In Stanford fördert die Knight Foundation Ideen, welche den Journalismus für die digitale Ära fit machen sollen. Die zahlreichen Entwicklungen verdienen Beachtung.
Spätestens mit der „Digital News Initiative“ von Google und dem jüngsten Kooperations-Angebot von Facebook, Inhalte renommierter Medienhäuser direkt auf die Plattform des sozialen Netzwerk-Giganten zu stellen, hat es sich auch in Europa herumgesprochen: Im Silicon Valley wird derzeit nicht nur das „Internet der Dinge“ und mit ihm das fahrerlose, batteriegetriebene Automobil neu erfunden, sondern auch der Journalismus.
Als „Brutstätte“ dient einmal mehr auch die Stanford University: Sie hat ihre John S. Knight Fellowships (JSK), eines der weltweit prestigeträchtigsten Weiterbildungsprogramme für Journalisten, umgebaut zu einer Experimentierstätte für „entrepreneurial journalism“. Dabei wird die „unternehmerische“ Dimension nicht allzu eng definiert. Gemeint sind nicht nur kommerzielle Projekte, sondern auch gemeinnützige Initiativen, die den Journalismus voranbringen. Der Autor dieses Textes hatte zwei Monate lang Gelegenheit, sich dort umzusehen.
Wie haben Knight-Fellows ihre Zeit in Stanford genutzt, und was konnte nach dieser Auszeit weiterentwickelt werden? Ein paar „Vorzeigeprojekte“ geben vorläufige Antworten. Veryfied Pixel soll Redaktionen helfen, Bildmaterial auf Echtheit zu überprüfen. Seitdem jedermann mit seinem Smartphone zum „Fotoreporter“ werden und obendrein dank Photoshop nahezu beliebig Bilder manipulieren kann, stellt sich vor allem für große Redaktionen diese Herausforderung, so Samaruddin Stewart. Während seiner Zeit als Knight Fellow hat Stewart ein Startup mitbegründet, das verschiedene Software-Programme in einen einzigen „workflow“ zusammenführt, um Fälschungen einfacher und zuverlässig zu erkennen. Technisch ist das Projekt weit fortgeschritten; jetzt gilt es, die Dienstleistung zu vermarkten.
David Sarno will neue Möglichkeiten nutzen, die das Internet bei der Visualisierung von Sachverhalten eröffnet. Dreidimensionalität, so ist Sarno überzeugt, kann nicht nur in Videospielen und im Kino für zusätzlichen Kitzel sorgen, sondern auch bei erklärenden Informationen im Journalismus helfen, komplexe Themen plastisch zu veranschaulichen. Das versucht er Redaktionen nahezubringen. Seine Firma Lighthaus entwickelt Software, die genau das leistet und dazu mit Animation arbeitet, aber auch die Nutzer interaktiv ins Geschehen mit einbezieht.
Ein weiteres Projekt soll es News-Junkies erleichtern, den Überblick zu behalten, und Fernsehnachrichten rund um die Uhr zugänglich machen. Adriano Farano, der Mitbegründer von Watchup, hat dazu eine App entwickelt. Sie funktioniert, so der Vergleich des Nieman Lab von der Harvard University, „ähnlich wie Hulu bei TV-Programmen und Netflix bei Spielfilmen“.
Andy Donohue, der am Center for Investigative Reporting (CIR) im nahe gelegenen Emoryville auf der anderen Seite der San Francisco Bay arbeitet, hat seine Zeit in Stanford genutzt, um Scratch weiterzuentwickeln. Es ist eine Spielart von Lokaljournalismus, die gründliche Recherche mit „community building“ kombiniert. Die Redaktion wird dabei zum aktiven Gestalter kommunaler Politik; sie hilft – bottom-up statt top-down –, Alltagsprobleme der Bürger zu identifizieren, indem sie diese publik macht und dann die Betroffenen in die vertiefende, investigative Recherche mit einbezieht, um schliesslich Problemlösungen zu erarbeiten. Mobilisierung und bürgerliches Engagement sollen so auch dazu beitragen, die Leserbindung und die Wirkungsmacht des Journalismus zu steigern.
Zugegeben, hier wird nicht das Rad neu erfunden, aber zumindest versucht, web-affin das bereits in die Jahre gekommene Konzept des „public journalism“ neu zu denken. Es ist zugleich ein Ansatz, auf lokaler Ebene „konstruktiven Journalismus“ zu verwirklichen, ein Konzept, das in Europa intensiv diskutiert wird, seit der dänische TV-Journalist Ulrik Haagerup im Sommer sein gleichnamiges Buch publiziert hat.
