Digitale Innovation und SOS-Notrufe für Print

17. März 2016 • Digitales, Redaktion & Ökonomie • von

Die erste Auflage des schmalen Bändchens war ratzfatz vergriffen. So schnell musste beim Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford noch nie ein Buch nachgedruckt werden. Die Rede ist von Lucy Küngs „Innovators in Digital News“, in dem die Autorin einen frischen Blick auf fünf digitale Medienunternehmen wirft, die weltweit als Innovationstreiber gelten.

tablet_zeitungDrei von ihnen sind digitale Startups, die den Durchbruch geschafft haben: Quartz, BuzzFeed, Vice Media. Zwei sind traditionelle Zeitungshäuser, die sich besser als die meisten Wettbewerber im digitalen Markt schlagen: Der Guardian und die New York Times.

Inzwischen ist der Titel wieder zu haben. Küng, die am Reuters Institute als Research Fellow arbeitet, an der Universität Oslo lehrt und auch als Verwaltungsrätin bei der SRG tätig ist, beschreibt detailliert die unterschiedlichen Strategien des erfolgreichen Quintetts und findet doch einige bemerkenswerte Gemeinsamkeiten. Wichtig sei es vor allem, journalistische, technologische und kommerzielle Kompetenzen zu mischen und die digitale Arena als Chance zu begreifen, statt nostalgisch den guten alten Zeiten florierender und hochprofitabler Zeitungshäuser nachzutrauern. Vor allem drei Elemente könnten im Zusammenspiel erklären, weshalb die Fünf zu den „high performers“ zählten: Erstens klare und einzigartige Zielvorgaben („singularity of purpose“) im Blick auf die Rolle der jeweiligen Organisation und den Nutzwert, den sie für ihre User kreiert. Zweitens smarte Führungspersönlichkeiten („high calibre leadership“) mit einer Vision und einer festen Verankerung in ihrer jeweiligen Organisationskultur, die ihnen Glaubwürdigkeit verleiht. Und drittens eine klare, unbeirrte Strategie, die Grenzen und Prioritäten setzt und Verzettelung vermeidet.

Küngs Buch basiert weitgehend auf Interviews mit leitenden Mitarbeitern der fünf Medienunternehmen. Es bietet dennoch mehr als „nur“ deren Selbstdarstellung – und zwar durch den impliziten Vergleich, den Küng selbst anstellt. Wie so oft in der Management-Literatur entkommt allerdings auch sie nicht einer Falle, die Verhaltensökonomen und Sozialpsychologen als „Survivorship Bias“ der Erfolgsverwöhnten bezeichnen. Der Schweizer Bestseller-Autor Rolf Dobelli hat ihn einmal so umschrieben: „Selbst wenn Ihr Erfolg auf purem Zufall basiert, werden Sie Gemeinsamkeiten mit anderen Erfolgreichen entdecken und diese zu ,Erfolgsfaktoren‘ erklären.“

Vermutlich kein Bestseller ist dagegen ein neues Buch von Michael Haller. Der emeritierte Leipziger Journalistik-Professor und Forschungsleiter an der Hamburg Media School erteilt nicht minder kluge Ratschläge wie Küng. Allerdings erinnert bereits der Buchtitel eher an einen Verzweiflungsappell, als dass er Heilserwartungen nähren würde: „Wir brauchen Zeitungen!“ Obendrein besteht – und das ist wohl beabsichtigt, aber marketingtechnisch gewiss eine Todsünde – Verwechslungsgefahr mit einem anderen Buch des Autors, das ein Jahr zuvor erschien: „Brauchen wir Zeitungen?“ Immerhin: Die Ratschläge und Tipps von Haller sind um Klassen besser als die verzagten Titel. Und die meist digitalen Erfolgsgeschichten deutscher Zeitungshäuser, die Haller im neuen zweiten Band vorstellt, verdienen allemal Aufmerksamkeit auch in den Redaktionen Österreichs und der Schweiz.

Als Orientierungsgröße, um Journalismus zu refinanzieren, propagiert Haller in seinen beiden Büchern die Formel 33:33:33: „Die Vertriebserlöse Print und Online (inkl. Paid Content) werden zusammen rund ein Drittel der Gesamtkosten abdecken. Ein weiteres Drittel können die Werbeträger online und offline einspielen. Das noch fehlende Drittel wird der Verlag erwirtschaften müssen, indem er sich zum Mediendienstleister erweitert.“ Solche Richtgrößen mögen Verlagsleitern und Chefredaktionen vorübergehend bei der Bewältigung der digitalen Herausforderungen helfen. Wenn allerdings die Printauflagen und damit die Werbeerlöse weiter so rapide einbrechen, wie das die jüngsten, von Richard Tofel auf der Investigativ-Plattfrom Pro Publica veröffentlichten Schreckenszahlen aus den USA nahelegen, wird auch diese Zauberformel bald neu austariert werden müssen.

Lucy Küng: Innovators in Digital News, London/New York, J.B. Tauris, 2015

Michael Haller (Hrsg.): Brauchen wir Zeitungen?, Köln: Herbert von Halem Verlag, 2014

Michael Haller (Hrsg.): Wir brauchen Zeitungen!, Köln: Herbert von Halem Verlag, 2015

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 2+3/2016

Bildquelle: Matthew G / Flickr CC

Zum Thema auf EJO: Der Schlüssel zum digitalen Erfolg

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