Polnische Medien-Startups füllen wichtige Nische aus

18. Dezember 2017 • Digitales, Internationales, Redaktion & Ökonomie • von

In Polen werden Journalisten zu Unternehmern, um den Qualitätsjournalismus zu retten.

Auslandsjournalismus kommt in vielen polnischen Redaktionen zu kurz. Der Zusammenschluss “Kolektyw Reporterski” möchte diese Lücke füllen.

Sowohl investigative Reporter als auch Auslandskorrespondenten sind wichtig, um die Qualität des Journalismus zu sichern, aber aus Kostengründen verzichten immer mehr polnische Mainstream-Medien auf diese Positionen. Um diese Schieflage auszugleichen und auch, um der wachsenden Politisierung der polnischen Medien entgegenzuwirken, haben viele polnische Journalisten, die zuvor bei führenden polnischen Medien gearbeitet hatten, unabhängige Medieninitiativen gegründet.

Das EJO hat sechs dieser Startups,  die alle in den vergangenen drei Jahren auf dem polnischen Medienmarkt entstanden sind, unter die Lupe genommen und ist dabei besonders auf die folgenden Fragen eingegangen: Wie finanzieren sich diese Projekte? Wie erreichen sie Rezipienten? Und wie innovativ sind sie im Hinblick auf die Herausforderungen des Medienmarktes?

Zwei Projekte – Oko.press und Mediumpubliczne.pl – sind als Antwort auf die zunehmende Politisierung der öffentlich-rechtlichen Medien durch die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die 2015 an die Regierung gekommen ist, entstanden.

Bei drei Projekten (Stowarzyszenie Reporterów Rekolektyw, Kolektyw Reporterski und Outride.rs) steht die Förderung des Auslandsjournalismus im Fokus. Polnische Medien stellen nur selten Auslandskorrespondenten an und bauen stattdessen oft auf freie Mitarbeiter, die nur selten ausreichend unterstützt werden. Eine weitere Initiative (Webnalist.com) hat es sich zum Ziel gesetzt, freie Journalisten zu unterstützen.

Das Hauptziel haben alle untersuchten Medien gemein: Sie wollen Qualitätsjournalismus schaffen, mit neuen Finanzierungsinstrumente experimentieren und neue Geschäftsmodelle etablieren.

Fünf von sechs Projekten haben sich dafür entschieden, auf ihren Seiten keine Werbung zu schalten, da die finanzielle Abhängigkeit, die daraus entsteht, ihrer Ansicht nach zu Lasten der journalistischen Qualität gehen würde.

Drei der sechs analysierten Medien (oko.ress, outride.rs und webnalist.com) zählen auf die Einnahmen von ihren Nutzern, darunter Micropayments und Crowdfunding. Andere Einnahmenquellen sind Zuschüsse oder ein kostenpflichtiger Newsletter. Zwei Projekte (Kolektyw Reporterski und mediumpubliczne.pl) arbeiten ohne Einnahmen.

Drei der analysierten Projekte nehmen ihre finanzielle Situation als gut wahr (oko.press, outride.rs und Stowarzyszenie Reporterów Rekolektyw), drei als nicht ausreichend. Drei der Initiativen hatten Investoren (oko.press, webnalist,com, Medium Publiczne). Zwei davon (webnalist.com und Medium Publiczne) haben dennoch mit finanziellen Problemen zu kämpfen.

Alle Projekte betonen, dass nicht der Gewinn, sondern ihre Mission ihr Hauptziel ist.

Oko.press: stabile Finanzierung als Schlüssel zum Erfolg

Finanziell steht Oko.press von den sechs Projekten am besten dar. Seit Juni 2016 gibt es die Online-Plattform, die täglich Nachrichten liefert. Sie wurde ursprünglich von den beiden polnischen Verlagen Agora, der die Mitte-Links-Tageszeitung Gazeta Wyborcza herausgibt und Polityka, der eine gleichnamige Wochenzeitung publiziert, gegründet – und zwar kurz nach der Regierungsübernahme durch die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), um so die Meinungsfreiheit in Polen zu garantieren. Mittlerweile finanziert sich Oko.press selbst und arbeitet als unabhängiges Non-Profit-Projekt mit einem Fokus auf investigativen Journalismus und Factchecking.

Die Plattform hat monatlich über 750.000 User sowie 109.000 Facebook-Fans. Rund 60 Prozent ihrer Einnahmen stammen von freiwilligen Zahlungen ihrer Rezipienten. „2000 Nutzer zahlen regelmäßig und etwa 5.500 Nutzer haben unser Projekt zumindest schon einmal unterstützt“, sagt Agata Szczesniak, eine Redakteurin von Oko.press.

Zudem finanziert sich die Seite durch einen kostenpflichtigen Newsletter, durch Zuschüsse und Spenden. Oko.press ist das einzige der untersuchten Projekte, bei dem die 16 Mitarbeiter ein festes Gehalt bekommen. Das monatliche Budget beträgt etwa 110.000 Zloty (ca. 26.000 Euro).

