Erfreulicherweise gibt es immer mal wieder Wissenschaftler, die auf den Irrsinn aufmerksam machen: Auf die Publikationszwänge, denen junge Forscher unterliegen, und auf den brutalen Wettbewerb, dem sie sich stellen müssen. Thomas Hanitzsch, der an der Universität München lehrt und ein grossangelegtes Projekt leitet, in dem er zusammen mit Kollegen die Journalismuskulturen in 21 Ländern dieser Welt vergleicht, hat jetzt (in einem Essay für Journalism Studies) beklagt, zu welch absurden Ergebnissen der „Goldstandard“ führe, mit dem wir Forschungsproduktivität messen.
4800 Fachartikel seien allein 2012 in kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert worden, 1999 seien es noch 980 gewesen. Niemand wird indes behaupten wollen, der Erkenntnisgewinn habe sich seither nahezu verfünffacht. Was sich indes dramatisch vervielfacht hat, ist der Aufwand, um in einem ehrenamtlichen „Peer reviewing“-System diese Publikationsflut zu kanalisieren und die Spreu vom Weizen zu scheiden, denn nicht alle zur Veröffentlichung vorgeschlagenen Aufsätze werden ja tatsächlich publiziert. Hanitzsch, der selbst die Fachzeitschrift Communication Theory editiert, beklagt, was viele Fachkollegen hinter vorgehaltener Hand bestätigen: Dass die Auswahlverfahren keineswegs zuverlässig funktionierten, und dass wir immer mehr mit sogenannten Impact-Faktoren und Zitations-Häufigkeiten hantieren, die eigentlich nichts, aber auch gar nichts über die wissenschaftliche Qualität eines Forschungsbeitrags aussagen. Leider wird so nicht nur über die Veröffentlichung von Aufsätzen, sondern auch über die Vergabe von Millionen und Abermillionen staatlicher Forschungsgelder entschieden.
Nur in einem Punkt irrt Hanitzsch. Er schreibt, der Wissenschaftsbetrieb werde zunehmend von „ökonomischer Logik“ bestimmt. Damit tut er den Ökonomen bitter unrecht, denn die sollten sich ja gerade um einen möglichst effektive und effiziente Verwendung kostbarer Ressourcen kümmern. Der Wissenschaftsbetrieb leidet aber am Gegenteil, an zu viel Hochschulbürokratie, organisierter Unverantwortlichkeit intransparenter Gremien, und damit an fehlgeleitetem Wettbewerb. Wann endlich werden auch andere Medien- und Sozialforscher aufwachen und diesen kleinen, aber feinen Unterschied erkennen?
Bildquelle: Michael / flickr.com
Erstveröffentlichung: Tagesspiegel vom 13.10.2014
Der Beitrag ist Teil einer Serie – alle 14 Tage präsentieren drei Medienforscher im Tagesspiegel Ergebnisse und Streitfragen ihres Fachs, die das EJO zweitveröffentlicht.
Teil 1: Lauter, bitte!
Teil 2: Das Publikum vergisst rasch
Teil 3: Politik – mit und ohne Etikett
Teil 4: Facebook im Sinkflug?
Teil 5: Schneidet die alten Zöpfe ab!
Teil 6: Geschlechterklischees in den Medien
Teil 7: Alarm für die Demokratien
Teil 8: Mythen prüfen!
Teil 9: Oligarchie in Wikis?
Teil 10: Weg mit den Mogelpackungen
Teil 11: Offen und traditionsbewusst in die Zukunft
Teil 12: Mit Twitter zum Wahlsieg
Teil 13: Bedeutungsverlust von Pressearbeit
Teil 14: Den Wandel gestalten
Teil 15: Die Spätfolgen von Tschernobyl
Teil 16: Narrative für Europa
Teil 17: Der Rest ist Schweigen
Teil 18: Politik in Bildern
Schlagwörter:Forschungsproduktivität, Publikationsflut, Thomas Hanitzsch, Wettbewerb