Bislang hat sich der Diskurs über die öffentlich-rechtlichen Medien Polens hauptsächlich auf ihre Politisierung konzentriert. Vor allem der Einfluss, den die seit 2015 regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausübt, hat im Land und international für Aufsehen gesorgt, denn er hatte einen starken Rückgang der Pressefreiheit zur Folge. Neben der Unabhängigkeit sollte aber auch die technische und organisatorische Zukunft des polnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Fokus stehen.
Das polnische Fernsehen (Telewizja Polska – TVP) und das polnische Radio (Polskie Radio – PR) fußen noch auf einem alten Rundfunkmodell, das durch die Trennung von Mediengattungen, Massenproduktion, Bürokratie und Top-Down-Entscheidungsprozesse gekennzeichnet wird. Die Online-Auftritte des polnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden als eine Erweiterung des traditionellen Fernsehens und Radios betrachtet, nicht als eine eigenständige Mediengattung. Um in der neuen Medienökologie, die unter anderem durch nutzergenerierte Inhalte, Multiplattform-Projekte und transmediale Formen gekennzeichnet ist, Relevanz zu erlangen, müsste der öffentlich-rechtliche polnische Rundfunk seine Struktur und Organisation tiefgreifend ändern.
Es sollten deshalb auch die folgenden Fragen gestellt werden: Wie könnten das polnische Fernsehen und Radio einen Vorteil aus der neuen Medienökologie ziehen? Wie könnten sie ihr Programm partizipativer, innovationsorientierter und für junge Generationen ansprechender gestalten? Und was sind letztendlich die größten Hindernisse für Veränderungen?
Öffentlich-rechtliche Medien in der neuen Medienökologie
Die Art und Weise, in der sich öffentlich-rechtliche Medien an die dynamische und sich schnell verändernde digitale Umgebung anpassen können, wird seit Jahren untersucht und erprobt. So haben mehrere politische Entscheidungsträger, darunter der Europarat und die Europäische Rundfunkunion (EBU), die Bedeutung öffentlich-rechtlicher Medien für demokratische Prozesse und die Wissensgesellschaft hervorgehoben und Toolkits erstellt, die die Umgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unterstützen sollen.
Darüber hinaus hat das EU-finanzierte Forschungsprojekt MediaRoad (2017-2019) kürzlich betont, wie wichtig es ist, Innovationen in der europäischen Medienindustrie zu fördern. Teil des Projekts ist der „Sandbox Hub“, ein Gründerzentrum für Medieninnovationen. Hier können sich Startups sowie kleine und mittelständische Unternehmen aus den Bereichen Technologie, Journalismus und soziale Medien mit etablierten Medienunternehmen vernetzen und gemeinsam neue innovative Projekte entwickeln.
Diese Initiative kann als klares Signal dafür gesehen werden, dass nicht über die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien diskutiert werden kann, ohne strategische Neustrukturierungen sowie Kooperationen mit der Kreativwirtschaft und High-Tech-Unternehmen zu berücksichtigen.
Lizzie Jackson, Professorin an der London South Bank University, und ich untersuchen seit 2015 das Phänomen kreativer Mediencluster in 10 europäischen und nordamerikanischen Städten im Forschungsprojekt Organisational Culture of Public Service Media: People, Values and Processes, das vom Nationalen Wissenschaftszentrum in Polen (Narodowe Centrum Nauki, NCN) finanziert wird. Wir haben in jeder Stadt 15 Interviews mit Medienschaffenden von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien, politischen Entscheidungsträgern, Wissenschaftlern, Startup-Gründern, Coworking-Space-Gründern sowie Vertretern der Stadt geführt. Unser Ziel war es, die interne Kultur von kreativen und High-Tech-Clustern zu analysieren und die Werte und Prozesse zu identifizieren, die sich die öffentlich-rechtlichen Medien für eine Neuausrichtung zu eigen machen könnten.
Ein Blick auf Polen
Die Stadt Warschau war ein besonders interessantes Untersuchungsobjekt, nicht nur wegen der jüngsten Veränderungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In Warschau gibt es die meisten Medienunternehmen und die höchste Konzentration von Startups in Polen. Es sind dort auch mehrere globale Medienunternehmen ansässig geworden, darunter Facebook und Google. Darüber hinaus hat die Stadt Warschau mehrere Projekte eingeführt, um die Entwicklung der Infrastrukturen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) zu fördern, mit dem Ziel, Warschau zu einer intelligenten und vernetzten Stadt zu machen. Warschau strebt danach, in Mittel- und Osteuropa eine führende Rolle im Bereich der neuen Technologien und der Kreativwirtschaft einzunehmen.
Warschaus kreative Mediencluster
Wir haben uns dafür entschieden, die kreativen Mediencluster im Stadtteil Praga unter die Lupe zu nehmen. Der Stadtteil ist bei Technologie-Unternehmen, die die Wiederverwendung alter Industriestandorte schätzen, sehr beliebt. Jeden Sommer wird in Praga das Straßenfestival Otwarta Ząbkowska veranstaltet, an dem unter anderem die Stadtverwaltung, verschiedene Künstler, Clubs, Theaterhäuser und NGOs mitwirken.