Matter wiederum ist, wie das Fellowship Program in Stanford selbst, ein Inkubator. Das von Corey Ford mitgegründete Unternehmen in San Francisco wirkt auf der „Meta-Ebene“. Es ist selbst ein Startup – aber einer, der andere Startups über ein paar Monate hinweg berät und einem systematischen „Realitätscheck“ unterzieht. Gerade dieses Angebot ergänzt sinnvoll die Aktivitäten des Knight-Programms. Denn zehn Monate, so dessen Direktor Jim Bettinger, seien „eine zu kurze Zeit, um den Journalismus neu zu erfinden, oder auch nur, um ein Unternehmen auf die Schiene zu setzen.“ Bettinger gibt zu, dass man sich anfangs eher zu viel vorgenommen habe: „Am wertvollsten für die Teilnehmer“ sei es, wie sie „die eigenen innovativen und unternehmerischen Fähigkeiten entwickeln“, indem sie an ihrem jeweiligen Projekt weiterarbeiteten. Dies präge auch die Zeit nach dem Fellowship nachhaltig.
Das Jahr in Stanford bietet jedenfalls die Chance, unter traumhaften Rahmenbedingungen arbeiten zu können, sich mit Forschern, Unternehmern und Business Angels zu vernetzen und sich vom Spirit des Silicon Valley anstecken zu lassen. Auch die beiden anderen Universitäten, die herausragende Fortbildungsofferten für berufserfahrene Journalisten anbieten, haben auf den Innovationsdruck reagiert: An der Harvard University wurde bislang zwar an der klassischen Ausrichtung der Nieman Fellowships festgehalten: Sie sollen vor allem den Edelfedern im Journalismus Gelegenheit zum „Auftanken“ geben. Aber mit dem Berkman Center for Internet and Society und dem Nieman Lab, gegründet 1998 bzw. 2008, sind ebenfalls Orte entstanden, an denen intensiv über die Zukunft des Journalismus nachgedacht wird. Am 2006 entstandenen Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford werden die Fellows, ähnlich wie in Stanford, angehalten, sich in ihren Rechercheprojekten mit der Journalismus-Zukunft auseinanderzusetzen. Den Standort-Vorteil, in nächster Nähe der „Teenage“-Giants Facebook und Google und Hunderter noch unbekannter Internet-Start-ups zu operieren, hat allerdings nur Stanford zu bieten.
Mit dem Fokus auf Innovation, Unternehmergeist und „leadership” geht Optimismus einher, wie er so hochkonzentriert wohl nur in der Bay Area zwischen San Jose und San Francisco zu finden ist. Bettinger mag beim Blick auf die gegenwärtige Medienlandschaft vor allem sehen, dass sie „voller Möglichkeiten“ steckt – auch wenn er natürlich nicht leugnet, dass der Journalismus in den USA noch mehr als anderswo zerzaust wird, weil seine traditionelle Finanzierung aus üppigen Werbeerlösen nicht mehr funktioniert.
Eines der besten Beispiele für diesen Niedergang findet sich ebenfalls vor Stanfords Haustür. Vor 15 Jahren noch galt die San Jose Mercury News als Prototyp der Tageszeitung, die den Übergang ins digitale Zeitalter kreativ bewältigt. 470 Journalisten arbeiteten, so Bettinger, in der Redaktion. James Batten, damals CEO des Mutterhauses und zweitgrößten Zeitungskonzerns Knight-Ridder, hatte erkannt, wo die Musik spielt: Er verlegte kurzerhand den Firmensitz von Miami nach San Jose und betrieb dort eines der aufwendigsten Forschungs-Laboratorien, um sein Verlagshaus für kommende Zeiten zu wappnen.
Das allerdings hat nichts genützt – seine Nachfolger haben das Spiel vermasselt und 2006 den Konzern an den kleineren, danach hochverschuldeten Wettbewerber McClatchy verkauft. Der filetierte den Konzern und verkaufte große Teile davon umgehend weiter – darunter auch die Mercury News, bei der heute noch ganze 70 Redakteure arbeiten. Auch das gehört zum Raubtier-Kapitalismus des Silicon Valley.
Ein Teil der einstmals stolzen Konzern-Marke wird wohl dennoch künftige wilde Zeiten überleben, dank der Großzügigkeit des Mäzens John S. Knight: Er hat als Namenspatron des „Brutkastens“ in Stanford und eines hoch angesehenen Stiftungsprogramms zur Neuerfindung des Journalismus einen Ehrenplatz in der Ahnen-Galerie der kreativsten US-Verleger, Publizisten und Philanthropen verdient – gleich neben dem Zeitungstycoon Joseph Pulitzer, der ein Jahrhundert zuvor die Columbia School of Journalism gegründet und die Pulitzer-Preise gestiftet hat.
Erstveröffentlichung: NZZ vom 19. März 2016
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