In einer Zeit, in der Schlagzeilen und Hashtags die öffentliche Meinung prägen, wird die jüngste legislative Initiative der Europäischen Union zum Schutz der Pressefreiheit mit einer brutalen Realität konfrontiert. Angesichts des Inkrafttretens des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes (EMFA) im August 2025 warnt eine neue länderübergreifende Studie, dass ein Großteil der Medienlandschaft des Kontinents nach wie vor gefährlich anfällig für politische Einflussnahme ist.
In fast allen untersuchten Ländern dienen öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten als politische Echokammern, Regulierungsbehörden sind mit Loyalisten besetzt, und Steuergelder fließen unverhältnismäßig stark an befreundete Medien. Nur Finnland erhält Bestnoten. Dies ist das zentrale Ergebnis des ersten Media Capture Monitoring Report (MCMR), einer gemeinsamen Initiative des International Press Institute (IPI) und des Media and Journalism Research Center (MJRC). Diese erste Analyse vergleicht die Mediensysteme in sieben EU-Mitgliedstaaten – Ungarn, Polen, Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Finnland – mit den Benchmarks der EMFA. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Während die EU redaktionelle Unabhängigkeit und journalistische Freiheit propagiert, sieht die Realität vor Ort weitaus beunruhigender aus.
Während viele Regierungen ihre Gesetze demokratisch verbrämt haben, brummt die Einflussmaschinerie hinter den Kulissen weiter. Von parteiischen Ernennungen von Regulierungsbehörden und redaktionellen Übernahmen bis hin zu undurchsichtigen Finanzierungsströmen und monopolistischen Eigentumsstrukturen – die politischen Eliten sitzen weiterhin fest im Sattel. „Wenn die zugrunde liegenden politischen Strömungen, die den Einfluss der Regierung ermöglichen […], nicht angegangen werden“, warnt der Bericht, „laufen Rahmenwerke wie die EMFA Gefahr, zu wenig mehr als einer Augenwischerei zu verkommen.“
Warum dieser Bericht – und warum gerade jetzt? Um die Dringlichkeit der Ergebnisse des MCMR zu verstehen, ist es wichtig, das Konzept der Medienvereinnahmung zu begreifen. Im Gegensatz zu offener Zensur, die oft sichtbar und gewaltsam ist, wirkt die Vereinnahmung im Verborgenen – durch Hinterzimmergeschäfte, finanziellen Druck und strategische Ernennungen werden Institutionen kooptiert.
Der MCMR will dieses Phänomen anhand konkreter Indikatoren messen und eine Basislinie vor Einführung der EMFA liefern. Ab September 2025 wird er die Umsetzung der EMFA durch die nationalen Regierungen überwachen.
Im Rahmen des Projekts untersuchten lokale Forscher und Rechtsanalysten vier wichtige Vektoren der Vereinnahmung: die Unabhängigkeit der Medienregulierungsbehörden, die Autonomie der öffentlich-rechtlichen Medien, den politischen Missbrauch staatlicher Werbung und die Kontrolle der Eigentumsverhältnisse. Zusammen bilden diese Säulen einen Entwurf zur Identifizierung systemischer Schwachstellen. Die Methodik, die rechtliche Analysen, Datenerhebung, institutionelle Audits und Experteninterviews kombiniert, legt die Kluft zwischen geschriebenem Recht und gelebter Realität offen.
Die Guten, die Schlechten und die Vereinnahmten
Der MCMR zeigt, dass viele der untersuchten EU-Länder zwar auf dem Papier starke rechtliche Schutzmechanismen haben, diese jedoch oft unter dem politischen Druck zusammenbrechen.
Nehmen wir zum Beispiel die Regulierungsbehörden: Während die meisten Länder unabhängige Regulierungsgremien vorschreiben, sieht die politische Realität anders aus. In Ungarn haben Regulierungsbehörden eine Amtszeit von neun Jahren und werden von der regierenden Fidesz-Partei handverlesen, wodurch abweichende Meinungen fast ein Jahrzehnt lang ausgeschlossen sind. In Polen wurde die neue reformorientierte Regierung durch ein Veto des Präsidenten blockiert, das die Ersetzung der von ihrem Vorgänger eingesetzten Mitglieder der Regulierungsbehörde verhinderte. Das System in Rumänien ist ebenso prekär. Das Parlament kann den gesamten Vorstand der audiovisuellen Regulierungsbehörde einfach durch Ablehnung seines Jahresberichts entlassen – ein politisches Damoklesschwert, das über seinen Entscheidungen schwebt.
