Unsichere Zukunft für ukrainische Journalisten

23. März 2016 • Ausbildung, Internationales • von

In der Ukraine kann es sich nicht jeder leisten, als Journalist zu arbeiten. Trotz schlechter finanzieller Aussichten gibt es noch immer junge Leute, die den Beruf des Journalisten anstreben – und auch Hoffnung haben, in ihrem Land etwas bewegen zu können.

Ukraine_Journalist„Journalists can save Ukraine“, betitelte das Politik-Magazin politico.eu am 11. Dezember 2015 einen Artikel des früheren ukrainischen Investigativjournalisten Sergii Leshchenko. Journalisten, so Leshchenko, nun ein Mitglied von Poroshenkos Parlament, seien diejenigen, die Missstände in der Ukraine anprangerten. Sie seien es, die Investigationen zum Thema Korruption initiierten und am Laufen hielten, die Entwicklungen bemerkten, die anderen entgingen, und ansprächen. Mithilfe der neuen technischen Möglichkeiten und Verbreitungswege könnten sie sich schon bald von der Repression durch den Staat und von der Abhängigkeit von Geldgebern befreien: „ Früher oder später werden die Oligarchen ihr Informationsmonopol verlieren.“

Diese Annehme erscheint recht optimistisch, wenn man sich die aktuelle Lage von Journalisten in der Ukraine ansieht. Reporter ohne Grenzen setzt das Land auf der Weltrangliste der Pressefreiheit auf Platz 129 von 180 – mit der Begründung, Redaktionen in der Ukraine stünden unter Druck, zahlreiche Fernsehsender seien von Oligarchen aufgekauft worden oder würden durch Vergabe staatlicher Lizenzen gegängelt und Journalisten, die kritisch berichten, müssten mit Gewalt rechnen, die zudem nur selten bestraft werde.

Während Yanukowitschs Regime war die Presse- und Meinungsfreiheit in der Ukraine massiv eingeschränkt. Nach dem Fall Yanukowitschs schien sich die Lage zu entspannen, aber auch noch jetzt leiden Journalisten unter Repressalien, müssen besonders auf der Krim und im Donbass gar um ihr Leben fürchten. Am 9. Januar 2015 wurde die Reporterin Maria Varfolomeyafa in Luhansk inhaftiert. Man warf ihr Spionage für ukrainische Rechtsnationalisten vor und setzte eine Strafe von 15 Jahren Gefängnis an – am 3. März verkündete Präsident Poroshenko aber über Facebook ihre Freilassung. Man habe Varfolomeyefa gegen zwei inhaftierte angeblich russische Militantinnen ausgetauscht.

Doch auch Petro Poroshenko sieht Journalisten als eine Bedrohung: 2015 verhängte der Staatspräsident für eine Liste ausländischer Journalisten ein Einreiseverbot, da sie eine „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ darstellten – laut Reporter ohne Grenzen ein ausdrücklicher Verstoß gegen die Pressefreiheit. Auch mehrere westliche Reporter waren betroffen. Nach internationalen Protesten wurden einige wieder von der Liste gestrichen.

In der immer noch unklaren Situation stellt sich die Frage: welche Zukunft hat der Journalismus in der Ukraine, und vor welcher Zukunft stehen junge oder angehende Journalisten?

Viktor Zablotsky, ehemals Redakteur für Internationales beim Online-TV-Sender hromadske.tv, teilt Sergii Leshchevkos Optimismus nicht. Als er im Oktober 2015 einer Gruppe ukrainischer und deutscher Studierenden den Sender zeigte, riet er den ukrainischen explizit davon ab, auf einen sicheren Job als Journalist zu hoffen. „Journalismus ist ein Schritt in eurer Entwicklung, nichts, worauf man seine Zukunft setzen sollte.“ Hromadske.tv existiert seit 2013 – es ist ein Produkt des Euromaidan. Damals wollten alle aktuelle Informationen von den Demonstrationen, und am schnellsten vor Ort waren nicht die etablierten Medien, sondern Leute wie Viktor Zablotsky. Mit den Kameras ihrer Smartphones und Tablets streamten sie live vom Unabhängigkeitsplatz und erreichten an manchen Tagen mehrere Tausend Online-Zuschauer. Ein schneller Erfolg für das junge hromadske.tv – doch inzwischen wurden die 20 Journalisten und Aktivisten von der ökonomischen Realität eingeholt.

