Die Mediatisierung und Personalisierung der Politik schreitet immer weiter fort. Politiker sind insbesondere dem Medienzirkus der Boulevardblätter und der Paparazzi hilflos ausgeliefert, nur durch Provokation bekommen sie noch Aufmerksamkeit. So lautet häufig das Klagelied mit Blick darauf, wie sich das Zusammenspiel von Journalisten und Politikern in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Die aktuelle Studie „Pop-politics in times of crisis: The Italian tabloid press during Mario Monti’s Government” bietet einen anderen Blickwinkel auf das Thema. Die Medienwissenschaftler Antonio Ciaglia und Marco Mazzoni von den Universitäten Witwatersrand (Johannesburg) und Perugia betrachten, wie sich in der Wirkungszeit des Wirtschaftswissenschaftlers Mario Monti im Amt des italienischen Ministerpräsidenten 2011 bis 2013 die Berichterstattung der Boulevardmedien veränderte. Sie kommen zu dem Schluss: Die Politiker haben durchaus Einfluss darauf, wie die Berichterstattung über sie aufgemacht ist. Die italienischen Gossipmagazine machten nicht einfach weiter wie zuvor, sondern passten ihre Berichterstattung an die neuen Bedingungen in der Technokratenregierung an. Damit könnte ihre Arbeit auch für das demokratische Gefüge an Wert gewinnen.
Um die Veränderungen der Berichterstattung zu definieren, untersuchten die Forscher zwischen Winter 2011 und Sommer 2012 in den vier italienischen Boulevardmagazinen Oggi, Gente, Novella 2000 und Chi 765 Artikel mit politischem Bezug und analysierten die Unterschiede in Artikeln über Mario Monti und über seinen Vorgänger Silvio Berlusconi.
Einige Experten gehen in bisherigen Analysen zur Mediatisierung der politischen Sphäre davon aus, dass sich eine neue Form öffentlicher Rechenschaft der Politiker entwickelt hat. Diese Rechenschaft besteht darin, dass die Amtsträger auch über ihr Leben außerhalb des politischen Betriebs Transparenz herstellen. Ciaglia und Mazzoni schreiben: „Einige Politiker scheinen das Prinzip verinnerlicht zu haben, wonach sie nicht nur an ihren Handlungen gemessen werden sollten, sondern auch daran, was sie vorgeben zu sein.“
Ciaglia und Mazzoni beschreiben, wie stark sich diese Tendenz in der Berichterstattung der italienischen Gossipmedien während der Berlusconi-Ära ausgeweitet hat. Angeregt durch die skandalträchtige Lebensführung des ehemaligen Ministerpräsidenten der Partei Popolo della Libertá (zuletzt in Forza Italia umbenannt) begannen die Medien mit einer neuen Selbstverständlichkeit, auch in die private Sphäre von Politikern einzudringen. Sie erklärten sie zum öffentlichen Interesse. So sei Politik zur öffentlichen Show geworden, schreiben die Autoren.
Einige Demoskopen gingen auch davon aus, dass Berlusconis Lifestyle für viele Wähler der eigentliche Grund war, ihn zwischen 1994 und 2011 mehrmals wieder zum Ministerpräsidenten zu wählen – er verkörperte das, was sie täglich auch in den Reality-Shows der TV-Programme geboten bekamen. Sein politisches Programm, aber auch die Inhalte anderer Parteien gerieten darüber freilich in den Hintergrund.
