Mit einem neuen Gesetz beschränkt Moskau die Beteiligung ausländischer Verleger an russischen Medien. Das Gesetz betrifft einige der führenden Qualitätspublikationen des Landes – und könnte die Medienlandschaft erheblich verändern.
An diesem Dienstag im November 2015 sind Vladimir Esipovs Grußworte auch eine Verabschiedung. In einem Konferenzraum an der Novy Arbat, einer geschäftigen Hauptstraße im Zentrum von Moskau, stellt der 41-Jährige Chefredakteur der russischen GEO die neue Ausgabe des Magazins vor, die gleichzeitig eine der letzten sein wird. Im Dezember 2015 wurde das Magazin in Russland eingestellt. „Leider ist das unser vorerst letztes Treffen“, sagt Esipov mit einem Blick in den Saal, in dem sich Autoren, Fotografen und einige Abonnenten des Magazins versammelt haben. An diesem Tag sind deutlich mehr Menschen zu der Veranstaltung gekommen als üblich.
Im September hatte der deutsche Axel-Springer-Verlag (in Russland unter anderem Herausgeber von GEO, Forbes und OK!) entschieden, seine Anteile an russischen Medien zu 100 Prozent an den russischen Unternehmer Alexander Fedotov zu verkaufen. Dieser gab kurz darauf bekannt, die GEO in Russland einzustampfen und alle dort tätigen Journalisten zu entlassen. Außerdem kündigte er an, Forbes inhaltlich neu aufzustellen. „Wir werden künftig nicht mehr in politischem Gefilde unterwegs sein“, sagte Fedotov gegenüber dem russischen Fernsehsender RBC. Schließlich seien wirtschaftliche Fragen das eigentliche Interessengebiet der Forbes-Leser.
Springer schloss den Deal mit Fedotov mit Blick auf eine politische Entscheidung aus dem Oktober 2014. Das so genannte „Gesetz zu ausländischem Besitz“ begrenzt den erlaubten Anteil ausländischer Verleger an russischen Medien auf 20 Prozent und ist am 1. Januar 2016 in Kraft getreten. Die Unternehmen haben bis Februar 2017 Zeit, um ihre Geschäfte gemäß der Bestimmungen umzustrukturieren. Bislang konnten ausländische Investoren bis zu 50 Prozent an russischen Radio- und TV-Sendern halten, für Printmedien gab es keinerlei Beschränkung. Die Befürworter des Gesetzes argumentieren, das Gesetz sei notwendig, um Russland „innere Sicherheit“ zu wahren. Kritiker betrachten es hingegen als einen erneuten Angriff auf die Pressefreiheit im Land.
Nach Einschätzung von Sergey Smirnov, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medienökonomie und -theorie an der Staatlichen Universität Moskau, dürfte das Gesetz den russischen Markt erheblich verändern. „Das Investment ausländischer Unternehmen spielt traditionell eine wichtige Rolle für russische Medien, speziell für Magazine“, sagt Smirnov. Zahlreiche große Verlagshäuser wie Hearst Media und Condé Nast aus den USA oder die schwedische Modern Times Group sind oder waren auf dem russischen Markt engagiert. Nach Angaben der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor wird das neue Gesetz etwa 150 Rundfunksender und mehr als tausend Printmedien betreffen.
Kritiker befürchten, dass der Kreml mit dem Gesetz seinen Einfluss auf Russlands Medien verstärken möchte. „Das Problem ist, dass immer weniger Geld vorhanden ist und auf dem russischen Medienmarkt immer weniger Investoren da sind“, sagte Stefan Meister vom Robert-Bosch-Zentrum für Ost- und Zentraleuropa und Russland gegenüber der Online-Plattform Russia Beyond the Headlines. „Es wird immer mehr auf staatliches Geld zurückgegriffen.“ Das bedeute wiederum, dass der Einfluss des Staates im Mediensektor wachsen wird. Nach Angaben der weltweit tätigen Medienagentur Zenith Optimedia werden die Gesamtausgaben für Werbung in Russland in diesem Jahr um 14,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr fallen, im Magazinbereich sogar um 35 Prozent.
