“Medienkritik ist nötiger denn je”

11. November 2011 • Qualität & Ethik • von

Das „Jahrbuch Qualität der Medien“ erscheint, und einige Medienleute heulen auf. Das war so 2010, als das vom Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich verfasste Jahrbuch erstmals herauskam, und 2011 bleibt es so.

Die empörten Medienchefs erörtern nur am Rande wichtige Befunde der wissenschaftlichen Studie: die wachsende Vorliebe vieler Medien für „weiche“ und eher irrelevante Themen; der Hang, Ereignisse auszuschlachten statt Entwicklungen längerfristig zu verfolgen; der fast unvermeidliche Verlust an Fachkompetenz in kleiner werdenden Redaktionen; der wachsende Einfluss der PR-Strategen auf diese Redaktionen; die Neigung, Meldungen der SDA und anderer Nachrichtenagenturen nicht als solche zu kennzeichnen; die oft unkritische Haltung; oder die Medienkonzentration.

Wer in den Medien arbeitet und diese liebt, weiß nur zu gut, dass die Branche allen Grund hat, sich selbstkritisch über die eigene Arbeit zu beugen. Aber statt sich mit unbequemen wissenschaftlichen Studien konstruktiv auseinanderzusetzen, versucht man die Kritiker zu diskreditieren, ihnen die Kompetenz abzusprechen. Genau das taten maßgebliche Banker vor der Finanzkrise: Sie machten jene Wissenschaftler und Politiker schlecht, die auf Fehlentwicklungen hinwiesen; die Forscher wurden belächelt oder totgeschwiegen, während den Politikern unterstellt wurde, ihre Triebfedern seien der Stimmenfang und der Neid. Die Finanzbranche weigerte sich, Kritiker ernst zu nehmen, das geriet ihr nicht zum Vorteil.

Noch schlimmer ist es, wenn die Medienbranche Kritik abzutun versucht: Ausgerechnet Medien, die tagaus, tagein die Arbeit der Politiker und Unternehmer bemängeln, reagieren geradezu allergisch auf Kritik an den Medien.

Meiner Erfahrung nach haben drei Berufsgruppen am meisten Mühe mit Kritik: Richter (weil sie es nicht gewohnt sind, von ihren „Kunden“, den Angeklagten, kritisiert zu werden); Ärzte (weil man den Arzt in der Regel wechselt, statt ihn zu kritisieren); und die Journalisten, viele dieser Berufskritiker hassen es, selbst kritisiert zu werden. Dabei sind die Medien Kinder der Aufklärung und mithin der Überzeugung, dass Erkenntnis aus der Debatte erwächst, der Kritik zu verdanken ist. Und gerade diejenigen, die öffentlich Kritik üben, sollten sich souverän der öffentlichen Kritik stellen und unbequemen Forschern dankbar sein, die mithelfen, ungute Tendenzen zu korrigieren oder abzuwenden.

Selbstverständlich kann auch die Arbeit dieser Wissenschaftler Schwächen aufweisen. Aber es ist billig, wenn kritisierte Medien einzig auf angebliche und im Einzelfall auch tatsächliche Mängel der wissenschaftlichen Medienkritik eingehen – auf diese billige Weise ignorieren oder relativieren sie die besten Argumente ihrer Kritiker. Damit bestätigen sie die Kritik, die sie Lügen zu strafen versuchen.  Ausnahmslos alle Medienhäuser – einschließlich der SRG – haben Qualitätsprobleme. Die Arbeit an der Qualität von Sendungen und Programmen, Artikeln, Blättern und Webseiten ist Dauerarbeit, sie fängt nie an, hört nie auf.

In der Mediengesellschaft und Mediendemokratie ist Medienkritik nötiger denn je. Mit dem Ansatz, der Methodik und den Befunden von Qualitätsstudien, die zum Beispiel auch das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) zum Ärger der Branche bei Forschern in Auftrag gibt, muss man nicht durchwegs einig gehen. Aber solche Studien sind unerlässlich, zumal sozusagen alle Deutschschweizer Zeitungen außer der „Neuen Zürcher Zeitung“ ihre Medienseiten beseitigt haben und die SRG medienkritische Sendungen – noch – nicht wieder eingeführt hat. (Das war übrigens der Grund, warum ich – vor meinem Wechsel zur SRG – als Mitglied der Trägerstiftung für das „Jahrbuch Qualität der Medien“ einsetzte; bei meiner Berufung trat ich aus Gründen der guten Governance zurück, da ja auch die SRG Gegenstand dieser Forschung ist.)

Den Auftraggebern von Qualitätsstudien wie zum Beispiel dem Bakom bin ich dankbar. Den Wissenschaftlern erst recht. Die Kritik in den Medien soll sie nicht etwa beirren, sondern bestärken.

Auszug aus dem Vortrag vom 10. Oktober 2011 vor dem Förderverein Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Bern

(leicht bearbeitetes Manuskript)

Zum Thema auf EJO:

Heftige Kontroversen um Qualitäts-Diskurs

 

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