In der Medienforschung wird häufig die These diskutiert, dass Politiker sich aufgrund der so gewachsenen Gewohnheiten des Medienpublikums zunehmend auf personalisierte Berichterstattung oder Homestories einlassen müssen, um die Wähler überhaupt noch mit ihren Themen zu erreichen. Inwiefern diese personalisierte und auf die Intimsphäre von Politikern abzielende Form der Berichterstattung tatsächlich einen Nutzen für die Gesellschaft hat, ist in der Forschung indes umstritten. Einige Experten glauben nicht an die Türöffnerfunktion der Personalisierung. Sie sehen stattdessen die Gefahr, dass durch eine skandalisierende und eher plakative Berichterstattung der Zynismus in der Bevölkerung gegenüber der Politik noch gesteigert wird und dass die Mediatisierung politische Botschaften überdeckt. Demnach dürfte sie insgesamt eine eher negative Auswirkung auf die politische Partizipation der Bevölkerung haben. Eine jüngere internationale Vergleichsstudie zum demokratischen Potenzial von Infotainment kommt hingegen zu dem Schluss, dass konstruktiv aufgemachte Personalisierung in der Berichterstattung tatsächlich helfen kann, das Interesse der Bevölkerung an Politik zu steigern. Es kommt demnach also darauf an, dass die Medien nicht ausschließlich dem nächsten Skandal hinterher hecheln, sondern die Emotionen als Vehikel für Information nutzen.
Ohne den gesellschaftlichen Wert der Arbeit der Gossip-Magazine zu bewerten, stellen Ciaglia und Mazzoni zunächst einmal fest, dass sie offenkundig Informationen liefern und Geschichten vermitteln, die das Publikum lesen will. Sie verweisen darauf, dass während Berlusconis Amtszeit der Markt der Gossip-Magazine enorm gewachsen ist. Die entsprechenden Blätter verzeichneten entgegen dem Trend der sonstigen italienischen Printmedien erhebliche Auflagenzuwächse. So hat sich Chi, ein Gewächs aus dem Medienkosmos von Silvio Berlusconis Konzern Mediaset, mit knapp 2,9 Millionen Lesern zum auflagenstärksten Magazin in Italien gemausert, Oggi, Gente und Novella 2000 orientierten sich nach herben Verlusten von ihrer eher nachrichtlichen Aufmachung immer stärker in dessen Richtung und ähneln ihm mittlerweile stark.
Was bedeutet es nun, wenn diese so entwickelte Medienlandschaft auf eine Technokratenregierung trifft, wie sie in den Krisenjahren in Spanien, Griechenland, Portugal, und ab 2011 eben auch in Italien entstand?
Ciaglia und Mazzoni beschreiben, dass Mario Monti neben seiner Tätigkeit als Professor für Wirtschaftswissenschaften schon seit 1994 in der zweiten und dritten Reihe der Politik aktiv war. Bis 2011 schaffte er es dennoch, sein Privatleben konsequent von seiner Arbeit zu trennen. Er trat somit als krasser Gegensatz zu seinem Vorgänger Berlusconi auf.
Häufig passen sich Politiker, die in die vorderste Reihe der Politik vorstoßen, dann der Medienlogik an. Sie versuchten gezielt Reize zu setzen, um die Berichterstattung anzuregen und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Doch im Falle Montis geschah offenbar auch eine Anpassung der Medienarbeit an seine zurückgenommene Art – was die These einiger Wissenschaftler stützt, dass auch Politik und Wirtschaft Strategien finden, um im Medienzirkus mehr Einfluss nehmen zu können.
Auch Technokraten müssen Privatleben preisgeben
Natürlich entkommt ein Ministerpräsident selbst mit Montis Charakterzügen nicht dem Medienrummel, mit der Übernahme des Amtes des Ministerpräsidenten konnte Monti sein Privatleben nicht mehr komplett von der öffentlichen Wahrnehmung abschirmen. „Monti verstand: Seine Person brauchte eine neue Sichtbarkeit. Die Leute mussten nicht nur über seine politische Arbeit informiert sein, sie mussten auch Informationen über seine privaten Qualitäten bekommen“, so die Wissenschaftler. Monti waren im Untersuchungszeitraum zwischen Dezember 2011 und Juni 2012 exakt sechs Prozent aller begutachteten Artikel mit Politikbezug gewidmet. Silvio Berlusconi fand trotz seiner stark geminderten Bedeutung im Staatsapparat nach seinem Rücktritt 2011 immer noch in 5,5 Prozent aller Artikel Beachtung, was vor allem an seiner skandalträchtigen Lebensführung gelegen haben dürfte. Alle anderen nationalen Politiker folgen mit großem Abstand, Beppe Grillo von der Protestpartei Fünf Sterne Bewegung erhielt mit nur 2,1 Prozent Anteil die drittgrößte Aufmerksamkeit.
