Zahnlose Kartellbehörden, öffentliche Inserate für den Boulevard: Die Politik hat viel zum schlechten Zustand der Medienlandschaft in Österreich beigetragen. Presseförderung sollte endlich zeitgemäßen Wandel des Journalismus unterstützen. Dann wäre viel Platz für Medienpolitik.
Vier Jahrzehnte nach Einführung der Presseförderung ist die Bilanz so bedauerlich wie das Niveau der begleitenden medienpolitischen Diskussion beklagenswert: Die Zahl der Tagestitel hat mit gerade noch vierzehn – Gratisblätter schon inkludiert – einen historischen Tiefststand in Österreich erreicht. Es werden wohl noch weniger werden. Diese Presseförderung wurde 1975 in derselben parlamentarischen Sitzung und etwa derselben Höhe wie die Parteienförderung beschlossen, mit hehren Anmerkungen zum facettenreichen Diskurs einer Demokratie.
Die meisten in Österreich überlebenden Printmedien und Eigentümergruppen sind heute indes eng verwandt, verschwägert und vertrieblich verbunden. Wenn also Vielfalt der publizistischen Positionen ein politisches Ziel war, wurde es spektakulär verfehlt. Bürger sind in ihren demokratischen Diskursmöglichkeiten folglich beschränkt. In der Forschung problematisieren wir dann Symbiosen und Abhängigkeiten, debattieren einerseits die Politisierung der Medien oder andererseits die Mediatisierung der Politik. Im Alltag erleben wir beides immer stärker.
Zuletzt 8,8 Millionen Euro Presseförderung pro Jahr – nur noch ein Viertel, verglichen mit der Parteienförderung – haben auf dem Zeitungsmarkt eher zur Verlängerung des Leidens mancher Titel geführt als zum Überleben beigetragen. Jüngstes Beispiel war die Einstellung des Wirtschaftsblatts in mehreren Etappen.
Überdeckte Probleme
Die zyklisch heftige Diskussion über diese gesetzlich geregelte Presseförderung hatte dabei von jeher für die Akteure eine durchaus erwünschte Nebenwirkung: Sie überdeckt viele andere, komplexere Probleme der Medien- und Demokratiepolitik.
Der Staat möge solch sinnlose Intervention also gleich ganz unterlassen, lautet darob, durchaus nachvollziehbar, ein populärer Standpunkt. Er wird geteilt in vermeintlich linksliberalen Postings und definitiv rechtspopulistischen Boulevard-Kommentaren. Historisch verlässlich ist im Furor gegen Presseförderung etwa die Kronen Zeitung. Sie selbst würde für ihre gut zwei Millionen Leser bestraft, Zeitungen wie Presse oder Standard mit höherer Presseförderung belohnt, eben weil sie „nur“ 300.000 bis 400.000 Leser zählen.
Die traditionelle Formel populistischer Wutmedien lautet: Die Abstimmung über Qualität (und Lebensfähigkeit) von Zeitungen sollte ohne staatliche Intervention am Kiosk stattfinden.
Dieser Qualitäts- durch Reichweitenmessung hat einst Karl Kraus entgegengehalten: Der größte Stiefel hat den höchsten Absatz.
Triangel der Interessen
Beides sind journalistische Verkürzungen, und irgendwo dazwischen oszilliert eine Wirklichkeit: Über Qualität von Journalismus lässt sich ja trefflich streiten, und bestenfalls kann unaufgeregte Forschung Bewertungskriterien definieren und immer wieder zur Diskussion stellen. In Österreich genügt uns aber meist Aufregung, abgeleitet von ökonomischem Eigeninteresse, Tagesverfassung der Politik und Publikumsbefindlichkeit. Im Triangel der Interessen von Politik, Presse und Publikum gehört dann gefördert, was jeweils gefällt und nützt.
Als Gedankenexperiment hätte auch die Forderung nach einem ganz freien Spiel der Medienkräfte ohne jegliche Staatsintervention durchaus ihren Reiz. Da wären flugs gut 200 Millionen Euro pro Jahr für Inserate aus dem öffentlichen Sektor eingespart. Begründet wird auch diese Ausgabe mit Demokratiedesideraten. Der mündige Bürger brauche sachliche Information. „Auf unser Heer kommt’s an“, lässt uns dann etwa das Verteidigungsministerium in Inseraten sachlich schlicht um unser Steuergeld wissen. Die österreichische Bundesregierung gibt für solche „Informationen“ pro Bürgerkopf zehnmal mehr aus als die deutsche.
Die größten Empfänger dieser Steuermittel sind Boulevardzeitungen. Kronen Zeitung, Österreich und Heute lukrierten unter diesem Titel aus öffentlichen Kassen im Vorjahr gemeinsam rund 51 Millionen Euro. Bei Vergabe zählt eben auch Reichweite – nur andersrum. Es werden Köpfe gezählt, nicht Gehirne angeregt.
