Wie Medien den Diskurs über Gerechtigkeit beeinflussen

22. Februar 2016 • Qualität & Ethik • von

Regulierungsmaßnahmen und Förderungen, die an medienethische Anforderungen geknüpft werden, können helfen.

GerechtigkeitViel wurde in dieser Serie über Werte, Wertebildung, unveränderbare Grundwerte und damit möglicherweise zusammenhängende Aufgaben von Medien und Journalisten geschrieben, zuletzt etwa in Larissa Krainers Beitrag zur „Orientierung im Wertedschungel“, wo sie den Grundwert der Meinungsfreiheit als nicht zur Disposition stehende Säule der Demokratie verteidigt. Dem ist zuzustimmen; es gibt in diesem Zusammenhang aber einen Grundauftrag an die „Medien“ in einem Staat: Sie sollen den Diskurs über Gerechtigkeit (und andere normative Konzepte) in einer Gesellschaft durch Informationsvielfalt unterstützen.

Das würde auch eine Antwort auf die oft gestellte Frage liefern, was Medienqualität in einem Land ausmacht und wie sich in einer mediatisierten Welt hochwertiger Journalismus von der so genannten „Laienpublizistik“ (© R. Hummel) und den weniger erfreulichen Begleiterscheinungen des Online-Journalismus und der Social Media Kommunikation (siehe auch der Beitrag Terra incognita von Tobias Eberwein) abgrenzt.

Dazu wollen wir zunächst kurz auf einen wichtigen Gedanken des Wirtschaftsphilosophen Amartya Sen zurückgreifen. Dieser hat sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts mit der Frage beschäftigt, was Gerechtigkeit in einer Gesellschaft ausmache. Dabei schlägt er eine bescheidene Sichtweise vor, die anerkennt, dass in modernen Gesellschaften Wertepluralismus und ungleiche Möglichkeiten der Teilnahme an (auch Informations-) Märkten vorherrschen. Um uns darüber klar zu werden, was wir einzelnen Personengruppen mit verschiedenen Voraussetzungen und unterschiedlichen Zielsetzungen ermöglichen wollen und worauf wir uns auch im Hinblick auf Gerechtigkeit einigen können, brauchen wir laut Sen drei Dinge:

1.) eine sehr große Informationsbasis, die weit mehr als nur den „Nutzen“ (im Sinne von z.B. Einkommenssteigerungen) verschiedener Politikmaßnahmen für uns Menschen betrachtet und die tatsächlichen Verwirklichungschancen der Menschen in unserem System zeigt;

2.) Arenen für den permanenten Diskurs unserer so unterschiedlichen Wertevorstellungen, in denen (ähnlich wie bei Habermas) diese unter ständigem Legitimationsdruck sind;

3.) eine durch Vielfalt, freien Zugang und Rechte abgesicherte freie Medienlandschaft, die sowohl zur Informationsbasis als auch zur Arenenbildung beiträgt.

Wenn wir dieser Argumentation folgen wollen, hat dies Konsequenzen für die Art der Medien, die wir benötigen (und auch finanzieren müssen). Denn viele der den Medienunternehmen zugrundeliegende Geschäfts- und Medienrezeptionsmodelle, wie zum Beispiel Big Data Verwertung (Google), Werbewirtschaftsjournalismus (Boulevard), Provokationsjournalismus (bei vielen Blogs) oder Nachrichtenkonsum in der schon notorischen „Filter Bubble“ (Facebook), tragen eben nicht zur Ermöglichung normativer Diskurse bei.

Die von Sen verlangten Wertediskurse durch mediale Berichterstattung, Medienvielfalt und Medienqualität sind aufgrund der spezifischen Gegebenheiten bei Mediengütern (hohes Risiko der Medienproduktion, starke Netzwerkeffekte, fehlende Zahlungsbereitschaft und schwer herzustellendes Vertrauen, um nur einige zu nennen) nicht alleine durch die verfassungsmäßige Verankerung der (selbstverständlichen) Rede- und Pressefreiheit zu haben. Im Sinne der Verwirklichungschancen müssen zu Freiheiten auch aktive (und politische) Maßnahmen kommen, damit Freiheiten zielführend eingesetzt werden können. Dazu gehören:

  • Regulierungsmaßnahmen, die sich auch vermehrt dem Online-Journalismus und medialen Online-Angeboten widmen und die dort auch normative Kriterien einfordern
  • Regulierungsmaßnahmen, die unerwünschte Nebeneffekte unkontrollierter Social Media Kommunikation (s. Hasspostings, „Lügenpresse“) eindämmen; selbstverständlich müssen diese nicht unbedingt fremdgesteuert, sondern können auch Selbst- und Koregulierungsrichtlinien sein
  • Förderungen, die auch Nischenangeboten offen stehen, wenn diese nachweislich zur Informationsvielfalt im Wertedialog als einer Art „public value“ beitragen; freilich wird es schwierig sein zu beurteilen, ob Portale wie BuzzFeed, wenn diese sich immer öfter journalistisch gerieren, solche Nischenangebote darstellen
  • Förderungen im massenmedialen Bereich, die an medienethische Anforderungen geknüpft werden, wie es für die Presseförderung schon seit längerer Zeit gefordert wird (etwa die Verpflichtung, an selbstregulierenden Organisationen teilzunehmen)

In diesem Sinn würden Medien die allgegenwärtige Wertevielfalt ernst nehmen und kanalisieren und so zu einem gemeinsamen Verständnis von z.B. Gerechtigkeit beitragen.

Erstveröffentlichung: Ein Fall für die Wissenschaft auf derstandard.at vom 22. Februar 2016

Bildquelle: pixabay.com

 

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