Während die Berichte über Silvio Berlusconi fast ausschließlich skandalisierend ausfielen und von sexuellen Beziehungen des Ex-Premiers handelten, wurde laut der Autoren in den Berichten über Monti vor allem die Anonymität des Ministerpräsidenten als Institution abgebaut – jedoch ohne Skandale. So schilderten die Berichte etwa, wie wenig Zeit Monti durch sein neues Amt für seine Familie habe, sie zeigten Monti als traditionellen Katholiken, der gern Rad fährt, jedoch ein miserabler Turner ist und in seinem Aberglauben Angst vor schwarzen Katzen hat, die von links nach rechts die Straße überqueren. „Damit bekam die Öffentlichkeit ein präzises Bild von Mario Monti als Mann, der sich vollkommen seiner Arbeit verschreibt, einem Mann, der von dem Wunsch angetrieben wird, seine Mission zu erfüllen und sei es auch nötig, seine Familie dafür zu vernachlässigen.“
Bis auf ein Interview erschien keiner der Berichte in den Gossipmagazinen mit Montis Einverständnis. Dies galt auch für einen Bericht über einen Silvesterurlaub der Montis bei der Villa Borghese. Darin wurde die Familie wie jede andere italienische Durchschnittsfamilie dargestellt, die Montis taten Dinge, die jeder andere Italiener auch tut. Montis Sprecherin Elisabetta Olivi bestätigte den Studienautoren in einem Experteninterview, dass solche Beschreibungen dem Image des meist kühl und distanziert wirkenden Monti durchaus gut taten. Sie folgern: „Deshalb erschien die gestiegene Aufmerksamkeit der Boulevardmagazine für Mario Monti als hilfreiches, wenn auch ungewollt entstandenes Instrument, seine Persönlichkeit in ein anderes Licht zu rücken.“
Am deutlichsten werden die Unterschiede zwischen der Berichterstattung über Berlusconi und Monti mit Blick auf zwei Interviews mit jeweiligen Vertrauten beider Politiker: Während die First Lady Elsa Monti in Chi über ihre Heirat, ihr gemeinsames Leben und die Speisevorlieben ihres Mannes plaudert, geht es in dem Interview mit dem ehemaligen Model Evelina Manna um intime Details über ihre Beziehung zu Silvio Berlusconi, die der Ex-Premier unübersehbar parallel zu Verhältnissen mit anderen Damen unterhielt – allein das scheint für den konservativen Monti schon undenkbar.
Häufig werden Politiker als Opfer der Paparazzi und des immer exzessiveren Medienrummels dargestellt. Die Autoren der Studie nehmen eine andere Perspektive ein. Laut ihnen liegt es durchaus in der Hand der Politiker, ob das Entertainment alles überschattet und sie sich nur noch nach der Medienlogik richten müssen. Weniger geltungssüchtige Persönlichkeiten können auch die Logik der Medien in gewisser Weise beeinflussen und somit auch dazu beitragen, dass die kritisierte Mediatisierung der Politik sich wieder etwas normalisiert.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist in gewisser Weise ein weiteres Beispiel dafür. Auch sie regiert in einer Zeit der Wirtschaftskrise und der hochkomplexen Entscheidungen über staatliche Millionengelder – Entscheidungen, die sie als Politikerin vollkommen fordern. Private Informationen gibt es über Merkel nur äußerst selten, so hat sie es in mittlerweile neun Jahren als Kanzlerin geschafft, ihr Privatleben fast vollkommen von der Öffentlichkeit abzuschirmen. Über ihren Mann Joachim Sauer ist kaum mehr bekannt, als dass er ein exzellenter Chemiker ist.