Die größten „Staatsinterventionen“ im Zeitungsmarkt kamen und kommen zudem nie aus Presseförderung: Bei privilegierten Vertriebsformen, oft seltsamen Steuerregelungen, bei Zahlung hunderter Millionen – damals noch Schilling – an „Arbeitsmarktförderung“ an Krone, Kurier, Salzburger Nachrichten, Täglich alles (!) und Ganze Woche für den Bau neuer Druckereien.
Die größte, bis heute entscheidende Marktverzerrung hat in Österreich allerdings zwischen 1989 und 2001 medienpolitische Untätigkeit bewirkt: Unter parteipolitischem und sozialpartnerschaftlichem Druck haben die Kartellgerichte weder den Zusammenschluss von Kronen Zeitung, Kurier-Gruppe und deutscher WAZ in der Mediaprint noch jenen von praktisch allen führenden Wochen- und Monatszeitungen der News- und der Kurier-Gruppe (mit den Flaggschiffen Trend und Profil) untersagt.
Ein Zeitungsmarkt ganz ohne öffentliche Intervention also? Frei wie in den USA? Dort sind gedruckte Zeitungen bei ihren Inseratenerlösen auf das Niveau der 1950er-Jahre zurückgefallen. Mehrere Hundert haben zugesperrt.
Die wahre Presseförderung
So gäbe es auch in Österreich sehr bald nur noch vier, fünf Titel – und die hätten es schwer. Seit 2008 hat die öffentliche Hand im rückläufigen Leser- und erodierenden Inserentenmarkt Österreichs Medien – und zwar allen – mit mehr als einer Milliarde Euro Werbegeld entscheidend geholfen, Abstürze abzufedern. Das war und ist die wahre Presseförderung. Jene aktuell 8,8 Millionen, die als solche transparent deklariert sind, fallen im Vergleich kaum ins Gewicht. Die Diskussion über sie hat aber zyklisch die Sicht auf viel gewichtigere Fragen über den Status einer aufgeklärten Mediendemokratie verstellt. Der vorige Kanzler und sein Medienminister haben zwei Legislaturperioden lang eine Reform ebenso herzhaft wie dann wieder halblaut, jedenfalls folgenlos angekündigt, im guten Einvernehmen mit dem Koalitionspartner.
Den Nachfolgern seien nun die ganz großen Aufräumarbeiten auf dem Trümmerfeld jahrzehntelangen Generalversagens staatlicher Medienpolitik – von Rundfunkpolitik bis zu Digitalstrategien – in den verbleibenden Monaten dieser Regierung fürs Erste erlassen. Das geht sich nimmer aus. Einer kleinen Reform der Presseförderung käme dann aber doch größere Bedeutung zu als ihrem eigentlichen Geldwert: ökonomisch für den ausgehungerten Journalismus im Land, symbolisch, um zu zeigen, was der neue Kanzler und sein Medienminister wollen und sich – allenfalls auch gegen Widerstand im Boulevard – trauen.
Die Presseförderung gehört ein gutes Stück erhöht und als Zukunftssicherung und Transitionshilfe für eine gesellschaftlich besonders relevante Industrie gesehen. Im Konzept also nicht anders verstanden als etwa Investitionen in Automobil- oder Biotech-Cluster. Unterstützt würden dann
- Forschungs- und Entwicklungsprojekte, um nicht (ganz) den Anschluss an die Medienmoderne zu verpassen,
- Aus- und Weiterbildungsoffensiven, weil die wichtigste Software die professionelle Qualität der Produzenten ist,
- neue Projekte und Entrepreneure, deren Verständnis von Netzwerkgesellschaft über die Betreuung von Social-Media-Tools ein Stück hinausgeht,
- Internationalisierung des Journalismus, um von den Benchmarks und Pionieren in aller Welt zu lernen.
Solche Förderung ist dann nicht eine politische milde Gabe an reformresistente Traditionsmedien. Sie ist Investition in professionellen, unabhängigen Journalismus. Der Nebenertrag: Die unsägliche und unendliche Debatte über die „Presseförderung“ könnte nicht mehr verwendet werden, um die Sicht auf die viel gewichtigeren ökonomischen wie politischen Fragen zur Rolle von Journalismus in einer offenen Gesellschaft zu verstellen – und auch nicht die Sicht auf deren Feinde.
Erstveröffentlichung: Der Standard vom 9. September 2016
Bildquelle: Graham Holliday / Flickr CC: Vienna, November, 2009 – Newsagent in Vienna; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/
Schlagwörter:Boulevardzeitungen, Österreich, Presseförderung, Printmedien, WirtschaftsBlatt