Keine Frage der Moral

8. September 2016 • Medienökonomie • von

In kaum einer anderen Branche wird so viel gelogen wie in den Medien – aber nicht aus Mangel an Moral.

below-257882_1280Vor einem Jahr schrieb ich an dieser Stelle kritisch über den TV-Jugendsender Joiz. Ich schrieb: „Der Sender ist kein Erfolg.“

Kurt Schaad, ehemaliger SRF-Moderator und langjähriger VR-Präsident von Joiz, sandte darauf der Weltwoche eine lange Entgegnung zu. Er schrieb: „Joiz ist gut unterwegs und schreibt in der Schweiz schwarze Zahlen.“

Schwarze Zahlen? Es war eher brandschwarz.

Vor zwei Wochen ging Joiz in Konkurs. Die 75 Mitarbeiter stehen auf der Straße. Der Jugendsender, so musste er nun verzögert bestätigen, war gar nicht gut unterwegs und seit langem massiv überschuldet.

Wer Joiz nun für eine Ausnahme hält, der irrt. Was der Jugendsender vorführte, ist eher der Standard der Medienindustrie.

Ich glaube, kein anderer Geschäftszweig holt dermaßen ungeniert das Blaue vom Himmel herunter wie das Mediengewerbe. Selbst die dubiosesten Banken und Versandhäuser kommunizieren heute offen schlechte Zahlen und sinkende Umsätze. Bei den Medien hingegen drücken sie sich noch so gerne um die Wahrheit herum.

Es gibt dafür unzählige historische Beispiele. Kurz bevor etwa Christoph Blochers Übernahme der Basler Zeitung bekannt wurde, bestritt er dies noch vehement. Kurz bevor die NZZ in Österreich ihre Online-Aktivitäten zusammenstrich, bejubelte sie noch ihren Großerfolg in Wien. Kurz bevor Gratiszeitungen wie News und .ch vom Markt verschwanden, feierten sie sich noch als Sieger im Wettbewerb. Kurz bevor Tamedia ihre Thurgauer Zeitung an die NZZ verkaufte, schwor sie noch, das Blatt nicht in fremde Hände zu geben.

Heiter daran ist, dass die Medien und die Journalisten sonst bei jeder Gelegenheit mehr Transparenz und noch mehr Transparenz fordern. In eigener Sache hingegen hält man nicht viel von diesem Gebot.

Nun hat dies aber nicht mit dem sündigen Zustand einer ganzen Branche zu tun. Es ist nicht eine Frage der Moral. Es ist die Konsequenz einer sehr speziellen Marktsituation. Denn die Medien sind die einzigen Unternehmen dieser Welt, die ihr Geld nicht mit ihren Kunden und Käufern verdienen.

Volkswagen verdient sein Geld mit seinen Autokäufern. Swiss verdient ihr Geld mit ihren Passagieren. Migros verdient ihr Geld mit ihren Einkaufskunden. TV- oder Radiosender wie Joiz, Tele Züri oder Radio Energy verdienen mit ihren Kunden hingegen keinen Rappen. Kein Zuschauer oder Hörer zahlt für ihr Produkt. Es sind Gratisangebote. Die Einnahmen der Firmen kommen ausschließlich aus der Werbung.

Bei klassischen Zeitungen ist es nur teilweise anders. Hier tragen die zahlenden Abonnenten, also die Kunden der Blätter, die Hälfte des Gesamtumsatzes bei. Die andere Hälfte stammt wiederum aus der Werbung.

Die Abhängigkeit von der Werbung prägt die interne Kultur. Es ist die Medienkultur Münchhausens. Der schöne Schein muss unbedingt aufrechterhalten bleiben, allenfalls bis kurz vor dem Konkurs. Denn niemand, so glaubt die Branche, wird Werbegelder in einen erfolglosen TV-Kanal oder ein erfolgloses Blatt stecken. Man betreibt darum permanente Schönfärberei.

Ein hübsches Beispiel lieferte etwa der Tages-Anzeiger. Das Blatt hatte seit seinen besten Zeiten über 100 000 Exemplare an Auflage verloren. Den Lesern kommunizierte man dann die Siegesmeldung, man habe „Marktanteile gewonnen“ und bei der Auflage den Blick überholt. Kein Wunder. Denn der hat seit seinen besten Zeiten sogar 200 000 an Auflage verloren.

Und was sagte der Blick? „Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, danken wir herzlich für Ihre Treue!“

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 1. September 2016

Bildquelle: pixabay.com

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