Nachdem sich die Lage in Kiew beruhigt hatte, brach der thematische Schwerpunkt des Senders weg und damit auch viele Zuschauer. Geld verdienen, so Zablotsky, könne man bei einem solchen Projekt nicht. Auch er kann dies nicht: inzwischen arbeitet er als Berater für öffentliche Kommunikation beim Ukrainian Social Investment Fund (USIF). „Die Probleme des ukrainischen Journalismus sind sehr komplex”, berichtet Zablotsky aus seiner Erfahrung. „Alle großen Nachrichtenmedien gehören Oligarchen und unsere Medien sind keine Wirtschaftsinstrumente, sondern Instrumente öffentlichen und politischen Einflusses. Sie erzielen nur Verluste, keinen Profit. Und Journalisten sind in erster Linie Instrumente in einem Informationskrieg zwischen zwei Oligarchen oder zwischen einem Oligarchen und dem ukrainischen Staat.”

Aber auch abgesehen von Sicherheitsbedenken und Korruption ist die Situation ukrainischer Journalisten nicht einfach. „Die Gehälter sind niedrig. Es ist kaum möglich, vom Journalismus zu leben“, beklagt Zablotsky. “Wir haben keine einzige sichere Finanzquelle, die für die professionelle Arbeit zahlt und sich mit den Medien als Wirtschaftsunternehmen auseinandersetzt. Aus diesem Grund sind unsere Journalisten Watchdogs der lokalen Oligarchie oder sie sind stark abhängig von Finanzhilfen aus dem Ausland, so wie hromadske.tv. Im letzteren Fall hat man keine großen Chancen, gesehen zu werden und ein größeres Publikum zu beeinflussen.“

Elina Sardalova gehört zu denjenigen, die sich trotz aller Unwägbarkeiten zu Journalisten ausbilden lassen. Die 22-Jährige studiert im ersten Mastersemester an der Kyiv Mohyla School of Journalism. „Ich recherchiere gerne, und ich habe Lust, Probleme aufzudecken und Geschichten zu erzählen, die einen persönlichen Einfluss auf diejenigen ausüben, die sie lesen oder sehen. Irgendwie mag ich das Gefühl der Verantwortung, das unvermeidlich ist, wenn man diesen Beruf ernst nimmt”, sagt die Studentin. Auch sie denkt, es wäre in der heutigen Zeit unwahrscheinlich, dass man von nur einem Job leben könnte, und möchte sich die Option offen halten, später Übersetzerin oder Dolmetscherin zu werden.

Otar Dovzhenko lehrt an der Ukrainischen Katholischen Universität in Lwiw Journalistik. Selbst Journalist und Buchautor, findet er harte Worte für den Berufsstand: „Die Mehrheit der jungen Leute, die Journalismus wählen, werden von der Illusion geleitet, dies sei ein romantischer und profitabler Job. Die meisten sind schockiert von der Realität, wenn sie herausfinden, was es wirklich heißt in der Ukraine Journalist zu sein. Das gilt besonders für die Mainstream-Medien – deshalb hoffen viele unserer Studenten, in internationalen Nachrichtenagenturen unterzukommen oder ihre eigenen Medien-Startups zu gründen. Das ist für sie die einzige Chance, ihre professionellen Standards zu wahren.“

