Eine leere Titelseite einer Tageszeitung, durchgestrichene Worte und Zeilen in diversen Artikeln, Lücken in den Archiven – nicht einmal dreißig Jahre ist es her, dass die polnischen Medien im Kommunismus massiv von der Regierung beeinflusst wurden und unter Zensur litten. Regierungskritische Journalisten wurden entlassen oder sogar verhaftet. Eindrücke von Journalisten der damaligen Zeit.
Ungerechte Gerichtsprozesse, fehlende Essenslieferungen, politische Auseinandersetzungen – solche Ereignisse waren im kommunistischen Polen (1947-1989) keine Seltenheit. In den Medien wurde ihnen aber keine Beachtung geschenkt. Der Grund: Die Regierung zensierte die Presse massiv. Vor allem bei politischen Themen.
„Jeden Monat hatten wir ein Treffen mit einem Parteichef“, erklärt der Journalist Jacek Kowalski, der heute für Radio Wroclaw arbeitet. Bei den Treffen hätten die Politiker ihnen mitgeteilt, was sie im Radio senden durften – und was nicht.
„Alle Medien wurden kontrolliert“
Kowalski arbeitete damals für ein Studentenradio. Viele Sendungen seien vor der Verbreitung aufgezeichnet und durch Zensoren überprüft worden, erklärt er. Wer live etwas Kritisches über Politik berichtete, sei direkt entlassen worden. Und da im Kommunismus der Staat die Kontrolle über alle Arbeitnehmer hatte, hätte die gekündigte Person keine Chance gehabt, nach dem Rauswurf irgendeinen anderen Job zu bekommen, sagt Maja Majewska, die heute ebenso als Redakteurin für Radio Wroclaw arbeitet. Gefängnisstrafen seien auch keine Seltenheit gewesen.
„Das waren wirklich schlimme Zeiten“, sagt Majewska. Die zwei einzigen Fernsehsender TVP1 und TVP2 hätten vollkommen der Kontrolle der Regierung unterlegen. Von überregionaler bis lokaler Presse – alle Zeitungen seien kontrolliert, Telefonate der Journalisten abgehört worden.
„Die Parteien haben aber nicht einmal volles Vertrauen in ihre eigenen Zensoren gehabt“, sagt Majewska. In der Redaktion habe es einen Zensor gegeben, in der Druckerei einen weiteren – für alle Fälle.
Politikthemen? Ein Tabu.
„Es gab auch Oppositionszeitungen – die konnte man allerdings nicht öffentlich kaufen“, erklärt Majewska weiter. Diese waren teilweise von den Amerikanern, damaliger Präsident war Ronald Reagan, finanziert worden. Auch kirchliche Zeitungen wie Gosc Niedzielny hätten zu den regierungskritischen Medien gehört, erklärt der Journalist Maciej Maciejewski, der heute für TVP3 arbeitet. Regierungskritisch waren auch die Zeitungen der Gewerkschaft Solidarnosc, die von der katholischen Kirche finanziert wurde.
Maciejewski erklärt, dass auch der Schreibstil damals ganz anders gewesen sei, abgeklärter, härter. Den regierungsnahen Zeitungen sei es wichtig gewesen zu betonen, wer gesprochen und agiert habe, nicht, was geschehen sei.
In den Medien hätten Redakteure nicht über Streiks berichten dürfen, nicht über Proteste der Arbeiterklasse, nicht über Essensnot, erklärt die Journalistin Majewska. Das wollte sich das Oppositionsradio Radio Solidarnosc aber nicht gefallen lassen. Mit Erfolg: Einige Male konnte das Radio tatsächlich unzensiert wichtige und wahre Nachrichten verbreiten. Sie zapften die Antenne eines vom Staat kontrollierten Radios an und sprachen 15 Minuten über Tabuthemen wie Politik, Streiks, Proteste und Lebensmittelknappheit.
Auffällig auch: Über die Gründe des Kriegsrechts in Polen 1981 bis 1983 durfte nichts berichten werden – und noch heute fehlen die Radioaufzeichnungen von Radio Wroclaw des Jahres 1981. Während des Kriegszustandes wurden zudem viele Journalisten entlassen, vor allem die, die sich Solidarnosc angeschlossen hatten, wie Polskie Radio berichtet. Dafür wurden viele regierungsnahe Redakteure eingestellt.
Glückseligkeiten im Beruf
Manchmal hätten die Redakteure aber ihre Kreativität spielen lassen und versteckt Nachrichten verbreiten können, die eigentlich hätten zensiert werden müssen, erklärt Kowalski.