Wenn die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden schon wackelt, sind die öffentlich-rechtlichen Medien (PSM) in einer noch schwierigeren Lage. In Ungarn wurden die PSM ausgehöhlt und zu einem Sprachrohr der Regierung umfunktioniert. In der Slowakei kam es 2024 zu einer legislativen Umwälzung, als ein neues Gesetz den unabhängigen Rundfunk des Landes abschaffte und durch eine Einrichtung ersetzte, die politischer Einflussnahme stärker ausgesetzt ist. In Griechenland und Rumänien sind die Leiter der PSM politisch ernannt, ihre Budgets schwanken stark und ihre redaktionelle Ausrichtung ist an die Parteilinie der Regierung gebunden. Nur Finnland widersetzt sich diesem Trend. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk Yle ist durch eine starke gesetzliche Charta geschützt und von der täglichen politischen Einflussnahme abgeschirmt. Doch selbst dort gibt es Bedenken hinsichtlich seiner finanziellen Zukunft.
Der Missbrauch staatlicher Mittel ist ein weiteres wiederkehrendes Thema. Regierungen setzen staatliche Werbebudgets wie Knüppel ein, um Freunde zu belohnen und Kritiker zu bestrafen. In Ungarn werden regierungsnahe Medien mit öffentlichen Geldern überschüttet, während unabhängige Medien verkümmern. In Griechenland wurden COVID-Hilfen mit wenig Transparenz an befreundete Publikationen verteilt. Rumänien, die Slowakei und Bulgarien leiden unter dem Fehlen klarer Regeln für die Vergabe öffentlicher Mittel an Medien, was Begünstigungen und Willkür Tür und Tor öffnet. Der EMFA schreibt Transparenz vor, doch der Bericht sieht kaum Anzeichen für Veränderungen.
Selbst wenn Institutionen und Finanzierung vordergründig unabhängig sind, schleicht sich oft über Eigentumsstrukturen eine Vereinnahmung ein. In Ungarn wurden 2018 fast 500 Medienunternehmen in die KESMA überführt, eine regierungsfreundliche Stiftung, die sich der Wettbewerbsprüfung entzieht. In Griechenland sind Medienkonzerne eng mit Oligarchen verbunden, deren Vermögen von öffentlichen Aufträgen abhängt. Auch in der Slowakei und Bulgarien sind politisch orientierte Medienbarone keine Seltenheit. Selbst Finnland steht vor Herausforderungen: Die Konsolidierung im lokalen Nachrichtensektor schränkt die redaktionelle Unabhängigkeit ein.
Eine Geschichte von zwei Europas
Doch während bestimmte Trends in jedem der analysierten Länder zu beobachten sind, bleiben auch starke Kontraste bestehen. An einem Ende des Spektrums steht Finnland als funktionierende Demokratie mit unabhängigen Institutionen, pluralistischen Medien und robusten Schutzmechanismen. Die Ernennungen bei Yle erfolgen nach leistungsorientierten Verfahren, der Medienmarkt ist vielfältig und die Regulierungsbehörden sind weitgehend vor politischer Einflussnahme geschützt.
Am anderen Ende des Spektrums steht Ungarn, wo die Vereinnahmung der Medien zur Politik geworden ist und kein Zufall mehr ist. Seit 2010 hat die Regierung Orbán Ungarn in einen „vereinnahmten Staat“ verwandelt, wie manchesagen . Staatsfreundliche Oligarchen dominieren die Medienlandschaft, und die öffentlich-rechtlichen Medien sind nicht mehr von staatlicher Propaganda zu unterscheiden. Die Regulierungsaufsicht ist eine reine Alibifunktion.
Polen hatte unter der Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) einen ähnlichen Wegmit parteiischen Ernennungen und verzerrter staatlicher Werbung eingeschlagen. Aber die Wahlen vor fast zwei Jahren haben die Tür für Reformen geöffnet. Ob die neue Regierung die öffentlichen Medien reformieren und das Vertrauen wiederherstellen kann, bleibt abzuwarten.
Rumänien, Bulgarien und die Slowakei befinden sich in einer unklaren Mitte. Alle drei Länder haben Reformen auf den Weg gebracht, deren Umsetzung jedoch uneinheitlich verläuft. In Rumänien ist die politische Einflussnahme auf die Führung der öffentlich-rechtlichen Medien nach wie vor weit verbreitet, und staatliche Werbegelder werden hinter verschlossenen Türen verteilt. In Bulgarien fehlen durchsetzbare Regeln für die Ernennung von Regulierungsbehörden. Die Gesetze der Slowakei sehen auf dem Papier gut aus, werden aber nur lax durchgesetzt. Schlimmer noch: Die Regierung von Ministerpräsident Robert Fico greift seit einiger Zeit offen die öffentlichen Medien des Landes an und macht sie zu einem Instrument der staatlichen Propaganda. In Griechenland wird der Medienpluralismus durch einen gemütlichen Club oligarchischer Eigentümer und zahnloser Regulierungsbehörden untergraben. Staatliche Werbegelder werden ohne Kontrolle verteilt, was oft das bestehende Medienmonopol noch verstärkt.