Womit erklärt sich die Seite ihren Erfolg? „Ein gut durchdachtes Budget, ein eindeutiges thematisches Profil, eine klar definierte Zielgruppe und das Eingehen auf die Bedürfnisse unserer Nutzer sind die Eckpfeiler unseres Erfolgs“, sagt Agata Szczesniak.

Outride.rs: Auf ausländischer Mission

Ziel von Outride.rs ist es, guten Auslandsjournalismus zu machen, der von vielen polnischen Medien vernachlässigt wird. Sein Geschäftsmodell basiert auf freiwilligen Zahlungen von Nutzern und Crowdfunding.

Am Projekt sind sowohl Redakteure und Reporter als auch Grafiker und Programmierer beteiligt. Auf der Webseite werden interaktive Reportagen mit Text, Audio und Video sowie Nachrichten aus aller Welt publiziert. Die Gründer wollen ihr Angebot in Zukunft auch auf 3D-Projekte, Virtual Reality und Comic-Reportagen ausweiten.

„Unser Ziel ist nicht nur die Lieferung von qualitativ hochwertigen Inhalten, sondern auch die technologische Entwicklung des Journalismus“, sagt Jakub Gornicki, einer der Gründer von Outride.rs.

Die Plattform entstand erst im September 2017, ein Beitrag zieht durchschnittlich etwa 30.000 bis 40.000 Nutzer an.  Zwar sind freiwillige Zahlungen und Crowdfunding die Haupteinnahmequelle, aber die Gründer lehnen auch Kooperationen mit Werbetreibenden nicht ab – als einziges der hier vorgestellten Projekte.

„Wir sind offen für die Finanzierung unseres Projekts durch Unternehmen. Wenn wir beispielsweise einen Artikel über Frauen im Ausland schreiben und sich ein Unternehmen meldet, bei dem das  Wohlergehen von Frauen im Fokus ihrer Corporate Social Responsibility-Aktivitäten steht, können wir uns eine Zusammenarbeit vorstellen“, sagt Gornicki. Die Werbetreibenden dürften den Artikel aber erst sehen, wenn er fertig sei, und sich nicht in dessen Inhalte einmischen. Inspiriert worden seien sie vom Modell des britischen Guardian, der unter anderem Artikel publiziert, die von verschiedenen Unternehmen „unterstützt“ werden.

Kolektyw Reporterski: Polen interessieren sich doch für das Ausland

Auch Kolektyw Reporterski entwickelte sich als Antwort auf die Krise des Auslandsjournalismus in Polen, gegründet von polnischen freien Journalisten, Fotojournalisten und Korrespondenten aus der ganzen Welt, die keine feste Anstellung und keine Unterstützung von Seiten einer Redaktion hatten.

Das Kollektiv entstand vor allem aus Frustration. So erinnert sich Julia Prus, eine der Gründerinnen des Kollektivs, dass sie damals, als sie für eine polnische Agentur in Uganda arbeitete, ständig hörte, dass sich die Polen nicht dafür interessieren würden, was in Afrika, Asien und Südamerika passierte. „Wenn Nachrichtenagenturen Beiträge aus dem Ausland publizierten, dann meist ohne tieferen Kontext. Ich wollte Ereignisse aus der Perspektive der Bürger dieser Länder zeigen“, sagt Prus.

Das Projekt hatte schnell Erfolg in den sozialen Medien. „Innerhalb weniger Wochen hatten wir 10.000 Fans auf Facebook. Heute erreicht ein Post dank unserer engagierten Gemeinschaft bis zu 120./130.000 Nutzer.“ Das Kollektiv hat keine genaue Struktur und kein gemeinsames Budget. Bisher finanziert sich jeder Autor selbst. Zurzeit denken die Gründer aber darüber nach, ihren Zusammenschluss durch Zuschüsse, Crowdfunding und Mikrozahlungen finanzieren zu lassen, um einen regelmäßigen Betrieb gewährleisten zu können.

Stowarzyszenie Reporterów Rekolektyw: Für die Rettung der Reportage

Stowarzyszenie Reporterów Rekolektyw wurde 2014 von erfahrenen polnischen Journalisten mit dem Ziel gegründet, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam redaktionelle Projekte zu realisieren. „Unser Modell funktioniert ganz einfach: Einer von uns schlägt ein Thema vor und alle tragen dazu verschiedene Blickwinkel bei“, sagt Urszula Jablonska, eine Reporterin von Stowarzyszenie Reporterów Rekolektyw.

Gemeinsame Projekte werden hauptsächlich durch Zuschüsse oder Publikationsfonds finanziert. Darüber hinaus nehmen die Journalisten Geld ein, indem sie ihre Beiträge an Medien verkaufen und auch für den nichtstaatlichen Sektor und kulturelle Einrichtungen Beiträge verfassen.

„Wir betreiben klassischen Reportage-Journalismus, der viel Geld kostet, aber auch mit am wertvollsten ist“, betont Jablonska. Einige ihrer Reportagen geben die Journalisten zudem als Buch heraus. Bislang sind zwei Sammelbände mit Reportagen über Berlin sowie über die Wurzeln des polnischen Hasses erschienen. Die finanzielle Situation wird von den Gründern als gut beschrieben, obwohl sie keine eigene Online-Plattform für ihre Nutzer haben und ihre Facebook-Seite nur 1.000 Likes hat.

