Russlands unabhängige Stimmen

21. Januar 2016 • Internationales, Pressefreiheit • von

Russische MedienDrohungen von Geschäftsleuten, Schikanen von Behörden: Unabhängige Medien haben es in Russland nicht leicht. Wir haben mit vier Journalisten unabhängiger Medien über ihre Arbeitsbedingungen und den Einfluss ihrer Herausgeber auf die Themensetzung gesprochen.

Valery Nechay, Radiosender „Echo Moskvy“

Jeden Morgen um 8.47 Uhr meldet sich Valery Nechay aus dem Studio in St. Petersburg. Er ist Nachrichten-Anchor beim Radiosender „Echo Moskvy“ und liefert täglich die News aus seiner Region.

Gegründet Anfang der 1990er Jahre ist „Echo Moskvy“ ein Radiosender, der sich auf politische und gesellschaftliche Themen fokussiert hat. Das Besondere an der Berichterstattung: Nicht nur die offizielle Meinung der Regierung wird präsentiert, sondern auch oppositionelle Ansichten. Erstaunlich, blickt man auf die Besitzer des Senders. Denn während die Redakteure insgesamt 34 Prozent der Anteile besitzen, liegt die Mehrheit des Senders (66 Prozent) in den Händen von „Gazprom Media“, die Tochtergesellschaft des teilweise staatlich finanzierten Erdgasförderunternehmens „Gazprom“.

„Ich kann sagen, dass niemand außer mir selbst Einfluss auf den Inhalt meiner Nachrichtentexte nimmt“, erklärt Nechay beim Besuch in seiner Redaktion. Einflussnahme seitens „Gazprom“ komme selten vor. Er erinnert sich lediglich an wenige – vergleichsweise harmlose – Zwischenfälle. „Natürlich ist es auch vorgekommen, dass unsere Reporter von Offiziellen bedroht wurden“, sagt Nechay. Aber im Vergleich zu anderen Medienhäusern sei diese Art der Belästigung eher selten.

Dass „Echo Moskvy“ weiterhin frei berichten kann, hält Nechay einerseits für eine Taktik seitens der Regierung. „Wenn jemand die Regierung für die Einschränkung der Pressefreiheit kritisiert, können sie auf uns zeigen und sagen: ‚Was meint ihr? Wir haben kritische Medien, die oppositionelle Meinungen verbreiten‘“.

Andererseits nennt Nechay noch einen weiteren Faktor, der die freie Berichterstattung des Senders ermöglicht: Die Beziehungen des Chefredakteurs Alexey Venediktov. „Er hat sehr gute Beziehungen und ein großes Netzwerk zu Personen, die wichtige Entscheidungen treffen“, so Nechay. „Man muss Kontakte zum Kreml haben. Er geht zum Kreml und hat viele Freunde da. Ich gehe davon aus, dass er diese Kontakte nutzt“, so Nechay.

 

Diana Kachalova, Tageszeitung „Novaya Gazeta“

Im Printbericht gilt die „Novaya Gazeta“ als das Organ für die Verbreitung oppositioneller Stimmen in der russischen Medienlandschaft. Diana Kachalova, Chefredakteurin der St. Petersburger Ausgabe des Blattes, lässt niemanden Einfluss auf ihre Berichterstattung nehmen. Auch, wenn ihr dafür mit körperlicher Gewalt gedroht wird.

Die Journalistin erinnert sich an einen Fall, in dem ihr angedroht wurde, ihr die Finger abzuhacken. Auslöser dafür war ein kritischer Artikel über die Finanzgeschäfte eines russischen Geschäftsmanns. „Er wollte uns zuerst verklagen. Schließlich wollte er Geld von uns – und hätte er uns zuerst die Finger abgehackt, hätten wir es ihm natürlich nicht geben können. Aber wir haben diesen Fall gewonnen“, so Kachalova.

Die „NovayaGazeta“ ist vor allem für ihren investigativen Journalismus bekannt. Mit 300.000 Abonnenten landesweit und 10.000 Abonnenten in St. Petersburg ist die Reichweite der Printauflage relativ gering. „Online haben einzelne Artikel von uns schon über eine Millionen Menschen erreicht“, so Kachalova. Und die Zahl würde stetig wachsen.