Der Weg in die Zukunft
Was kann also getan werden und wie geht es weiter? Zunächst einmal gibt es eine Reihe von Herausforderungen im digitalen Bereich, die über nationale Regulierungsbehörden und Gesetze hinausgehen und weitere Untersuchungen erfordern. Während sich die EMFA in erster Linie auf traditionelle Medienstrukturen konzentriert, ist das digitale Informationsökosystem – insbesondere Social-Media-Plattformen und algorithmische Bereitstellung von Inhalten – bereits zu einem parallelen Schauplatz für Einflussnahme und Manipulation geworden.
In vielen der untersuchten Länder haben politische Akteure gelernt, diese Plattformen zu nutzen, um die traditionelle Medienkontrolle zu umgehen. Staatlich unterstützte Botschaften überschwemmen Facebook-Feeds, parteiische Influencer dominieren YouTube, und TikTok ist zu einem bevorzugten Medium für subtile, algorithmengerechte Propaganda geworden. Die Vereinnahmung der Medien macht nicht mehr vor den Türen der Redaktionen Halt, sondern reicht bis in die Taschen der Menschen hinein, über Apps, die sie täglich nutzen.
Dieser neue Bereich ist nach wie vor gefährlich unterreguliert. Algorithmen verstärken polarisierende Inhalte, und Moderationsentscheidungen werden hinter verschlossenen Türen getroffen, ohne dass die Öffentlichkeit Einfluss nehmen kann. Die EU muss ihre digitale Gesetzgebung stärker an den Zielen der Medienfreiheit ausrichten und sicherstellen, dass Tech-Giganten nicht zu Akteuren der politischen Vereinnahmung werden.
Außerdem hebt die Studie die kritische Lage der lokalen Medien hervor. In weiten Teilen Mittel- und Osteuropas hat der Niedergang regionaler Zeitungen und Radiosender ein Nachrichtenvakuum geschaffen, das leicht von politischenAkteuren gefüllt werden kann. Bürgermeister, Kreisräte und Provinzregierungen sponsern zunehmend ihre eigenen Medien und verwandeln sie in Plattformen zur Selbstdarstellung und zum Schweigen der Opposition.
In Rumänien beispielsweise verwenden Kreisverwaltungen häufig öffentliche Mittel, um Medienprojekte zu subventionieren, die den lokalen politischen Interessen entsprechen. In Bulgarien gibt es Dutzende kleiner Online-Medien, die ausschließlich dazu dienen, positive Pressemitteilungen im Austausch gegen Werbeverträge abzudrucken. Diese Formen der Vereinnahmung auf Mikroebene finden weniger Beachtung als nationale Skandale, sind aber langfristig wohl schädlicher, insbesondere für das zivile Engagement in ländlichen oder wirtschaftlich benachteiligten Gebieten. Der MCMR fordert Brüssel nachdrücklich auf, die Überwachung auf lokaler Ebene in seine Kontrollinstrumente zu integrieren. Ohne die Berücksichtigung dieser Mikrodynamiken laufen ganze Regionen Gefahr, zu demokratischen Wüsten zu verkommen – was erst dann sichtbar wird, wenn Wahlergebnisse Alarmglocken läuten.
Letztendlich kann der EMFA als Eckpfeiler dienen, aber nur, wenn er mit Nachdruck umgesetzt wird. Der MCMR zeigt einen Weg nach vorn auf: entpolitisierte Regulierungsbehörden, garantierte Budgets für PSM, radikale Transparenz bei den Werbeausgaben des Staates und durchsetzbare Obergrenzen für die Konzentration von Medienbesitz.
Der Bericht fordert die Europäische Kommission auf, nicht nur als Schiedsrichterin, sondern als wachsame Vollstreckerin zu agieren – ausgestattet mit Daten, gestärkt durch Gesetze und unterstützt durch die Zivilgesellschaft. Ohne bestimmtes Handeln und politischen Mut könnte die Medienlandschaft Europas weiter in Richtung Vereinnahmung abdriften und die Demokratie von innen heraus untergraben.
Den gesamten Report finden Sie hier.
Schlagwörter:Europa, Forschung, MediaCapture, Medienfreiheit, Mediensysteme