Preziosen der Weiterbildung

10. September 2013 • Ausbildung • von

Sie wirken wie Relikte aus der Vergangenheit, dabei sind sie für den Journalismus notwendiger und unverzichtbarer denn je: die Nieman Fellowships an der Harvard Universität und die Reuters Fellowships an der Universität Oxford feiern im September nahezu zeitgleich ihre Jubiläen.

Das weltweit älteste und immer noch renommierteste Weiterbildungsprogramm für Journalisten in Harvard wird 75 Jahre alt, sein europäischer Klon in Oxford kann auf 30 Jahre Erfolgsgeschichte zurückblicken.

In Zeiten, in denen SMS zusehends Briefe und Tweets lange Zeitungsartikel ersetzen, der Blick aufs große Ganze abhandenkommt und die öffentliche Kommunikation in einem Brei oberflächlicher, PR-gesteuerter News zu ersticken droht, bieten diese einjährigen Programme Journalisten die Gelegenheit, an renommierten Hochschulen „aufzutanken“ und sich ohne Zeitdruck mit Rechercheprojekten zu befassen, für die es inzwischen allerorten an Ressourcen und Muße fehlt.

„Unser Programm ist stark inspiriert von den Nieman Fellowships“, sagt David Levy, einer der Direktoren des Reuters Institute for the Study of Journalism und EJO-Partner, um dann den „kleinen“ Unterschied zu erläutern: „Am Nieman-Programm sind die Teilnehmer jeweils zur Hälfte Amerikaner, wir sind viel internationaler. Maximal zehn Prozent unserer Fellows sind Briten. Außerdem müssen sich unsere Fellows seit einigen Jahren in einem Research Paper mit Journalismus auseinandersetzen – das wiederum stupst professionelle Selbstreflexion an und befruchtet auch unsere eigenen Forschungsarbeit. Außerdem wirken die Teilnehmer auf diese Weise auch verstärkt auf ihre Redaktionen zurück und nehmen nach ihrer Rückkehr mitunter sogar Einfluss auf die Entwicklung des Journalismus in ihrem Land.“

Beide Veranstalter haben sich zu ihren Jubiläen Originelles einfallen lassen, von dem auch Journalisten und Medieninteressierte profitieren können, die nicht zu den Feierlichkeiten eingeladen sind: Vom Nieman Center wurden Schätze aus der Bibliothek geborgen und als „Sommerlektüre“ online wieder zugänglich gemacht – ältere Texte von Medienkritikern, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Das Reuters Institute for the Study of Journalism hat als Keynote-Speaker Mark Thompson eingeflogen, den CEO der New York Times Co. und vormaligen Generaldirektor der BBC, und ihn zur „Ökonomik des Zeitungsjournalismus“ referieren lassen.

Den mutigsten Sprung in die digitale Zukunft des Journalismus hat man bisher allerdings andernorts vollzogen, im Silicon Valley: Stanford University hat vor ein paar Jahren seine Knight Fellowships komplett umgepolt – dort erhalten Journalisten inzwischen Gelegenheit, ihre unternehmerischen Talente zu testen und ein Jahr lang Projekte zu entwickeln, die Antworten auf die Frage nach zukünftigen Geschäftsmodellen für den Journalismus liefern sollen. Auf der Website des Programms werden besonders beeindruckende Arbeitsergebnisse vorgestellt.

Ähnliche einjährige Programme wie in Oxford und an der Harvard Universität gibt es nach wie vor an der Freien Universität Berlin sowie in den USA an der University of Michigan, der University of Maryland sowie am MIT für Wissenschaftsjournalisten und an der Columbia University für Wirtschaftsjournalisten. Bereits vor Jahren eingestellt werden mussten dagegen die Weiterbildungsofferten an der University of Chicago, der Yale Law School und der Princeton University.

In der alten Welt ist es bisher – mit der Ausnahme des Programms in Oxford – nicht gelungen, in vergleichbarer Dichte und Qualität solche Angebote zu institutionalisieren. Stiftungen böte sich hier ein weites und wichtiges Betätigungsfeld, aber auch der EU, die weit mehr Steuergelder in ihre eigene PR-Arbeit als in europäische Journalismus-Infrastrukturen investiert.

Erstveröffentlichung: NZZ vom 10. September 2013

Bildquelle: Alexandra H.  / pixelio.de

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