Offen und traditionsbewusst in die Zukunft

23. Juni 2014 • Digitales • von

Stimmt es wirklich, dass in der digitalen Nachrichtenwelt die Unparteilichkeit von Journalisten immer weniger zählt? Vertrauen immer mehr Mediennutzer auf prominente Journalisten, die einfach ihre Sicht auf die Welt anbieten?

Glenn Greenwald, ehemals Journalist beim Guardian und durch die NSA-Spähaffäre nun Vertrauter von Edward Snowden, befeuerte eine Diskussion, ob Journalismus der Zukunft auch Aktivismus sein soll, und will dies mit seinem Projekt First Look Media und dem Magazin Intercept zeigen. In den USA formieren sich zunehmend erfolgreich Nachrichtenplattformen rund um Starreporter (The Daily Dish / Andrew Sullivan; Vox Media / Ezra Klein).

Das Reuters Institute der Universität Oxford untersuchte in seinem Digital News Report 2014 auch, ob dies nur Varianten sind oder das, was alle wollen, und befragte 18.000 Nutzer von Onlinenachrichten in zehn Ländern (acht europäische, Japan, USA, Brasilien).

Überall wollen mindestens zwei von drei Befragten mehr als nur eine Sicht auf ein Thema; sie verlangen, dass Journalisten auch online verschiedene Blickwinkel anbieten, also klassische journalistische Normen wie Objektivität und Unparteilichkeit als Leitlinie ihrer Arbeit bewahren. Das Onlinenachrichtenpublikum vertraut solchen Journalisten weit mehr als jenen, die bewusst parteilich berichten, auch wenn sie dies transparent machen; die meisten Befragten bilden sich lieber selber eine Meinung.

Diese Einstellung ist in Großbritannien und Deutschland besonders ausgeprägt; am anderen Ende der Skala ist Italien: Dort gefällt jedem dritten Befragten, wenn ein Journalist aus seiner Warte berichtet und anderes ausklammert.

Im Digitalen wird in den untersuchten Ländern die Journalistenpersönlichkeit zwar bedeutsamer, aber institutionelle Marken (hierzulande etwa Zeit, Spiegel, Tagesspiegel) genießen weiterhin das größere Vertrauen. In Deutschland ist der Unterschied am größten: 64 Prozent vertrauen Nachrichten abhängig davon, welches Medienhaus sie verbreitet; für 35 Prozent ist der Reporter Hauptquelle des Vertrauens.

Die Studie belegt: zukunftsgewandt heißt offen zu sein für Varianten und Spielarten. Die Zukunft gehört aber immer auch den traditionellen journalistischen Tugenden. Beides ist gut so.

Erstveröffentlichung: Tagesspiegel vom 23. Juni 2014

Der Beitrag ist Teil einer Serie – alle 14 Tage präsentieren drei Medienforscher im Tagesspiegel Ergebnisse und Streitfragen ihres Fachs, die das EJO zweitveröffentlicht.

Teil 1: Lauter, bitte!

Teil 2: Das Publikum vergisst rasch

Teil 3: Politik – mit und ohne Etikett

Teil 4: Facebook im Sinkflug?

Teil 5: Schneidet die alten Zöpfe ab!

Teil 6: Geschlechterklischees in den Medien

Teil 7: Alarm für die Demokratien

Teil 8: Mythen prüfen!

Teil 9: Oligarchie in Wikis?

Teil 10: Weg mit den Mogelpackungen

Bildquelle: Corinna Dumat  / pixelio.de

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