LGBT in Russland: zwischen Wegschauen und Kämpfen

29. April 2016 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Das Gesetz „gegen die Propaganda von Homosexualität“ verbietet, in Anwesenheit Minderjähriger positiv über LGBT-Themen zu sprechen. Das hat Auswirkungen auf die Berichterstattung in russischen Medien.

rainbow-1192500_1280Zehn Polizisten hocken in blauen Tarnanzügen in dem rot gestrichenen Kinofoyer mitten in Sankt Petersburg. Sie wirken gelangweilt und wischen auf ihren Handys herum. Sie bewachen das internationale LGBT-Filmfestival „Bok o Bok“ („Seite an Seite“). Seit 2008 widmet es sich den Themen der homo-, bi- und transsexuellen Community. Am Tag der Eröffnung war die Stimmung angespannt: Da hat – es ist mittlerweile Tradition – Witali Milonow medienwirksam versucht, die Veranstaltung zu torpedieren. Er ist Abgeordneter in Sank Petersburg und für seine Homophobie bekannt. Milonow hat 2011 das Gesetz, in dem auch das Verbot der „Propaganda von Homosexualität“ verankert ist, initiiert. Zwei Jahre später hat es die Duma als Gesetz gegen die „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen unter Minderjährigen“ für ganz Russland verabschiedet.

Gulya Sultanova organisiert „Bok o Bok“. Sie beschreibt die Auswirkungen des Gesetzes so: „Die ganze Gesellschaft ist gefangen in der Falle der staatlichen Propaganda. Und die staatliche Propaganda behandelt die LGBT-Community als Feinde, Perverse, Untermenschen – man kann das in dieser Nazi-Sprache ausdrücken, weil sie diese auch nutzen. Andererseits hat sich eine Community gebildet – die gab es früher nicht. Der Teil der Gesellschaft, der sich nicht alles vom ersten Kanal (Perwy Kanal; der populärste staatliche Fernsehsender Russlands; Anm. d. Red.) diktieren lässt, ist weiter gegangen. Es ist jetzt nicht mehr salonfähig, homophob zu sein in bestimmten Kreisen – und das ist sehr gut.“

Nikolai Ivanov arbeitet in der Petersburger Redaktion des staatlichen Kanals „Rossija 1“ als Moderator der Sendung „Ereignisse der Woche“. Er ist überzeugt, dass das „Schwulenpropaganda-Gesetz“ seine Arbeit nicht beeinflusse: „Wir haben über dieses Gesetz berichtet und jetzt ist dieses Thema nicht mehr aktuell. Ich habe Verwandte in einer weiter entfernten Region Russlands und als ich sie im Sommer besucht habe, haben sie mich gefragt, wer eigentlich diese ‘Gays’ sind. Für die normalen russischen Bürger ist das das Thema nicht verständlich und auch nicht nützlich. Das Thema ist nicht so wichtig wie vielleicht für das europäische Publikum.“

Andere Journalisten wie Diana Kachalova, Chefredakteurin der Sankt Petersburger Ausgabe der „Novaja Gazeta“, sind der Ansicht, dass es auch wichtig ist, dem Publikum Themen näher zu bringen, über die es noch nichts weiß. Sie sagt, ihre Zeitung berichte über LGBT-Themen, „wenn sie akut werden und wenn etwas passiert, von dem wir denken, dass wir kämpfen und jemandem helfen müssen“. Als „oppositionell“ würde sie die Tageszeitung nicht bezeichnen, sie ziehe es vor zu sagen, dass das Blatt „eine alternative Sichtweise“ biete.

Nikolai Ivanov von „Rossija 1“ aber wirft den Journalisten der „Novaja Gazeta“ vor: „Sie warten auf jede Gelegenheit, die Regierung und das Regime zu kritisieren. Wir haben nur über die Verabschiedung des Gesetzes berichtet. Denn sonst gibt es nichts zu dem Thema in Russland zu berichten. Es finden keine Diskriminierungen statt und es sind auch keine Menschen wegen des Gesetzes verhaftet worden. Soweit ich weiß, haben nur ein paar Menschen kleinere Strafen bekommen.“

Gegen wie viele Menschen und Medienhäuser aufgrund des Gesetzes bisher Strafen verhängt wurden, darüber gibt es keine offiziellen Angaben. Offizielle Stellen sammeln auch keine Daten über homophobe Gewalt in Russland. Aber: Human Rights Watch berichtet in einer Untersuchung vom Dezember 2014 von Gewalt gegen Schwule, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuelle und alle, die sich für deren Rechte einsetzen. Die Liste ist lang: Morddrohungen, Überfälle, Einschüchterungsversuchen, berufliche Benachteiligungen, mangelnder Schutz durch die Polizei, Straffreiheit für die Täter.

