Polens Regierungspartei PiS ist klar gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und trifft damit den Nerv vieler Polen. Das Thema Flüchtlinge ist, trotz geringer Anzahl an Asylanträgen, ein wichtiges Thema in dem osteuropäischen Land und spaltet nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Medien.
Laut einer Befragung durch das polnische Meinungsforschungsinstitut CBOS ist eine Mehrheit der Polen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afrika und dem Nahen Osten. Viele sprechen sich dafür aus, nur christliche Flüchtlinge aus entsprechenden Gebieten aufzunehmen. Grund für diese religiöse Sichtweise ist vor allem ein verzerrtes Bild vom Islam, das im Zuge der „europäischen Flüchtlingskrise“ vornehmlich von rechtsradikalen Medien wie dem konservativ-katholischen Nachrichtenportal Fronda.pl in Polen kreiert wurde, so das Ergebnis einer Studie des Observatorium der Öffentlichen Debatte der Stiftung Kultura Liberalna aus dem Jahr 2016. Flüchtlinge werden demnach in rechten Medien als islamistische Kolonisatoren und Vergewaltiger dargestellt.
Für die stellvertretende Vorsitzende des Polnischen Komitee für den Sozialen Dialog, Kinga Białek, sind Begriffsschwierigkeiten ein Grund für die negative Berichterstattung. „Wir müssen zeigen, dass Flüchtling nicht Terrorist heißt. Das wird in Polen von den Medien nicht immer richtig dargestellt.“ Ihrer Ansicht nach würden Flüchtlinge immer wieder als Sündenbock dargestellt. „Die Leute müssen verstehen, dass Asylanten Opfer sind, die um ihr Leben oder ihre Gesundheit fürchten.“ Diese verzerrte Wahrnehmung von Flüchtlingen sei auch dadurch zu erklären, dass es in Polen kaum welche gäbe.
Klare Position der Regierung
Polen ist eines der homogensten Länder Europas. Von der europaweiten Migrationsbewegung ist das osteuropäische Land, in dem 96,9 Prozent der Bevölkerung ethnische Polen sind, in den letzten Jahren kaum betroffen gewesen. Nicht nur, weil viele Migranten Polen nur als Transitland nutzen, sondern vor allem, weil große Teile der Bevölkerung und die Regierung sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aussprechen. Die meisten Flüchtlingslager liegen in Polen an der östlichen Grenze, kommen doch die meisten Menschen, die Asyl beantragen, aus Russland und der Ukraine. Trotz der geringen Asyl-Gesuche – im April 2017 wurden in Polen laut statista 425 Asylanträge gestellt – ist die Debatte über Flüchtlinge vor allem bei nationalen Medien regelmäßig auf der Agenda.
Dass über Flüchtlinge in den vergangenen Wochen wieder vermehrt berichtet wurde – laut des Online-Analysetools frazeo stiegen die Zahl der Artikel zum Schlagwort „Flüchtling“ bei den wichtigsten polnischen Nachrichtenportalen zuletzt wieder an – liegt vor allem daran, dass es große politische Diskussionen über die Aufnahme von Flüchtlingen gab.
Denn nachdem sich wie Ungarn und Tschechien auch Polen in der Vergangenheit geweigert hat, eine Verteilungsquote für die EU anzuerkennen und zu erfüllen, leitete die EU-Kommission im Juni ein Verfahren gegen die Regierung ein. Bevor die PiS-Regierung im November 2015 an die Macht kam, hatte Polens damalige Ministerpräsidentin Ewa Kopacz zugesagt, innerhalb von drei Jahren 7000 Flüchtlinge, die in Italien oder Griechenland ankommen, aufnehmen zu wollen. Die neue Regierung lehnte dieses Abkommen dann jedoch ab – und sieht sich nun mit den möglichen Konsequenzen, vornehmlich Kürzungen von EU-Geldern, konfrontiert.
Die Meinungen der Medien gehen hier stark auseinander: Während gerade linke Zeitungen das Handeln der Regierung kritisieren, stellten sich konservative und rechte Zeitungen auf die Seite der Regierung. Nicht wenige, rechte Zeitungen fahren im Bezug zum Thema Flüchtlinge sogar eine noch härtere Linie.
Viel Meinung, wenig gesicherte Informationen
Kinga Białek glaubt, dass viele Medien sehr kontroverse Ansichten verbreiten, um möglichst viele Leser anzuziehen. „Das Problem ist, dass es in Polen generell keinen objektiven Journalismus gibt.“ Journalisten könnten zwar zuverlässig Informationen liefern, dabei aber nicht objektiv schreiben, gerade wenn es um Flüchtlinge geht. Alternative Medienplattformen, in Polen mittlerweile sehr verbreitet, nähmen zudem eine Abkürzung, um mit den Massenmedien mitzuhalten: Sie benutzen nicht-verifizierte Informationen. So hätten Fake News zum Thema Flüchtlinge in den letzten Jahren an Einfluss gewonnen.
Gerade im Bezug zu Westeuropa, wo Flüchtlinge viel präsenter seien, verwendeten viele Medien nicht selten nicht-verifizierte Quellen. Doch auch konventionelle, auflagenstarke und überregionale Medien, die Białeks Einschätzung zufolge eigentlich die Ressourcen für Fact-Checking haben sollten, verfallen der Falschberichterstattung.