Webnalist.com: Was lief nicht gut?

Das Projekt webnalist.com verließ sich ausschließlich auf die Finanzierung durch seine Nutzer – und hatte damit keinen Erfolg. Die Plattform wurde von Gregorz Lindenberg gegründet, einem der Mitbegründer der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ und der Boulevardzeitung „Super Express“. Die Plattform wollte qualitativ hochwertigen Journalismus bieten und ihre Mitarbeiter entsprechend vergüten – und sich damit von den polnischen Mainstreammedien abheben, die freien Journalisten nur niedrige Löhne zahlen.

Für die Erstellung eines Prototyps sowie das erste halbe Jahr bekamen die Gründer von Webnalist.com eine finanzielle Unterstützung von der Google Digital News Initiative, danach sollte ein pay-per-read-Modell das nötige Geld einbringen. Jeder Nutzer zahlte Geld auf sein Webnalist-Konto ein, und bekam Geld für die gelesenen Artikel abgezogen.Als die Zuschüsse aufgebraucht waren, stelle sich das Modell trotz rund 7.000 Nutzern als nicht tragbar heraus. „Wir haben es nicht geschafft, genügend Nutzer davon zu überzeugen, für unsere Inhalte zu zahlen. Ich denke, dass es teilweise daran lag, dass wir kein genaues thematisches Profil hatten“, erklärt Lindenberg.

Zurzeit sind sie auf der Suche nach zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten, damit sie ihre Arbeit fortsetzen können. Dann wollen sie, so Lindenberg, auch den technischen Anforderungen des Online-Bereichs mehr Aufmerksamkeit schenken, inklusive Suchmaschinenoptimierung und Marketing.

Mediumpubliczne.pl: Nicht auf Profit aus

Ähnlich erging es dem Projekt mediumpubliczne.pl, das 2015 als Non-Profit-Organisation von polnischen Journalisten, die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk entlassen wurden, nachdem die Partei Recht und Gerechtigkeit an die Macht gekommen war, gegründet wurde.

Bürgerjournalisten und Aktivisten arbeiteten ehrenamtlich für die Plattform. Mediumpubliczne.pl sollte eine Plattform für eine freie öffentliche Debatte sein, für ein freies Wort, bei der es nicht um Gewinn ging. Um eine technische Infrastruktur aufzubauen, wurden private Spenden verwendet. Das Modell funktionierte nicht. Trotz 250.000 Nutzern pro Monat und 20.000 Facebook-Fans arbeiteten immer weniger Ehrenamtliche für mediumpublizne.pl. Heute steht die Zukunft des Projekts auf der Kippe. „Es stellte sich heraus, dass es unmöglich ist, Medien ohne Geld zu machen“, sagt Rafal Betlejewski, einer der Gründer des Projekts.

Nische ausfüllen

Die Analyse zeigt, dass Finanzierung durch Werbung nicht die einzige Option für neue Medien ist. Es stimmt auch nicht, dass polnische Internetnutzer keinen Wert auf Qualitätsjournalismus legen – und es muss hervorgehoben werden, dass sie auch bereit sind, für qualitativ hochwertige Inhalte zu zahlen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die beschriebenen Projekte ein wichtiger Bestandteil der polnischen Medienlandschaft werden. Sie können auch Mainstreammedien Inhalte liefern, die sie aus Kostengründen nicht selbst produzieren können.

Schon heute füllen die Projekte vor allem im investigativen sowie im Reportage- und im Auslandsjournalismus eine wichtige Nische aus. Sie können im Medienmarkt aber nur bestehen, wenn ihnen ein gutes Geschäftsmodell zugrunde liegt und sie sich finanzieren können.

 

Übersetzt von Kathrin Wesolowski und Tina Bettels-Schwabbauer

 

Dieser Beitrag ist Teil unseres deutsch-polnischen Themenspezials, das von der Deutsch-Polnischen Wissenschaftssstiftung (DPWS) gefördert wird.

 

 

Bislang im deutsch-polnischen Themenspezial auf der deutschen Seite erschienen:

Im Fokus: deutsche und polnische Medien

Polnische Medien im Wandel

Der Einfluss der polnischen Regierung auf die Medien

Starke Kritik an Polens Medienreformen

Kampf gegen deutsche Dominanz

Polnische Medien und Flüchtlinge: viele Fake News

Politikthemen waren tabu – Medien im Kommunismus 

Katholische Medien in Polen – nah am Staat? 

Polnische Medienreform forderte ihre Opfer

Vereint im Populismus?

Über die Freiheit der Berichterstattung 

Zeitungen unter Druck 

Wie deutsche Journalisten mit dem Vorwurf „Lügenpresse“ umgehen

Polen ist Vorreiter in Sachen Paywall

 

Hier geht es zum deutsch-polnischen Themenspezial auf der polnischen EJO-Seite:

http://pl.ejo-online.eu/tag/niemcy-polska-temat-specjalny

 

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