Für Diana Kachalova ist es dennoch schwierig, ihren Lesern die Thematik zu vermitteln: „Die Bevölkerung ist absolut noch nicht bereit für das Thema, aber wir müssen weitermachen und homosexuelle Menschen so portraitieren, dass die Menschen sie verstehen. Die Leser müssen verstehen, dass es nicht ‘nur’ um Schwule und Lesben geht. Es ist Privatsache, wenn Leute Beziehungen haben. Wenn sie aber deswegen verprügelt werden, ist es nicht mehr privat.“

Anders als Nikolai Ivanov sieht Diana Kachalova ihre Arbeit durch das Gesetz eingeschränkt: „Niemand kann sagen, was Propaganda eigentlich genau bedeutet. Wir wollten zum Beispiel eine Geschichte über zwei Mädchen und ihre unterschiedlichen Beziehungen zu ihren Familien veröffentlichen, zwei Lesben. Das ist keine Propaganda. Das ist Anti-Propaganda, denn ihre Lebensgeschichten sind sehr traurig. Und ich habe gründlich nachgedacht und diesen Artikel dann zu unserem Justiziar geschickt, damit er ihn auch noch zehnmal durchliest, bevor ich den Artikel publiziere. Und dann haben wir das „18+“-Zeichen verwendet, was sie jetzt fordern, denn sonst wäre der Artikel Propaganda unter Minderjährigen. Wenn du das so kennzeichnest, bist du auf der sicheren Seite.“

Auch das „Bok o Bok“-Festival dürfen nur über 18-Jährige besuchen. Wer keinen Ausweis dabei hat, kommt nicht rein. Über die Festival-Berichterstattung versucht Gulya Sultanova sich schon lange nicht mehr zu ärgern: „Staatliche Medien sind nicht zu retten, aber das Gute ist, dass die Menschen, die in den staatlichen Medien arbeiten, sich selbst nicht glauben. Sie lügen und sie wissen, dass sie lügen. Ich glaube, wenn ihnen jemand morgen sagen würde, dass Putin der Böse ist, dann würden sie gleich umschalten, sie würden es dann gleich freudig berichten. Das ist irgendwie blöd, aber es ist auch gut – in dem Sinne, dass sie nicht so richtig überzeugt sind.“

Um mehr Sensibilität in den russischen Medien zu schaffen, hat „Bok o Bok“ 2013 eine zwölfseitige Broschüre für den richtigen sprachlichen Umgang mit LGBT-Themen herausgegeben: „Viele Journalisten nutzen Begriffe, die Homosexualität als krankhaft darstellen. Sie nutzen zum Beispiel nicht das Wort ‚Homosexualität’, sondern ‚Homosexualismus’. ‚-ismus’ bezeichnet entweder ein ideologisches Konstrukt – oder eine Krankheit.“

Wie die Darstellung von Homosexualität in den russischen Medien zur Stimmung in der Bevölkerung beiträgt, ist noch nicht umfassend untersucht. Daten dazu gibt es unter anderem vom Lewada-Meinungsforschungsinstitut, das 2013 eine Studie veröffentlichte, nach der 34 Prozent der Befragten Homosexualität für eine Krankheit hielten, die behandelt werden müsse. Auf die Frage, ob Talkshows, Fernsehsendungen und Artikel über das Leben sexueller Minderheiten als „Propaganda von Homosexualität“ gewertet werden könnten, antworteten 37 Prozent der Befragten mit „eindeutig ja“ und 38 Prozent mit „eher ja“. Dreiviertel der Befragten glaubten zudem, dass Belletristik und Kinofilme, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen dargestellt werden, als „Propaganda von Homosexualität“ gewertet werden könnten (41 Prozent: „eindeutig ja“ und 33 Prozent :„eher ja“).

Diese Zahlen werden wohl auch in Zukunft dafür sorgen, dass beim Filmfestival „Bok o Bok“ die Polizei und ein privater Sicherheitsdienst im Kinofoyer sitzen werden.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars in St. Petersburg mit Journalistik-Studierenden der TU Dortmund und der Staatlichen Universität St. Petersburg unter der Leitung von Anna Carina Zappe und Anna Smolyarova.

Bildquelle: pixabay.com

 

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