Erstveröffentlichung: Edito 1
Unschön waren die Schnittwunden im SVP-Muster auf Bauch und Beinen der Brasilianerin Paula O. Noch hässlicher die Berichterstattung in Brasilien über den angeblich rassistisch motivierten Übergriff und den Vorwurf, die Schweiz wolle den Vorfall unter den Teppich kehren. Eine Ente, wie sich später herausstellte. Paula O. hatte sich die Schnittwunden selbst zugefügt und den Überfall wie auch den erlittenen Abort frei erfunden. Doch damit ist das Stück noch nicht zu Ende.
Die Vorwürfe gegenüber swissinfo sind happig. Ausgelöst wurden sie durch einen Artikel von Alex Baur in der Weltwoche. Dieser machte aus Paulas Irreführung der Rechtspflege kurzerhand die «Protokolle einer Irreführung» (18.02.), wonach swissinfo eine «unrühmliche Rolle» in der Berichterstattung des Falls gespielt habe. Als stossend wird erwähnt, dass swissinfo einen Blog von der brasilianischen Medienkette «O Globo» zitiert habe, worin das Rabenmotiv des SVP-Plakats zur Abstimmung vom 8. Februar abgebildet und mit Fremdenfeindlichkeit in Verbindung gebracht worden war. Als weiteres Beispiel führte die Weltwoche an, dass ein Brasilien-Spezialist auf swissinfo die Schweizer Medien an den Pranger gestellt habe, weil sie xenophobe Attacken mutwillig verschweigen würden. Dabei habe er den Fall so dargestellt, als gäbe es nicht den geringsten Zweifel an der Geschichte von Paula O.
Von der Motion Mörgeli hat Alex Baur lediglich aus den Medien gehört, wie er auf Anfrage sagte. Und es sei auch nicht seine journalistische Absicht gewesen, auf eine Abschaffung von swissinfo hinzuarbeiten. Der zentrale Kritikpunkt sei ein anderer. «Die portugiesische und die spanische Ausgabe von swissinfo haben nie klargestellt, dass die Geschichte von Paula O. erfunden war», so Baur. Die Aufklärung sei nicht oder jedenfalls nur sehr schleppend erfolgt.
Christophe Giovannini, Chefredakteur von swissinfo, weist diese Vorwürfe zurück. swissinfo habe «über die öffentliche Empörung in Brasilien und in der Schweiz berichtet, diese aber nicht ausgelöst». Dabei habe sich die portugiesische Redaktion von Anfang an bemüht, «ausgewogen und faktengetreu über diese traurige Geschichte zu schreiben». Auch habe swissinfo «schnell die unerwarteten weiteren Entwicklungen verfolgt und ihren Lesern mitgeteilt». So habe man die Medienmitteilungen der Zürcher Stadtpolizei vollständig übersetzt und für die Artikel alle Seiten befragt oder zitiert: von der Familie der Frau und der brasilianischen Regierung über mehrere Vertreter der SVP (darunter Alain Hauert, Oskar Freysinger und Yvan Perrin) bis hin zu NGO’s wie Amnesty International. «Dies ergab eine Fülle von Zitaten, von denen der Weltwoche einige nicht gefallen haben», so Giovannini.
Das sieht Alex Baur, der an der Kritik seines Artikels festhält, anders: «Man kann mit nichts so gut manipulieren, wie mit Zitaten.» Entscheidend sei der Gesamteindruck. «Und der Gesamteindruck auf der portugiesischen und spanischen Ausgabe von swissinfo zeichnete das Bild einer latent rassistischen Schweiz, dominiert von einer latent rassistischen Partei, die mit rassistischen Plakaten Werbung macht», so Baur. Seiner Ansicht nach seien dies falsche Klischeebilder, die durch die Inszenierung von Paula O. ins Absurde geführt worden seien. Dass swissinfo die Story von Paula O. anfänglich ohne Fragezeichen kolportierte, sei eine Fehlleistung, die passieren könne; unverzeihlich finde er, dass die Redaktion nicht die Grösse zeigte, die «Ente» sofort und in der angebrachten Klarheit zu korrigieren.
«Von dieser Zuspitzung im Weltwoche-Artikel bleibt bei genauer Betrachtung nicht viel übrig», ist Peter Schibli, Direktor von swissinfo, überzeugt: «Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen die Geschichte so unparteiisch und unvoreingenommen angegangen, wie es die journalistische Sorgfaltspflicht verlangt und unsere Ressourcen erlauben.» Gerade bei der Verzögerung der Berichterstattung macht Schibli ein Ressourcenproblem geltend: «Wir haben in der portugiesischen Redaktion drei Journalisten, die bei einem solchen Grossereignis, zu dem sich der Fall Paula O. entwickelte, überfordert sind», so Schibli. Da könne es schon vorkommen, dass es einen halben Tag dauert, bis ein Pressecommuniqué auf die Website kommt, räumt Schibli ein. «Aber der Vorwurf der Weltwoche, wir hätten Fakten länger als zwölf Stunden nicht auf den aktuellen Stand gebracht, ist ganz klar falsch.» Ebenfalls nicht haltbar sei die Behauptung, swissinfo habe an der Version von Paula O. festgehalten. «Wir wollten einfach nicht ein Gerücht durch ein anderes Gerücht ersetzen», so Schibli. «Daher hat swissinfo abgewartet, bis die Polizei den Fall geklärt hatte, und erst dann über die neuen Fakten berichtet.» Darüber hinaus macht Schibli geltend, dass swissinfo mehr als andere Medien über den Fall recherchierte, da die Plattform unter einem internationalen Erwartungsdruck gestanden habe. Rückblickend meint Schibli, weniger wäre mehr gewesen: «Man hätte vorsichtiger sein und der brasilianischen Seite weniger Platz einräumen sollen», so der Direktor von swissinfo.