So auch in einem der bekanntesten Beispiele, einem Interview der polnischen Tageszeitung Gazeta Prawna mit der polnischen Auswanderin Maya Paczesny im Juli 2016. Paczesny behauptete im Interview, gemeinsam mit ihrem Mann im bayrischen Touristenort Rupprechtstegen ein erfolgreiches Hotel betrieben zu haben. Doch dann seien Flüchtlinge gekommen, die den Ort vermüllt, Fahrräder gestohlen und die Fische aus ihrem Teich geangelt hätten. Die Flüchtlinge hätten Touristen „verjagt“ und die Polin zur Rückkehr in ihre Heimat gezwungen.
Das Interview wurde landesweit bekannt und galt zu der Zeit als Bestätigung dessen, was die Regierung und auch viele Polen über die Flüchtlingsbewegung dachten: Flüchtlinge zerstören Europa. So musste die Journalistin Ewa Wanat erst für die Wochenzeitung Tygodnik Powszechny nach Rupprechtstegen fahren, um die Vorstellung zu widerlegen. Denn die Geschichte von Maya Paczesny, so war es später auch in der deutschen Tageszeitung taz zu lesen, stimme nicht: Flüchtlinge gebe es nur vereinzelt, die Straßen seien sauber und der Tourismus in dem kleinen Ort habe schon vor Jahren – und aus anderen Gründen – massiv nachgelassen.
Starke Politisierung der Medien
Geschichten wie diese zeigen, was in Polen falsch läuft, wenn es um die Berichterstattung über Asylanten und Flüchtlinge geht: Es mangelt an objektiver Berichterstattung und gesicherten Informationen. Zudem treten viele der überregionalen Medien für unterschiedliche politische Ansichten ein, die zwischen links-außen und dem rechtsradikalen Milieu einzuordnen sind.
Dennoch passen sich viele Journalisten der politischen Agenda der PiS-Regierung an oder vertreten sogar noch radikalere Positionen. „Mit solchen Journalisten würde ich nicht arbeiten. Aber das ist der Vorteil am Dasein als Selbstständige“, sagt Kaja Puto, freie Journalistin bei mehreren polnischen Medien. Sie bringt bald ein Buch darüber heraus, wie Fremde Polen sehen. Als Journalistin hat sie sich besonders ausführlich mit Flüchtlingen und ihren Schicksalen auseinandergesetzt. Sie berichtete über die Balkan-Route, die arktischen Migrationsrouten nach Skandinavien und die Geschehnisse an der polnischen Grenze zu den Belarus-Ländern. „Die Berichterstattung über Flüchtlinge ist extrem politisch“, sagt sie. Skandale dominierten die Medien, auch wenn sie nur Fake News seien. Der Hass auf Flüchtlinge in Polen sei stellenweise enorm. Dabei sei die Debatte über Flüchtlinge erst durch rechts-populistische Parteien auf die Agenda gesetzt worden.
Aus ihrer Abneigung gegenüber der negativen Berichterstattung vieler Medien macht sie keinen Hehl. Dennoch versucht sie mit ihnen ins Gespräch zu kommen. „Mit Neonazis spreche ich nicht, aber mit den rechtsradikalen Medien, die ihre Geschichten tatsächlich auf Fakten basieren, gibt es einen Dialog.“ Hasskommentaren und Zweifeln an ihrer Berichterstattung über das Thema versucht sie mit direkter Konfrontation zu begegnen. „Manchmal trete ich mit meinen Hatern in Kontakt und versuche ihnen zu erklären, wie ich arbeite, warum ich etwas geschrieben habe, welche Quellen ich benutze und so weiter. Manchmal kann ich die Menschen so überzeugen.“ Transparenz sei ihr besonders in Polen sehr wichtig, da das Vertrauen in die Medien dort ihrer Meinung nach extrem niedrig ist. Dass sie mit ihrer Berichterstattung über Flüchtlinge irgendetwas ändern kann, bezweifelt sie. „Selten schaffe ich es eine Meinung zu ändern, aber ich werde es immer versuchen.“
Trotz der negativen Stimmung gegen Flüchtlinge regt sich in der Bevölkerung Widerstand gegen den harten Kurs der Regierung: Bürgerinitiativen und katholische Kirche wollen sich für Flüchtlinge öffnen. Ob die Arbeit von Journalisten wie Kaja Puto dazu beiträgt, die Debatte über Flüchtlinge zu verändern, bleibt abzuwarten. Die Diskussion ist spätestens seit der Klage der EU-Kommission wieder voll im Gange.
Mitarbeit an der Recherche: Sofiia Baianova
Dieser Beitrag ist Teil unseres deutsch-polnischen Themenspezials, das von der Deutsch-Polnischen Wissenschaftssstiftung (DPWS) gefördert wird. Er ist im Rahmen eines Workshops mit deutschen und polnischen Studierenden an der Universität Wroclaw unter Leitung von Tina Bettels-Schwabbauer (Erich-Brost-Institut, TU Dortmund) und Michał Kuś (Universität Wroclaw) entstanden.
Bislang im deutsch-polnischen Themenspezial auf der deutschen Seite erschienen:
Im Fokus: deutsche und polnische Medien
Der Einfluss der polnischen Regierung auf die Medien
Starke Kritik an Polens Medienreformen
Politikthemen waren tabu – Medien im Kommunismus
Katholische Medien in Polen – nah am Staat?
Hier geht es zum deutsch-polnischen Themenspezial auf der polnischen EJO-Seite:
http://pl.ejo-online.eu/tag/niemcy-polska-temat-specjalny
Bildquelle: Brainbitch / Flickr CC: Refugees welcome on Seawatch 2; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/
Zum Thema auf EJO: Wie Zeitungen aus West- und Osteuropa über die Flüchtlingskrise berichteten
Schlagwörter:Deutsch-Polnisches Themenspezial, Fake News, Flüchtlinge, Gazeta Prawna, PiS, Polen