Tweeting Terror

29. März 2016 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Klaus Beck sieht Netzwerke wie Twitter als Plattformen der „IS“-Propaganda

hashtagVor zehn Jahren hoffnungsfroh gestartet, enttäuscht Twitter nicht nur ökonomisch. Statt über die vermeintliche „Twitter-Revolution“ des Arabischen Frühlings berichten die Medien nun, wie islamistische Terroristen das „soziale Medium“ nutzen, um ihre Gewalttaten in Wort und Bild zu feiern. 125.000 Twitter-Accounts wurden 2015 deshalb geschlossen.

Dabei ist die Verbindung von Terrorismus und Medien alles andere als neu: Ohne die Medien wären Furcht und Schrecken des Terrors immer lokal begrenzt geblieben. Die medienwirksame Inszenierung von Gewalt als symbolischer Drohung ist nicht erst seit 9/11 ein Wesenszug des Terrors. Die Massenmedien kommen zwar kaum umhin, über die Taten zu berichten, müssen aber die ideologischen Botschaften nicht übernehmen.

Mit Social Media vollziehen Terroristen nun auf perfide Weise nach, was Unternehmen und Politiker längst tun: Sie versuchen, den Journalismus auszuhebeln statt ihn einzuspannen. An den Redaktionen vorbei verbreiten sie nicht nur „Märtyrerberichte“ aus Syrien und Irak oder salafistische Lehren, wie eine Analyse von Jytte Klausen zeigt. Der selbsternannte „IS“ verwendet zunehmend professionelle Mittel der Unterhaltungsindustrie, die früher staatlicher Kriegspropaganda vorbehalten waren: Pop- und Rap-Kultur, Anleihen bei Comics, TV-Serien und Videospielen, und sogar die berüchtigten Katzenfotos prägen das Twitter-Angebot (#catsofjihad). Neu ist auch nicht, Propaganda unter falscher Flagge zu verbreiten: Dem „IS“ gelang es zeitweise, populäre Hashtags zu kapern oder seine Botschaften mittels Handy-App über harmlos wirkende Privat-Accounts zu senden.

Man darf sich nicht täuschen lassen: Die globale Weiterverbreitung spontan und authentisch wirkender Tweets aus Nahost geht auf ein kleines aber gut organisiertes Aktivistennetz in Europa zurück. Deshalb stellen Tweets auch keine gute Quelle für den Journalismus dar, dem derzeit oft die normalen Recherchewege versperrt sind. Ohne die mediale Verstärkung bleibt die Reichweite von Twitter so mager wie die Unternehmenserlöse: In Deutschland nutzen nicht einmal fünf Prozent der Menschen Twitter.

Jytte Klausen (2015): Tweeting the Jihad: Social Media networks of Western Foreign Fighters in Syria and Irak. Studies in Conflict & Terrorism, Vol. 38, S. 1-22.

Erstveröffentlichung: Der Tagesspiegel vom 28. März 2016

Bildquelle: Dan Moyle / Flickr CC

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