Deutliche Warnung vor Selbstzufriedenheit: Künstler:innen und Journalist:innen im Gespräch über Meinungsfreiheit

26. Mai 2023 • Aktuelle Beiträge, In eigener Sache, Internationales, MediaDelCom • von

Auf einer Veranstaltung in Warschau (Polen) am 11. Mai warnten Künstler:innen und Journalist:innen das Publikum, nicht zu schweigen, wenn Freiheiten bedroht sind. Ihr Aufruf: Aktiv gegen Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft vorzugehen.

Debatte über Medienfreiheit beim Event “Breaking Down Walls” in Warschau. Bildquelle: Filip Naumienko

Diese Mahnung sprachen sie während der Veranstaltung “Breaking Down Walls: Künstler, Freiheit und sozialer Zusammenhalt” aus, organisiert von der Fakultät für Journalismus, Information und Buchwissenschaft der Universität Warschau in Zusammenarbeit mit dem Media Diversity Institute Global und mit Unterstützung des Museums für Moderne Kunst.

Hanna Azemsha, eine Fernsehjournalistin und Reporterin aus Weißrussland, die in Polen für Belsat TV arbeitet, warnte eindringlich vor Selbstzufriedenheit. Sie sagte, dass sich der Wandel in ihrem Land nicht über Nacht vollzogen habe und die Menschen ihn anfangs nicht ernst nahmen. Infolgedessen sind Freiheiten verloren gegangen und viele ihrer Kolleg:innen im Journalismus sowie Oppositionelle und Aktivist:innen sitzen im Gefängnis. Die Organisation Reporter ohne Grenzen weist in einer Übersicht für das Jahr 2022 darauf hin, dass Weißrussland zu den Ländern mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden gehört (aktuell mehr als 30).

Azemsha ermutigte die Zuhörer, “jedes Mal aktiv zu werden, wenn Sie sehen, dass die Meinungsfreiheit bedroht ist. Verschließen Sie nicht die Augen, wenn Sie etwas Falsches sehen.” Diese Botschaft wurde auch von anderen Redner:innen auf der Veranstaltung wiederholt, die im Rahmen des Projekts Mediadelcom organisiert wurde. Die Diskussionsrunde beleuchtete die Rolle des Kreativ- und Mediensektors bei der Bewahrung von Freiheiten und der Förderung öffentlicher Deliberation.

Die Journalistin, Soziologin, Kolumnistin und Aktivistin Agata Szczęśniak, die für das Faktenkontroll- und Investigativmagazin OKO.press in Polen arbeitet, sagte, die Menschen müssten sich gegen alle Maßnahmen wehren, die zu Autoritarismus führen. Es reiche nicht aus, die Fakten zu präsentieren und die Menschen über Probleme zu informieren. “Es gibt die Annahme, dass die Menschen aufgeklärt werden, wenn man ihnen Fakten präsentiert. Das ist nicht wahr.” Szczęśniak fügte hinzu, dass die Menschen Fakten im Rahmen ihrer eigenen Kultur und ihrer bestehenden Überzeugungen lesen und aufnehmen, aber sie sieht die Medien dennoch in einer wichtigen Rolle bei der Präsentation von Fakten für eine breite Öffentlichkeit. Sie forderte die Menschen auf, insbesondere unabhängige Medien zu unterstützen. Nur so könne ihr Überleben und ihre Fähigkeit, verantwortungsvoll zu berichten, gesichert werden.

Die Redner:innen waren sich einig, dass gesellschaftliche Beratungen nur mit einer gemeinsamen Basis erfolgreich sein können und so das Problem der Polarisierung angegangen werden kann – insbesondere auch in der polnischen Gesellschaft.

Professor Andrzej Krakowski, ein in den USA lebender Filmregisseur, Produzent, Lehrer, Schriftsteller und Karikaturist, sprach über seine Erfahrungen mit der Ausweisung aus Polen während antisemitisch motivierter Vertreibungen im Jahr 1968. Er rief die Menschen dazu auf, einander zuzuhören und in einen Dialog zu treten, um Ideen auszutauschen: “Wir können nicht ständig Pflaster auf die Wunden kleben, wenn wir nicht verstehen, woher die Wunden kommen.“  Krakowski sagte, es gebe ein Überangebot an Informationen und Medien, und die Menschen wüssten nicht, wie sie kommunizieren sollten.

Shady Lady, eine polnische Dragqueen, Künstlerin und Aktivistin, deren Auftritte die Probleme der LGBTQ+-Gemeinschaft darstellen, betonte die Wichtigkeit echten Zuhörens statt bloßen Informations-Konsums. Laut Shady Lady sei die Polarisierung das größte Problem der Gesellschaft und die Kunst biete eine Möglichkeit, Menschen zu verbinden.

Michał Janicki, Maler, Creative Art Director und Leiter der Animationsabteilung von BreakThru Films in Polen, stimmte zu, dass die Kunst eine Rolle bei der Lösung von Problemen spielen kann. Seiner Meinung nach können Künstler einen Raum schaffen, in dem sich Menschen treffen und Ideen austauschen können. “Ich denke, Kunst kann viel bewirken, wir müssen nur mutig sein. Deliberation ist möglich, wenn wir nur bereit sind, uns im gleichen Raum zu treffen.“

Aktiv werden

Auch Krakowski appellierte an das Publikum, einander zuzuhören und bei der Lösung von Problemen mehr Eigeninitiative zu zeigen: “Der effektivste Weg ist, etwas zu tun. Wir sollten nicht auf Veränderungen drängen, sondern sie selbst herbeiführen.”

Dr. William Tayeebwa, Dozent für Journalismus und Kommunikation an der Makerere-Universität in Uganda, erklärte in einer Videobotschaft, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung in vielen afrikanischen Ländern ebenfalls unter Druck stehe, Kunstschaffende sich jedoch zu Themen wie Regierungsführung, Menschenrechten und freier Meinungsäußerung zu Wort gemeldet hätten. Er forderte die Künstler in Europa auf, dies ebenfalls zu tun. “Angesichts der Zunahme rechtsgerichteter Politik in Europa ist die Arbeit von Künstler:innen und Kulturschaffenden umso wichtiger, um die Botschaft der Liebe und des Mitgefühls für den anderen zu verbreiten”.

Auf der Veranstaltung wurden auch Kunstwerke von Studierenden der Universität Warschau gezeigt, darunter eine digitale Fotoausstellung mit dem Titel “Freiheit! Wo bist du?“ und eine Tanzperformance zum Thema Freiheit.

Dieser Beitrag ist eine Zweitveröffentlichung von der Webseite des Projekts Mediadelcom.

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