Medien berichteten häufig „pro-Flüchtling“ und Pegida werde fälschlicherweise als rechts bezeichnet.

Dennoch bleibt die Frage, warum gerade in der heutigen Zeit das Phänomen Lügenpresse so groß erscheint.

„Ein Grund dürfte in der Intensität zu finden sein, mit der gerade in Online-Kommentaren, aber auch in direkten Begegnungen Kritik und Hass gegenüber Medien und Journalisten geäußert wurden“, heißt es im Kapitel „Die ‚Vertrauenskrise‘ der Medien – Fakt oder Fiktion?“ von Carsten Reinemann, Nayla Fazwi und Magdalene Obermaier im Sammelband „Lügenpresse – Anatomie eines politischen Kampfbegriffs“, herausgegeben von Volker Lilienthal und Irene Neverla.

Vor allem auf Facebook und Twitter können Nutzer ihren Unmut über Berichterstattung intensiver und vielfältiger zum Ausdruck bringen. Laut den Wissenschaftlern sind es auch nur kleine Gruppen, die laut „Lügenpresse“ schreien, die aber großen Eindruck bei den Journalisten hinterlassen haben. So könne man solche Eindrücke nur bedingt auf die gesamte Bevölkerung übertragen.

Eine Statista-Umfrage von 2017 zeigt, dass die Meinung zum Thema „Lügenpresse“ auch von der politischen Überzeugung der Bürger abhängt. Auffällig ist, dass viele AfD-Anhänger die Medien als „Lügenpresse“ bezeichnen – nämlich 59 Prozent von ihnen. Anhänger andere Parteien und auch bekennende Nicht-Wähler sprechen mit großer Mehrheit nicht von einer „Lügenpresse“ in Deutschland.

Dennoch zeigen andere Befragungen, wie beispielsweise eine repräsentative Forsa-Umfrage Ende 2015, dass 44 Prozent der Deutschen dem Vorwurf „Lügenpresse“ ganz oder teilweise zustimmen. Eine Kritik, mit der Journalisten umgehen müssen – vor allem in Zeiten, in denen Rezipienten gerade im Internet schnell und viel Feedback geben können.

Doch wie gehen die Medien mit der Kritik um? Eine Studie von Nora Denner und Christina Peter hat das analysiert. In der Studie, deren Ergebnisse in der Publizistik erschienenwurden die leitenden Tageszeitungen Deutschlands analysiert: die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt, die taz und die Bild-Zeitung. Das Ergebnis: In den meisten Fällen gehen Medien mit dem Begriff Lügenpresse wenig beziehungsweise nicht elaboriert um. Eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Thema fehlt überwiegend, häufig wird der Begriff auch nur ironisch genannt. Damit vermitteln die Tageszeitungen, dass sie den Vorwurf der Lügenpresse insgesamt eher von sich weisen als sich damit zu beschäftigen.

Caja Thimm, Professorin für Medienwissenschaft und Intermedialität an der Universität Bonn, ist der Meinung, dass die Kritik heute intensiver sei, da Leserinnen und Leser als Kontrollmechanismus fungieren. „Sie können nachprüfen, sie können andere Quellen heranziehen – und das wird im Übrigen auch getan“, erklärt sie.

Auch die Redaktion von Zeit Online nimmt die Kritik der Rezipienten ernst. Vergangenes Jahr richteten sie den „Glashaus Blog“ ein, der mehr Transparenz bieten soll, indem er erklärt, wie Journalisten arbeiten. Passieren Fehler in der Berichterstattung, werden sie im Glashaus Blog erläutert und aufgeklärt, wie es dazu kommen konnte.

Fehler geschehen in Zeiten des Internets vor allem dadurch, dass viele Medien Schnelligkeit vor Sorgfalt sehen. Klickzahlen spielen in der heutigen Welt des Journalismus eine große Rolle, da sich Internetmedien hauptsächlich durch Werbung finanzieren.

Dennoch sollte man die Kritik differenzieren und auch erkennen, wenn man gute Arbeit leistet, sagt Tom Buhrow, Intendant des Westdeutschen Rundfunks. „Ich persönlich meine zum Beispiel, dass wir uns jetzt nicht in Büßergewänder hüllen müssen. Ich bin relativ stolz auf das, was wir machen, und wie wir das machen und wir lügen nicht. Und ich möchte das auch nicht ständig diskutieren ‚Ihr sagt aber wir lügen‘ und deswegen erklären wir das dann nochmal – ich finde da wird teilweise auch ein bisschen überreagiert“, sagt er.

Auch Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle hat zu dem Thema „Lügenpresse“ eine geteilte Meinung. Man müsse zwischen den Journalisten, die ihren Job gut machen und Journalisten, die einfach abschreiben und nicht sorgfältig arbeiten würden, unterscheiden.

Dennoch nimmt er die Kritik ernst: „Dass Presse gelegentlich fehlerhaft ist, damit müssen wir alle leben und da müssen wir auch zu stehen. Also selbstbewusst auf der einen Seite, andererseits aber auch selbstkritisch, wo Fehler gemacht werden oder wo schlampig gearbeitet wird.“

Der Beitrag entstand in Kooperation mit der TV-Lehrredaktion an der TU Dortmund, die einen Beitrag zum Thema Lügenpresse für den TV-Lernsender nrwision produziert hat: https://www.nrwision.de/programm/sendungen/ansehen/nahaufnahme-journalisten-kaempfen-um-ihr-image.html?pk_campaign=social&pk_kwd=fb

 

Bildquelle: opposition24.de / Flickr CC: Pegida Frankfurt; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

 

 

 

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