Starke Kritik an Polens Medienreformen

19. Juli 2017 • Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Selten hat Polen so viel Aufmerksamkeit in den deutschen Medien erfahren wie nach der Regierungsübernahme durch die nationalkonservative PiS-Partei Ende 2015. Ihre umfassenden Reformen, die auch die Pressefreiheit stark eingeschränkt haben, sind in deutschen Medien auf massive Kritik gestoßen.

Das deutsche EJO-Team hat sich die Berichterstattung ausgewählter deutscher Medien über die Medienreformen in Polen einmal genauer angeschaut und beispielhaft die Artikel von vier reichweitenstarken deutschen Online-Medien unter die Lupe genommen: Spiegel Online, FAZ.net, tagesschau.de und Bild.de.

Am Tag nach dem Wahlsieg der PiS-Partei titelt tagesschau.de „Parlamentswahl in Polen: Erzkonservative zurück an der Macht“. Der Korrespondent Henryk Jarczyk erklärt darin, dass der PiS-Parteivorsitzende Jaroslaw Kaczynski im künftigen Parlament möglicherweise die absolute Mehrheit der zur Verfügung stehenden Sitze übernehmen könnte und kommentiert „der gönnerhafte Ton eines triumphierenden Wahlgewinners ist kaum zu überhören“. Einen Tag später bringt tagesschau.de ein Interview mit dem Journalisten Bartosz Wielinski von der linksliberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, der die neue Regierung stark kritisiert. Überschrieben ist der Artikel mit „Nach Polen-Wahl: Es wird viel Krach geben“, einem Zitat Wielinskis.

Bild.de veröffentlicht schon am Tag der Wahl einen Artikel zur Situation in Polen und fragt „Wird Polen nach der Wahl das zweite Ungarn?“  In dem Artikel wird die polnische Politologin Anna Materska-Sosnowska zitiert, die sagt, dass Polen, falls PiS die Wahl gewinnt, auf „autoritäre Strukturen, schärfere Rhetorik und wirtschaftliche Abschottung“ zusteuere und sich quasi „ungarisiere“.  Auch Spiegel Online reagiert kritisch und fragt „Wird Polen nun zu einem Bollwerk des Nationalismus, isoliert in der EU?

„Der Konflikt könnte eskalieren“

Am 31. Dezember 2016 entschied die PiS-Partei ein umstrittenes Mediengesetz zu erlassen, dass der Regierung die Macht gibt, mehr Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auszuüben und auch Personalentscheidungen zu treffen. Auf Grundlage dieses Gesetzes wurde führenden Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die nicht auf PiS-Parteilinie waren, gekündigt und durch regierungsnahe Journalisten ersetzt. Eine massive Einschränkung der Pressefreiheit, auf die einige Journalisten selbst mit Kündigungen und tausende Polen mit Massenprotesten reagierten.

Auch die deutschen Medien reagieren auf diese Entwicklung in Polen, von den vier ausgewählten Medien berichtet Spiegel Online am ausführlichsten darüber (z.B. hier: http://www.spiegel.de/politik/ausland/polen-parlament-beschliesst-umstrittene-medienreform-a-1070059.html), Bild.de am wenigsten, dies aber überraschend objektiv (z.B. hier: http://www.bild.de/politik/ausland/polen/regierung-will-medien-kontrollieren-43978676.bild.html). tagesschau.de bringt ein weiteres Interview mit dem regierungskritischen polnischen Journalisten Bartosz Wielinski, der überrascht ist von dem Tempo, mit dem die polnische Regierung Gesetze verabschiedet. Er fordert Europa dazu auf, laut und deutlich zu kritisieren, dass Polen in die falsche Richtung geht.

FAZ.net zeigt sich äußerst kritisch – und übertreibt dabei etwas. „Polen könnte sämtlichen Rundfunkmitarbeitern kündigen“ lautet die Überschrift eines Beitrags aus Januar 2016. Erst im Text präzisiert der Autor Konrad Schuller, dass es sich keineswegs um alle Rundfunkmitarbeiter, sondern die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks handelt, für den die neuen Mediengesetze erlassen worden sind. Im Rest des Artikels beachtet Schuller aber durchaus die Feinheiten und geht auch detailliert auf die Unterschiede zwischen „kleinem“ und „großen“ Mediengesetz ein – diese Unterscheidung geht in den meisten anderen analysierten Artikeln eher unter.

Nach der Erlassung des neuen Mediengesetzes im Januar 2016 bleibt es ein paar Monate ruhig um die polnischen Medien, bis im Juli 2016 ein neues Vorkommnis Schlagzeilen macht: Das polnische öffentlich-rechtliche Fernsehen manipulierte eine Aussage vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama. Eigentlich mahnte Obama den polnischen Präsidenten Andrzej Duda an, dass alle Parteien zusammenarbeiten müssten, um Polens demokratische Institutionen zu erhalten. Im polnischen TV wurde seine Aussage aber folgendermaßen übersetzt: „Obama hat die Bemühungen Polens bezüglich der Demokratie gelobt. Über die Justizreform hat er gesagt, dass er sicher ist, dass Polen nicht aufhören wird, demokratische Werte im Land zu verbreiten.“

Spiegel Online bezeichnet den Vorfall als „absurd“ und macht deutlich, dass es sich um die Demokratie in Polen sorge. Bild.de sorgt sich auch, bringt dies aber in reißerischer Art und Weise zum Ausdruck: Ein Hauch von Nordkorea im polnischen Fernsehen! Denn dreiste Lügen und Propaganda kennt man so eher von Diktator Kim Jong-un…

„Widerstand gegen den Medien-Maulkorb“

Fast ein Jahr nach der Erlassung des neuen Mediengesetzes, am 14. Dezember 2016, plant die polnische Regierung, den Zugang von Journalisten zum polnischen Parlament (Sejm) einzuschränken und Video- und Audioaufnahmen von Journalisten zu verbieten. Die Konsequenz sind Massenproteste der polnischen Bevölkerung, Mitglieder der Oppositionsparteien besetzen für zwei Wochen den Sejm.