Russland als den bösen Buben in einer deregulierten Welt dazustellen, wäre gleichzeitig zu einfach. Denn gesetzliche Einschränkungen für ausländische Investitionen auf dem Medienmarkt existieren anderswo schon lange. „Russland holt im Grund nur das nach, was in anderen Ländern schon Realität ist“, sagt Sergey Nikonov vom Lehrstuhl für Internationalen Journalismus an der Staatlichen Universität St. Petersburg. Auch die USA, Großbritannien, Frankreich und einige andere Länder beschränken die Investitionsmöglichkeiten ausländischer Medienhäuser im eigenen Land. Russland macht laut Nikonov demnach nur einen Schritt in Richtung der internationalen Standards. Womöglich hofft Moskau, durch die Maßnahme die Position schwächelnder russischer Medienunternehmen auf dem Werbemarkt zu stärken. Indem ausländische Wettbewerber aus dem Markt gedrängt werden, könnte Geld, das in Russland verdient wird, auch in Russland bleiben.
Was auch immer die tatsächlichen Beweggründe der russischen Regierung sein mögen; ausländischen Medienunternehmen bleiben nun nur noch zwei Handlungsoptionen: Sie können entweder all ihre Anteile verkaufen und sich vom russischen Markt zurückziehen oder aber 20 Prozent behalten und die überschüssigen Anteile an russische Partner verkaufen, mit denen sie in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Der Druck auf die Unternehmen ist dabei groß. Weil ihnen nur noch wenig Zeit bleibt, sind sie gegenüber russischen Investoren in einer schlechten Verhandlungsposition. Und weil der Rubel schwächelt, drohen Verlustgeschäfte.
Während Springer schon entschieden hat, seine Anteile zu verkaufen, ist über die Strategien der anderen deutschen Verlagshäuser offiziell noch wenig bekannt. Weder die Bauer Mediengruppe noch Hubert Burda Media, Herausgeber von rund 60 Titeln in Russland, Kasachstan und der Ukraine, wollen die aktuellen Entwicklungen auf Anfrage der Autoren ausführlich kommentieren.
Unlängst meldeten russische Medien, die Münchner Verlagsgruppe habe 100 Prozent seiner Anteile an die erst im Frühjahr gegründete Firma Everest Kultura verkauft, die zum Großteil Burdas russischem Hauptbuchhalter Alexander Efimow gehört. Bauer soll laut einem Bericht des russischen Staatsfernsehens seine Geschäfte auf sein russisches Management überschrieben haben. Offizielle Bestätigungen dazu gibt es bislang aber aus keinem der beiden Häuser.
Sollten die Gerüchte stimmen, würden Bauer und Burda dem Vorschlag der russischen Verlags-Lobbyistin Elena Shitikova folgen, Redaktion und Verlagswesen organisatorisch voneinander zu trennen und die formelle Kontrolle an lokale Manager abzugeben. Offen ist aber, ob die russischen Autoritäten einen solchen Taschenspielertrick akzeptieren: Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hat bereits mitgeteilt, dass sie eine solche Lösung kritisch sehe und sehr genau prüfen werde.
„Dieses neue Gesetz ist sehr streng und nur schwierig auszuhebeln“, sagt auch Ivan Pavlov, Vorsitzender von Komanda 29, einem Zusammenschluss von Juristen und Journalisten, die sich für Informationsfreiheit in Russland einsetzen. Er schlägt den Verlagen stattdessen vor, ihr gesamtes Geschäft in den Onlinesektor zu verlegen. Denn dieser bleibt von dem neuen Gesetz unangetastet.
Während die Manager der Medienhäuser also noch über ihren Schlachtplänen brüten, sind die ersten Auswirkungen des Gesetzes auf Russlands Medienlandschaft für die Menschen schon spürbar. Direkt nach der Präsentation der letzten GEO-Ausgabe in Moskau bekommen die Abonnenten die Möglichkeit Fragen zu stellen. Viele Hände gehen in die Höhe. „Was ist bloß mit dem Magazin passiert?“, fragt ein Mann mittleren Alters. „In den 17 Jahren, in denen es GEO in Russland gibt, war es das einzige Magazin, das ich wirklich kaufen wollte.“ Das Beispiel GEO zeigt: Russlands neues Mediengesetz dürfte die Medienlandschaft spürbar verändern. Für Unternehmer und Journalisten – aber auch für die Leser.
Foto: Kai Steinecke
Original-Version auf Englisch: Provoking the exodus?
Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars in St. Petersburg mit Journalistik-Studierenden der TU Dortmund und der Staatlichen Universität St. Petersburg unter der Leitung von Anna Carina Zappe und Anna Smolyarova. Neben den Autoren Jannis Carmesin und Kai Steinecke hat auch die russische Studentin Tatiana Kondratenko an diesem Text mitgearbeitet.
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Schlagwörter:Alexander Fedotov, Axel-Springer-Verlag, Geo, Gesetz zu ausländischem Besitz, Russland, Vladimir Esipov