So half beispielsweise die KPN (Konfederacja Polski Niepodległej) vielen Menschen, die wenig zu essen hatten und arm waren – über die Organisation berichten durften die Medien allerdings nicht. Also hätten die Redakteure von Radio Wroclaw sich einfach eine andere Bedeutung ausgedacht und den Zensoren erklärt, es ginge um einen Park, dessen Abkürzung KPN war. „Das waren so kleine Glückseligkeiten in unserem Beruf“, sagt Kowalski zufrieden.
Während im Radio die Zensur für die Hörer unsichtbar war, wurde Zeitungslesern die Zensur deutlich sichtbar gemacht. Fakten, die der kommunistischen Politik hätten schaden können, wurden einfach klar und deutlich durchgestrichen und mit einem „zensiert“ versehen.
Der Vater von Katarzyna Kaczorowska, heute Redakteurin bei der Gazeta Wroclawska, arbeitete in der Druckerei einer regionalen Zeitung und berichtete ihr von der Zensur.
„Jede Druckerei hatte ein Zimmer für einen Zensor“, gibt sie die Erzählungen ihres Vaters weiter. Dort habe dieser vor allem Artikel über Geschichte und Politik zensiert. Manchmal wären sie aber nicht so genau gewesen, hätten Artikel nicht gelesen und einfach durchgelassen. In anderen Fällen waren sie dagegen radikaler.
Ein Beispiel: Am 19. März 1981 wurde Jan Rulewski, der Chef der regionalen Solidarnosc-Bewegung in Bydgoszcz, von der örtlichen Regierung zu einem Treffen eingeladen. Dort wurde er von der Milicja Obywatelska, der polnischen Polizei, verprügelt. Die Zeitung Wieczor Wroclawia wollte darüber berichten – doch der Artikel wurde zensiert. Der Platz auf der Titelseite wurde weiß gelassen.
„Ich habe Angst, dass die Zensur zurückkommt“
Wer allerdings nichts mit Politikthemen zu tun hatte, fühlte sich als freier Journalist. So zum Beispiel Hanna Wieczorek-Ferens, die heute für die Gazeta Wroclawska arbeitet.
„Ich habe die Zensur nicht gespürt“, erklärt die Journalistin. Sie schrieb über städtische Themen und über Menschen, nicht über Politik. Sie habe aber auch gewusst, dass es starke Zensuren gab. Und noch stärker sei vielleicht die Selbstzensur gewesen.
„Jeder musste sich fragen: Darf ich über das Thema schreiben? Soll ich es riskieren? Das hat automatisch dazu geführt, dass Journalisten sich selbst zensierten“, sagt Wieczorek-Ferens.
Zensur ist ein Thema, das viele polnische Journalisten nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der heutigen polnischen Medienlandschaft beschäftigt. „Ich bin nicht gegen PiS“, sagt beispielsweise Maciej Maciejewski, „aber ich bin gegen die Zerstörung der polnischen Medien.“ Radiojournalist Kowalski äußert sich besonders kritisch gegenüber der heutigen Lage der Medien in Polen: „Die Zeiten hier sind so schrecklich, dass ich Angst habe, dass die Zensur zurückkommt – wenn es sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht schon gibt.“
Mitarbeit an der Recherche: Jacek Nożewski
Dieser Beitrag ist Teil unseres deutsch-polnischen Themenspezials, das von der Deutsch-Polnischen Wissenschaftssstiftung (DPWS) gefördert wird. Er ist im Rahmen eines Workshops mit deutschen und polnischen Studierenden an der Universität Wroclaw unter Leitung von Tina Bettels-Schwabbauer (Erich-Brost-Institut, TU Dortmund) und Michał Kuś (Universität Wroclaw) entstanden.
Bislang im deutsch-polnischen Themenspezial auf der deutschen Seite erschienen:
Im Fokus: deutsche und polnische Medien
Der Einfluss der polnischen Regierung auf die Medien
Starke Kritik an Polens Medienreformen
Polnische Medien und Flüchtlinge: viele Fake News
Katholische Medien in Polen – nah am Staat?
Hier geht es zum deutsch-polnischen Themenspezial auf der polnischen EJO-Seite:
http://pl.ejo-online.eu/tag/niemcy-polska-temat-specjalny
Foto: Kathrin Wesolowski / Erinnerungsraum an der Universität Wroclaw
Schlagwörter:Deutsch-Polnisches Themenspezial, Kommunismus, Oppositionsmedien, Polen, Politik, Selbstzensur, Solidarnosc, Zensur