Pressefreiheit in der Türkei: Bedroht wie nie zuvor

3. August 2016 • Pressefreiheit • von

Die Pressefreiheit in der Türkei stand schon vor dem Putschversuch unter enormem Druck – seitdem geht die türkische Regierung noch massiver gegen Journalisten und Medien vor.

turkey-1532316_1920Noch eine Woche vor dem Putschversuch hatten türkische Journalisten zur Verteidigung der Pressefreiheit die Kampagne „Ich bin ein Journalist! Journalismus ist kein Verbrechen!“ ins Leben gerufen. In den beteiligten Zeitungen und Online-Nachrichtenportalen erschienen Banner mit der Aufschrift „Schon gewusst? Journalismus ist kein Verbrechen“ mit einer Stellungnahme zur Lage der Pressefreiheit in der Türkei. Nur ein paar Wochen danach erscheinen viele dieser Medien nicht mehr, da Erdogan sie nach dem gescheiterten Putsch schließen ließ, darunter die Zeitungen Yarına Bakış, Özgür Düşünce, Meydan und Taraf, die Nachrichtenwebsite Haberdar und die prokurdische Nachrichtenagentur DIHA.

In der Nacht des 15. Juli entschied sich ein Großteil der türkischen Medien dazu, sich gegen das Militär und damit auf die Seite der Regierung zu stellen. Fernsehkanäle widersetzten sich den Anweisungen des Militärs und setzten ihre Berichterstattung fort. So erhielten Erdogan und andere Angehörige der Regierungspartei AKP eine Plattform, so konnte Erdogan durch einen Facetime-Anruf bei einer CNN Türkei-Moderatorin die Bevölkerung zum Widerstand auf der Straße aufrufen. Währenddessen wurde der Zugang zu sozialen Medien wie Twitter gesperrt, kurze Zeit später aber wieder freigegeben, damit Präsident Erdogan auch dort seine Botschaft verbreiten konnte, wie der türkische Wissenschaftler Efe Kerem Sozeri in der Online-Zeitung The Daily Dot schreibt.

Bereits am Tag nach dem Putschversuch wurden mehr als ein Dutzend Nachrichtenwebsites von der Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (TIB) gesperrt. Am 20. Juli verhängte Präsident Erdogan einen dreimonatigen Ausnahmezustand und setzte die Europäische Menschenrechtskonvention teilweise aus. Das türkische Kabinett kann seitdem unter Vorsitz Erdogans Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen. Mit einem der ersten Dekrete ordnete er die Schließung von 16 Fernsehsendern, 23 Radiosendern, drei Nachrichtenagenturen, 45 Tageszeitungen, 15 Magazinen und 29 Verlagen an. Sie sollen Verbindungen zur „Terror-Organisation“ FETÖ von Fethullah Gülen haben, die für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird.

Bis zum 2. August erließ Erdogan Haftbefehl gegen 107 Journalisten, denen vorgeworfen wird, Verbindungen zur FETÖ zu haben. Die Namen der zur Fahndung ausgeschriebenen Journalisten wurden von regierungsnahen Medien sowie von AKP-Anhängern auf Twitter veröffentlicht. Laut dem türkischen Journalistenverband DISK-Basin-Is sind seit dem Putschversuch 64 Journalisten und Medienschaffenden inhaftiert worden, zudem hat das Presse- und Informationsamt (BYEGM) der türkischen Regierung die Presseausweise von 330 Journalisten für ungültig erklärt.

Unter den inhaftierten Journalisten war auch Bülent Mumay, langjähriger Mitarbeiter der Hürriyet, eine der auflagenstärksten Zeitungen der Türkei, der Ende 2015 auf Druck der AKP-Regierung entlassen wurde. Seitdem arbeitete er an einer Universität und schrieb als freier Autor für verschiedene Medien, darunter auch für deutsche. Er hatte auf Twitter ein Foto seines Mitgliedsausweises der türkischen Journalistenvereinigung geteilt und dazu geschrieben: „Das ist die einzige Organisation, in der ich Mitglied bin.” Der Journalist erklärte auch, dass er der Aufforderung der türkischen Polizei Folge leisten und vor dem Haftrichter erscheinen werde, doch die Polizei war schneller. Sie stürmte seine Wohnung und nahm ihn fest. Nach vier Tagen kam er wieder frei. Gegen alle anderen inhaftierten Journalisten ermittelt die Staatsanwaltschaft weiterhin.

Es wurden auch prokurdische Journalisten verhaftet, die gar nicht auf der Fahndungsliste auftauchten. So wurde vergangene Woche Zehra Dogan von der prokurdischen Nachrichtenagentur Jinha, für die ausschließlich Frauen arbeiten, festgenommen und der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung” beschuldigt. Sie hatte aus kurdischen Städten von den Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und der PKK berichtet. Ihre Berichterstattung war allerdings nicht  Grund für die Festnahme – sie hatte Bilder gemalt, die der Regierung missfielen.

Erst gestern, am 2. August, wurde Hülya Karakaya, leitende Redakteurin des Magazins Özgür Halk, am Flughafen verhaftet. Am selben Tag wurden Mehmet Arslan, ein Reporter für die prokurdische Nachrichtenagentur DIHA, und Nizamettin Yilmaz, Vertriebshändler für die Zeitungen Özgür Gündem und Azadiya Welat, sowie seine Frau inhaftiert.

Der Zugang zur Nachrichtenagentur DIHA wurde schon am 27. Juli von der Aufsichtsbehörde für Telekommunikation gesperrt – zum insgesamt 43. Mal, kurz darauf der Zugang zur Nachrichtenagentur Jinha.

Seit dem 15. Juli wurden zudem mehr als 60.000 Beamte, Richter, Lehrer, Polizisten und Soldaten suspendiert. Mehr als 1.500 Hochschuldekane wurden zum Rücktritt aufgefordert, hunderte Dozenten und Wissenschaftler entlassen. Einige von ihnen wurden verhaftet, da auch sie beschuldigt wurden, Mitglied der  FETÖ zu sein.

Die Razzien gegen Akademiker und Journalisten haben sich zu einer Hexenjagd entwickelt. Jeden Tag erfährt man von neuen Verhaftungen. Das Committee to Protect Journalists (CPJ) betont, dass türkische Journalisten für den rechtswidrigen Versuch des Militärs, die Regierung zu stürzen, nicht diesen hohen Preis zahlen sollten.

In den Straßen der Türkei wird immer noch demonstriert, aber nicht nur von Seiten der Erdogan-Anhänger, so hat auch die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) am 24. Juli eine Kundgebung auf dem Taksim-Platz organisiert. Der Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu wies schon an diesem Tag in seiner Rede mehrmals auf die dramatische Lage der Pressefreiheit in der Türkei hin.

Einen guten Überblick über die Situation der Medien und Journalisten in der Türkei gibt der Blog des Committee to Protect Journalists (auf Englisch).

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels-Schwabbauer

Bildquelle: pixabay.com

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