Tagesschau.de-Korrespondent Henryk Jarczyk berichtet daraufhin über den „Widerstand gegen den Medien-Maulkorb“. In seinem Artikel zitiert er vor allem Regierungskritiker. Erst am Ende des Artikels kommt auch Jaroslaw Kaczynski kurz zu Wort, der die Proteste für „Rowdytum“ hält. Jarczyk reagiert darauf mit seiner eigenen Meinung: „De-Eskalation sieht anders aus.“

Auch FAZ.net und Spiegel Online berichten ausführlich über die Vorkommnisse im Parlament und die die Demonstrationen. FAZ.net-Autor Gerhard Gnauck schreibt, dass Polen eine politische Krise drohe und macht mit Aussagen wie „Das Pulverfass explodierte am Freitag“  die Dringlichkeit der Lage bewusst. Auch Spiegel Online spricht von einer “politischen Krise“ und reagiert auf die Ereignisse mit einer Vielzahl an Artikeln, die die Vorkommnisse recht detailliert beschreiben (z.B. hier: http://www.spiegel.de/politik/ausland/polen-parlamentssitzung-auf-unbestimmte-zeit-verzoegert-a-1129600.html).

Bild.de berichtet in diesem Fall wieder gewohnt reißerisch und dramatisierend und titelt: „Chaos, Tumult, Demo-Mob: Revolte gegen Polen-Regierung“. Der Autor Dirk Müller-Thederan nimmt in seinem emotionalen Beitrag auch auf die anstehenden Weihnachtstage Bezug. Er schreibt: „Anstatt in himmlischer Ruh’ das geliebte Weihnachtsmenü vorzubereiten (gerne zwölf Gänge, mit Suppe, Karpfen, Wodka und süßem Gebäck) schauen Polens Bürger kopfschüttelnd auf das Spektakel vor ihrer Haustür“. Das Gesetz, das für Journalisten den Zugang zum Parlament einschränken sollte, wurde letztlich nicht eingeführt – diesen Fakt lässt Bild.de aber außen vor.

FAZ.net, Spiegel Online und tagesschau.de berichteten noch vom Ausgang der Parlamentskrise – danach ebbte aber auch ihre Berichterstattung über Polens Medienreformen ab.

Eine umfassende Reform, die die polnische Regierung plant, findet in der Berichterstattung der vier untersuchten Medien keine Erwähnung – die Repolonisierung der Printmedien, mit der PiS versucht, ausländische Verlage zurückzudrängen.

Michał Kuś, Politikwissenschaftler an der Universität Breslau und Leiter der polnischen EJO-Seite, zeigt sich davon überrascht, dass die geplante Repolonisierung der polnischen Printmedien kein Thema in den untersuchten deutschen Online-Medien war, schließlich, so Kus, gehe es dabei hauptsächlich um deutsche Investoren. Andererseits, meint der Politikwissenschaftler, gebe es auch von Seiten der polnischen Regierung noch nichts offiziell Neues zu ihren Repolonisierungsplänen, so dass es für Medien sowieso nur Spekulationen zu berichten gebe.

Die polnische Regierung ließ mehrmals verlauten, die kritischen Urteile aus dem Ausland basierten in erster Linie auf falschen Informationen und einer verzerrten Darstellung durch die Presse – diese Einschätzung teilt Kuś nicht. Die Berichterstattung der deutschen Medien hält er – mit Ausnahme von Bild.de – nicht für übertrieben. Auch der Begriff der „Ungarisierung“ sei durchaus gerechtfertigt: „Einige Ereignisse erinnern durchaus daran, was in Ungarn passiert ist.“ Auch sein Kollege Jacek Nozewski findet den Vorwurf der polnischen Regierung haltlos. Nur in einigen Ausnahmefällen hätten die ausländischen Medien, soweit er das beobachten konnte, ihre negative Berichterstattung übertrieben. Ansonsten ist er ist der Ansicht, dass die unter die Lupe genommenen deutschen Medien in etwa so wie die liberalen polnischen Medien über die Ereignisse in Polen berichtet hätten: Sie hätten zu Recht ihren Fokus auf die Medienreformen von PiS gelegt, die zweifelsohne die Pressefreiheit in Polen einschränken, und hätten zudem betont, mit welchem Tempo PiS ihre Änderungen durchsetzte.

 

Dieser Beitrag ist Teil unseres deutsch-polnischen Themenspezials, das von der Deutsch-Polnischen Wissenschaftssstiftung (DPWS) gefördert wird. 

 

 

Bislang im deutsch-polnischen Themenspezial auf der deutschen Seite erschienen:

Im Fokus: deutsche und polnische Medien

Polnische Medien im Wandel

Der Einfluss der polnischen Regierung auf die Medien

Kampf gegen deutsche Dominanz

Polnische Medien und Flüchtlinge: viele Fake News

Politikthemen waren tabu – Medien im Kommunismus 

Katholische Medien in Polen – nah am Staat?

 

Hier geht es zum deutsch-polnischen Themenspezial auf der polnischen EJO-Seite:

http://pl.ejo-online.eu/tag/niemcy-polska-temat-specjalny

 

Bildquelle: Screenshot tagesschau.de

 

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