Interkontinentale Hellebarden

27. Juli 2007 • Medienökonomie • von

Weltwoche, Nr. 27, 2007

Medienunternehmen investieren Unsummen in ihr Zukunftsgeschäft im Internet. Die Schweizer Verlage holzen derweil Laub- und Nadelbäume ab.

Es braucht nicht viel Fantasie, um den Mediennutzer der Zukunft zu beschreiben. Der Mediennutzer der Zukunft sitzt in der Bahn, auf dem Balkon oder in der Badeanstalt, hält vor sich einen kleinen Bildschirm und ruft auf diesem Bildschirm Videos, Musik, Texte, Gesprächspartner und Spiele ab.

Der Mediennutzer der Zukunft, wie man sieht, unterscheidet sich nicht wesentlich vom Mediennutzer der Gegenwart, wenngleich diese unlimitierte Mobilität des Medienkonsums heute erst jüngeren Mediennutzern völlig vertraut ist.

Weil der Mediennutzer der Zukunft einfach zu beschreiben ist, sind auch die Zukunftsstrategien der Medienunternehmen keine komplizierte Sache. Sie müssen einfach dafür sorgen, dass sie über genügend attraktive Videos, Musik, Texte, Gesprächspartner und Spiele verfügen, die sie den Mediennutzern auf deren Bildschirme schicken können.

Aus diesem simplen Muster erklären sich die hektischen Aktivitäten in der globalen Medienindustrie. Rupert Murdoch erwirbt für Unsummen die Community-Site MySpace, will nun bei Yahoo einsteigen und mit dem Kauf von Dow Jones einen digitalen Wirtschaftskanal schaffen. Burda steckt Hunderte von Millionen in Video- und Spielportale. Springer investiert unter dem Slogan «Online first» gross in Internetshopping. Skandinavier wie Schibsted bauen teure elektronische Rubrikenmärkte. Google kauft für zwei Milliarden die Videoplattform Youtube. Und die Swisscom tut sich mit der Musikbörse Napster zusammen.

Damit wären wir in der Schweiz, und es ist hochinteressant zu sehen, was sich hier tut. Die Verlage überschlagen sich derzeit in einer Anbauschlacht von Zeitungen, neue Gratiszeitungen aller Art, neue Sonntagszeitungen aller Art. Sie fällen Bäume wie die Irren, um genügend Papier herzustellen, damit die Mediennutzer der Zukunft all ihre gedruckten Zeitungsartikel darauf lesen können.

Es kommt einem vor, als wäre man Beobachter eines komparativen Waffengangs. Die Schweizer produzieren eifrig neue Steinschleudern, Pfeilbogen und Hellebarden. Das macht die Auseinandersetzung etwas schwierig, weil der Gegner über lasergesteuerte Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen verfügt.

Es gibt kein Schweizer Verlagshaus, das eine echte Internetstrategie hat. Es gibt darum auch kaum ein hiesiges Internetangebot, das zukunftsgerichtet ist. Die einzige Ausnahme ist die Site von 20 Minuten, die im internationalen Vergleich etwa mithalten kann.
Einzigartige Ausnahme

Alle Medienhäuser weltweit haben in den letzten Jahren viel Geld verdient. Sie verdienten es in ihrem Stammgeschäft. Das verdiente Geld investieren sie nun in ihr Zukunftsgeschäft. Die meisten internationalen Medienkonzerne wollen ums Jahr 2010 etwa 25 bis 40 Prozent ihres Umsatzes im Internet erzielen.

Die Schweizer Medienhäuser tun das Gegenteil. Auch sie haben viel Geld verdient. Sie verdienten es in ihrem Stammgeschäft. Das verdiente Geld investieren sie nun in ihr Stammgeschäft. Keiner will ums Jahr 2010 etwa 25 bis 40 Prozent des Umsatzes im Internet erzielen. Sie sind schon froh, wenn sie auf 5 bis 10 Prozent kommen.

Die Schweizer Verlage sind mit ihrer geballten Internetskepsis eine international einzigartige und exotische Ausnahme. Weil wir Schweizer aber lange Erfahrung als Sonderfall haben, wagen wir keine abschliessende Meinung. Wir können nur die zwei Optionen aufzeigen, die es gibt.

Entweder haben die Schweizer Verlage recht, und alle andern sind blöd. Oder alle andern haben recht, und die Schweizer sind blöd.

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