Die Hauptausgabe der „NovayaGazeta“ gehört zu 51 Prozent den Redaktionsmitgliedern. Die restlichen 49 Prozent sind in den Händen der Gorbatschow-Stiftung und Alexander Lebedevs, der zu den bekanntesten russischen Oppositionellen zählt.

Mit Blick auf die Eigentümer der Zeitung verwundert die freie Berichterstattung nur wenig. Einflussnahme oder Belästigung seitens Offizieller käme dennoch vor. „Sie hindern unsere Arbeit“, so Kachalova. „Wenn wir Informationen anfragen, kommt es auffällig oft vor, dass unsere Anfragen verloren oder verlegt werden. So können sich Recherchen über Wochen ziehen. Das ist das Schlimmste, was sie tun.“

 

Kirill Artemenko, Online-Zeitung „Bumaga”

Kirill Artemenkoist ein junger russischer Journalist, der von den Möglichkeiten des Online-Journalismus profitiert. Für klassische Medienhäuser zu arbeiten kam für ihn nicht in Frage. Stattdessen gründete er direkt nach seinem Uni-Abschluss 2012 „Bumaga“ (dt: Papier), eine Online-Tageszeitung für St. Petersburg. Heute, gut drei Jahre später, hat er vier Mitarbeiter und die Seite erreicht 15.000 bis 20.000 Unique User am Tag.

„Unabhängig“ zu sein bedeutet für Artemenko nicht von einem einzigen Geldgeber abhängig zu sein. „Bumaga“ finanziert sich durch Werbung, die auf der Seite geschaltet wird. Artemenko versucht, so viele Anzeigenkunden wie möglich zu gewinnen. Falls ein Kunde wegbricht, gefährdet das nicht die Existenz der Seite.

Dieses Modell erlaubt es Artemenko kritisch über Anzeigenkunden zu berichten. So wie über die Mobilfunkfirma MTS, von der „Bumaga“ kürzlich einen Skandal öffentlich machte. „Es stand nicht mal zur Diskussion, ob wir diesen Artikel veröffentlichen oder nicht“, so Artemenko.

 

Shura Collinson, Englische Tageszeitung „The Moscow Times“

Wer in Russland Englisch beherrscht ist klar im Vorteil. Englischsprachige Rezipienten haben vielfältigere Möglichkeiten, Zugang zu unabhängigen Nachrichten zu bekommen, zum Beispiel über die Moskauer Tageszeitung „The Moscow Times“. Mit einer Auflage von 55.000 gilt sie als Russlands größte englische Zeitung.

Bis vor kurzem gehörte die „Moscow Times“ zu der Mediengesellschaft „Sanoma Independent Media“. Gerade hat das Blatt jedoch der russische Geschäftsmann Demyan Kudryavtsev aufgekauft. Er verspricht, auf die Unabhängigkeit der Redaktion keinen Einfluss zu nehmen, hat jedoch angekündigt einige Veränderungen in den Abläufen vorzunehmen, um die Zeitung profitabler zu machen.

Bis jetzt haben die Journalisten der „Moscow Times“ jedenfalls kaum Einflussnahme von russischen Offiziellen gespürt, berichtet die frühere Nachrichtenchefin ShuraCollinson. Das liege vor allem daran, dass die Regierung davon ausgehe, dass die meisten „Moscow Times“-Leser Ausländer sind, die kein Wahlrecht haben. „Ehrlich gesagt sind aber um die 50 Prozent unserer Leser Russen“, so Collinson.

Einzig im vergangenen Dezember bekamen die „Moscow Times“-Journalisten heftigen Gegenwind zu spüren. Die staatliche Tageszeitung Izvestiya veröffentlichte einen großen Kommentar, in dem die “Moscow Times” beschuldigt wurde, Lügen über die russische Gesellschaft im Ausland zu verbreiten. „Es war zwar nur ein Kommentar, aber es war trotzdem ziemlich besorgniserregend“, so Collinson.

Original-Version auf Englisch: Independent Voices

Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars in St. Petersburg mit Journalistik-Studierenden der TU Dortmund und der Staatlichen Universität St. Petersburg unter der Leitung von Anna Carina Zappe und Anna Smolyarova. Neben den Autorinnen Marianna Deinyan & Teresa Bechtold hat auch die russsische Studentin Natalia Smolentceva an dem Text mitgearbeitet.

 

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