Er sagt, in den 2000er Jahren sei Journalist noch ein prestigeträchtiger Job in der Ukraine gewesen, mit einer Bezahlung von durchschnittlich umgerechnet 900 Euro in der Hauptstadt und 450 Euro in den Regionen auch recht einträglich. Seit der Finanzkrise 2008/2009 habe sich die wirtschaftliche Situation aber gravierend verschlechtert und sei ab 2014 vollkommen abgesackt. Jetzt verdienen junge Journalisten laut Aussage des Dozenten in Kiew nur noch 180 bis 270 Dollar, im Rest des Landes sogar nur 130 bis 180 Dollar. „Es ist wirklich schwierig, einen guten Posten zu finden, vor allem, wenn man jung und ohne Erfahrung ist.“ Aus diesem Grund würden auch etwa 60 Prozent der Absolventen von Journalistenschulen in anderen Berufen arbeiten. Dovzhenko erwähnt auch, dass zwei Drittel der ukrainischen Journalisten Frauen seien – „Männer, die in unserer eher konservativen Gesellschaft das Brot für die Familie verdienen müssen, können es sich nicht leisten, als Journalisten zu arbeiten.“

Wenn Otar Dovzhenko junge Journalisten ausbildet, sorgt er dafür, dass sie möglichst breit aufgestellt sind; dass sie sich mit verschiedenen Medien und Techniken, vor allem auch dem Internet, auskennen und über ein solides Grundwissen verfügen. So möchte er sie so gut wie möglich auf ihre Zukunft vorbereiten. Dennoch glaubt er: „Wer Journalist werden will, muss früh anfangen, so mit 18 bis 20 Jahren, und auch früh wieder damit aufhören. Spätestens mit 30 sollte man Arbeit als Medienmanager finden oder in die PR oder Werbung gehen.“

Trotz dieser bitteren Aussichten gibt es noch immer junge Leute, die den Beruf des Journalisten anstreben – und auch Hoffnung haben, damit in ihrem Land tatsächlich etwas bewegen zu können. „Ich habe das Gefühl, dass junge Journalisten das Leben der Menschen ändern können oder auch Prozesse im Land beeinflussen können. Ich möchte das auch schaffen – am liebsten durch investigativen Journalismus. Journalisten und NGOs sind die einzigen, die hier etwas gegen Korruption tun können”, sagt Mariya Yuzych, die ebenso wie Elina Sardalova den Master an der Kyiv Mohyla School of Journalism absolviert und für die englischsprachige Tageszeitung The Day in Kiew eine Kolumne über IT-Innovationen schreibt. Mariya glaubt, dass Journalisten die Mittel zur Aufdeckung von Korruptionsskandalen offen stehen, zum Beispiel die öffentlich zugänglichen Staatsregister. Obwohl viele Löhne in der Ukraine sicherlich niedriger seien als anderswo, hält sie es für realistisch, später einmal vom Journalismus leben zu können. „Ehrlich gesagt habe ich auch noch nie als etwas anderes gearbeitet – nur als Journalistin.“

Könnten ukrainische Journalisten ihr Land retten, wie Leshchenko hofft? Zunächst müssen sie schaffen, sich selbst zu retten. Was sie sich alle wünschen: dass das Ausland auf die Situation in der Ukraine aufmerksam wird und Interesse zeigt. Je mehr die Obrigkeiten unter öffentlichen Druck geraten, umso größer ist die Chance, dass sich etwas ändert. So sagt Otar Dovzenko: „Ich versuche, optimistisch zu sein. Junge Menschen sind weniger abhängig von Propaganda, Zensur und Journalismus im Sowjetstil als die Generationen ihrer Eltern und Großeltern. Sie starten ihre eigenen Projekte und versuchen, damit Geld zu verdienen. Die Mainstream-Medien der Oligarchen haben viel Macht – aber ich hoffe, in fünf bis zehn Jahren wird es Alternativen geben.“

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer dreitägigen Exkursion nach Kiew mit Studierenden des Instituts für Journalistik der TU Dortmund unter der Leitung von Tina Bettels-Schwabbauer, leitende Redakteurin der deutschen EJO-Seite, und Dariya Orlova, leitende Redakteurin der ukrainischen EJO-Seite.

Bildquelle: saritarobinson

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