Damit steht die Bundeskanzlerin im starken Gegensatz zu ihrem Vorgänger Gerhard Schröder von der SPD, der sich eher als Lebemann gab. Eine Analyse der Universität Duisburg-Essen zur Berichterstattung des Boulevardblatts Bunte vor der Bundestagswahl 2005 zeigt, dass über Schröder innerhalb eines halben Jahres vor der Wahl sechs Homestories erschienen, während es über Merkel in dem Sample keine einzige gab. Schröder habe versucht, sich mit privaten Erzählungen zu inszenieren. „Merkel auf der anderen Seite sieht es als wichtiger an, mit verschiedenen hochrangigen Personen, vor allem aber Politikern gesehen zu werden“, urteilt der Autor. „Das suggeriert den Rezipienten, dass sie Ahnung von dem hat, was sie tut und als Bundeskanzlerin durchaus geeignet ist. Dadurch vermittelt sie mehr Kompetenz und richtet den Fokus auf ihre Arbeit als Politikerin.“
Im Gegensatz zum Paar Merkel-Sauer standen auch Schröders Frau Doris Schröder-Köpf und die Auseinandersetzungen des Paares immer wieder im öffentlichen Rampenlicht, wie etwa die Medienwissenschaftlerin Margreth Lünenborg in einer Analyse des Wahlkampfes 2005 feststellt. „Im Bereich der Darstellungspolitik ist ein Stilwechsel gegenüber der Politik von Gerhard Schröder zu beobachten.“ So könne man Merkels Auftreten als „Inszenierung der Nichtinszenierung von neuer Sachlichkeit und Nüchternheit“ beschreiben. Lünenborg zeigt auch auf, wie Merkel die Medienarbeit in eine bestimmte Form lenkte und verweist dabei auf das Beispiel des Fernsehporträts „Die Kanzlerin“ (hier die Buch-Form), das nicht zu der von den Autoren angestrebten kritischen Würdigung wurde: „Es gelingt Merkel, die Deutungshoheit über ihren Stil und vor allem ihre Erfolge zu behalten – ein Beispiel für gelungenes Kommunikationsmanagement der Kanzlerin.“ Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung zur jüngsten Bundestagswahl 2013 zeigte, wie sehr das führende deutsche Boulevardmedium Bild der Medienlogik Merkels mittlerweile folgt. Das dürfte freilich auch an der konservativen Haltung des Verlagshauses Axel Springer liegen.
Wie Mario Monti zu seiner Regierungszeit 2011 bis 2013 wird auch Angela Merkel dennoch oft als unnahbar wahrgenommen, was manche Beobachter gar als Problem für die europäische Verständigung in Krisenzeiten beschreiben. Gleichzeitig spiegeln die Wahlerfolge Merkels ein großes Vertrauen der Bevölkerung in sie als die Frau wieder, die bei der jüngsten Bundestagswahl 2013 quasi in Personalunion als Kanzlerkandidatin und als gesamtes Wahlprogramm ihrer Partei CDU antrat. Unabhängig davon, ob Merkels Politik zum Besten der Bundesrepublik ist, ihr unaufgeregtes Auftreten in der Öffentlichkeit scheint die Bürger zu überzeugen.
Ein solches Verhalten kann man als Einschläferungstaktik des Wählers bewerten. Im Fall des Italieners Mario Monti kommen die Wissenschaftler Ciagla und Mazzoni jedoch zu einem eher positiven Resumee seiner zurückgenommenen Art. Während die Medien bei Recherchen über seinen Vorgänger Berlusconi immer nur auf die Enthüllung des nächsten Skandals abzielten, gingen sie an Monti ganz anders heran, im Mittelpunkt stand eher die Informationsvermittlung: „Alles in allem ist Monti eine Person, die es zu öffnen und zu entschlüsseln, jedoch nicht zu demaskieren gilt – was den extremen Unterschied zur Berichterstattung über Silvio Berlusconi ausmacht“, so die Autoren. Alle Seiten, sowohl Monti als auch die Medien profitieren von der Berichterstattung.
Der Zugewinn für die Öffentlichkeit könnte demnach darin liegen, dass Technokraten und Pragmatiker wie Mario Monti und Angela Merkel in gewisser Weise dafür sorgen, dass in der Berichterstattung nach den öffentlichkeitswirksamen Exzessen ihrer Vorgänger wieder mehr Raum für politische Inhalte entsteht.
Ciaglia, Antonio; Mazzoni, Marco: Pop-politics in times of crisis: The italian tabloid press during Mario Montis government. In: European Journal of Communication, Volume 29, Number 4
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