Ein von uns befragter Medienexperte erklärt, was das Erfolgsrezept des Straßenfestivals ausmacht: die Nähe zur lokalen Bevölkerung, informelle Verbindungen, die auf Freundschaften basieren und eine starke Afterwork-Kultur.
Wir haben in Praga auch das von der Stadt betriebene Kreativzentrum Targowa besucht, das für Medienschaffende, die auf Werbung, Virtual Reality und Spiele spezialisiert sind, Coworking-Räume zur Verfügung stellt. Die Interviews mit den Mitarbeitern des Kreativzentrums waren sehr hilfreich, um sich ein Bild von den Hindernissen zu machen, auf die vor allem öffentliche Einrichtungen oft stoßen, wie starre Strukturen und Bürokratie.
Die Distanz der öffentlich-rechtlichen Medien
Sowohl das Gebäude des polnischen Fernsehens als auch das Gebäude des polnischen Radios befinden sich im Stadtteil Mokotów (mit Ausnahme der TV-Nachrichtenredaktion, die im Stadtzentrum ansässig ist). Einigen unserer befragten Experten zufolge haben die unterschiedlichen Standorte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die geografische Distanz zu den kreativen Medienclustern in Warschau durchaus einen Einfluss auf die Attraktivität einer möglichen Kooperation.
Die Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben zudem keinen leichten Zugang zu Cafés, Restaurants und anderen Orten, an denen sie mit Vertretern anderer Unternehmen in Verbindung treten könnten. Die Experten kritisierten auch, dass zwischen Mitarbeitern des Fernsehens und des Radios keine Verbindung bestehe.
Unsere Interviewpartner, die beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätig sind, wiesen wiederholt daraufhin, dass es an projektbasierten Aktivitäten und Multimedia-Projekten mangele. Sie berichteten stattdessen von einer vertikalen Kommunikation, hierarchischen Strukturen und der Existenz zweier unterschiedlicher Kulturen – die der Manager und die der Produzenten.
Sie bemängelten, dass das hohes Maß an Formalisierung und die Trennung in eine Vielzahl von Abteilungen, die jeweils über ihre eigene Kultur und Kompetenzen verfügen, die Flexibilität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erheblich einschränkten.
Ein Ruf nach grundlegenden Veränderungen
Es besteht kein Zweifel daran, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Polens einen kritischen Moment in seiner Geschichte erreicht hat und dass grundlegende Veränderungen nötig sind – sowohl in Bezug auf das wachsende Phänomen der kreativen Mediencluster als auch auf die Notwendigkeit interner Umstrukturierungen. Es mag wie eine Utopie klingen, die öffentlich-rechtlichen Medien für externe Akteure zu öffnen und sowohl den Kreativen als auch den Durchschnittsbürgern mehr Macht zu geben. Fehlende Reaktionen könnten aber dazu führen, dass das polnische öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio in der Zukunft marginalisiert werden.
Solch fundamentale Verschiebungen erfordern auch ein Umdenken der politischen Entscheidungsträger, die über den Tellerrand hinausblicken und sich auf ein neues öffentlich-rechtliches Rundfunk-Modell einigen müssten.
Wir glauben, dass es eine Alternative zum jetzigen polnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Nur, wenn wir versuchen, ihn zu ändern, können wir neue Möglichkeiten ausschöpfen.
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Michal Glowacki und Lizzie Jackson glauben auch, dass es neue Wege braucht, um über die Neugestaltung öffentlich-rechtlicher Medien in Polen (und anderen Ländern) zu diskutieren. Sie veranstalten dazu am 13. Juni 2018 in Warschau eine „Un-Konferenz“. Unter dem Titel „Creative Cultures for Media Progression: An Unconference“ werden sie die Ergebnisse ihrer Studie vorstellen und Wissenschaftlern, Medienmanagern sowie der Warschauer Hightech-Start-up-Community die Möglichkeit zum Wissensaustausch geben. Statt traditioneller Konferenzpräsentationen sind auf der „Un-Konferenz“ offene und unkonventionelle Formate geplant.
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Dieser Beitrag ist Teil unseres deutsch-polnischen Themenspezials, das von der Deutsch-Polnischen Wissenschaftssstiftung (DPWS) gefördert wird.
Bislang im deutsch-polnischen Themenspezial auf der deutschen Seite erschienen:
Im Fokus: deutsche und polnische Medien
Der Einfluss der polnischen Regierung auf die Medien
Starke Kritik an Polens Medienreformen
Polnische Medien und Flüchtlinge: viele Fake News
Politikthemen waren tabu – Medien im Kommunismus
Katholische Medien in Polen – nah am Staat?
Polnische Medienreform forderte ihre Opfer
Über die Freiheit der Berichterstattung
Wie deutsche Journalisten mit dem Vorwurf „Lügenpresse“ umgehen
Polen ist Vorreiter in Sachen Paywall
Polnische Medien-Startups füllen wichtige Nische aus
Hier geht es zum deutsch-polnischen Themenspezial auf der polnischen EJO-Seite:
http://pl.ejo-online.eu/tag/niemcy-polska-temat-specjalny
Schlagwörter:Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung, Deutsch-Polnisches Themenspezial, Innovationen, kreative Mediencluster, öffentlich-rechtliche Medien, Polen, Polskie Radio, Telewizja Polska, Warschau