Dennoch: Einiges würde swissinfo heute anders machen: «Wir prüfen derzeit, ob es mit dem Mandat von swissinfo vereinbar ist, wenn Journalisten der Nachrichtenredaktion auch bloggen», erklärt Schibli. Was bei dieser internen Untersuchung herauskommt, sei noch offen. Möglich sei aber, dass künftig nur noch externe Autoren bloggen, um Missverständnisse auszuräumen. Die zweite Lehre der Geschichte sei, dass swissinfo auf Grossereignisse mit einer sich schnell verändernden Faktenlage besser vorbereitet sein müsse. «Wir werden eine interne Weiterbildung durchführen, um zu klären, wie man mit überholten Informationen im Internet umgehen soll. Werden veraltete Artikel gelöscht, mit den aktuellen Fakten ergänzt oder für Suchmaschinen unauffindbar archiviert?» Diese Fragen wolle man auf dem aktuellen Stand der Forschung klären. «Falls dabei praxistaugliche Erkenntnisse hervorgehen, ist denkbar, dass wir die internen Produktionsrichtlinien um ein, zwei Punkte ergänzen», so der Direktor von swissinfo.
Die Vorwürfe der Weltwoche gegen swissinfo sind ebenso massiv, wie die Motion zur «Abschaffung von swissinfo» unverhältnismässig ist. Vor allem wird man den Eindruck nicht los, dass die Besorgnis von Nationalrat Christoph Mörgeli weniger dem Ansehen der Schweiz gilt als dem Image seiner Partei. Immerhin waren es die SVP-Plakate zur Abstimmung vom 8. Februar, die Paula O. zu ihren Schnitten inspirierte. Und der Zusammenhang zwischen den Raben-Plakaten und einer fremdenfeindlichen Haltung wurde bereits vorher im In- und Ausland geäussert. Ähnlich verhielt es sich im Herbst 2007 mit den Schäfchen-Plakaten anlässlich der «Volksinitiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer». Das Phänomen ist also nicht neu. Neu ist aber, dass die SVP die Kritik an ihrer Kampagne auf andere Medien abzuwälzen versucht. swissinfo kam ihr da gerade recht. Dabei war die SRG-Plattform nicht das erste Medium, das die SVP negativ in die Schlagzeilen brachte. Vielmehr wurde der Zusammenhang zwischen dem Fall Paula O. und den SVP-Plakaten zuerst in Brasilien hergestellt. Dass die SRG-Plattform diesen Diskurs über die Schweiz aufgegriffen hat, gehört zu ihrem Auftrag. Jetzt aber will die Motion Mörgeli den Überbringer der schlechten Botschaft bestrafen mit der Begründung, swissinfo habe den Eindruck «einer SVP-dominierten, latent fremdenfeindlichen Schweiz» vermittelt und damit ihr Ansehen international beschädigt. Gerade hier wäre aber nach dem Anteil der SVP-Kampagne zu fragen.
Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Berichterstattung über den Fall Paula O. auch Schwächen aufwies. Angesichts der dünnen Faktenlage hat swissinfo der Geschichte zu viel Bedeutung beigemessen, wobei die Meinungen zuweilen die Fakten marginalisierten und der brasilianischen Perspektive zu viel Platz einräumten. Zudem war die Trennung zwischen den Artikeln und Blogs nicht klar genug, da die Redaktoren auch bloggten. Dass swissinfo diese Policy überprüfen will, ist zu begrüssen. Auch dass die zeitliche Gültigkeit von Nachrichten im virtuellen Potpourri erkennbar werden muss, ist eine wichtige Lehre aus dem Fall Paula O.
Darüber hinaus bleiben einige grundlegende Fragen zu klären, hat doch die Aufregung um Paula O. den Medien drei journalistische Fallen gestellt: Erstens haben sich die brasilianischen Medien instrumentalisieren lassen, indem sie die Absicht hinter den zugespielten Informationen zuwenig hinterfragten. Zweitens wäre es gelegentlich eine Diskussion wert, ob die Amtsgeheimnisverletzung zu den journalistischen Tugenden gehört. Immerhin hätte der Fall Paula O. gar nie an die Öffentlichkeit gehört, da es sich um kein Verbrechen von politischer Tragweite, sondern um eine Irreführung der Rechtspflege handelte. Zwar ist nachvollziehbar, wenn die Journalisten auf der Jagd nach einem Primeur nie schnell genug an Informationen kommen können. Doch hin und wieder macht das Amtsgeheimnis Sinn, birgt doch eine unvollständige oder nicht verifizierte Information das Risiko, sich als Ente zu mausern. Drittens haben zahlreiche Medien die Unschuldsvermutung zu wenig beachtet, indem sie auf die Vorbehalte der Polizei zuwenig hingewiesen haben. Vor allem die Schlagzeilen stellten als Fakten dar, was erst noch Gegenstand der Ermittlungen war. Dabei ist ein Tathergang im Journalismus eigentlich immer nur im Konjunktiv richtig: Vor einer Urteilsverkündung ist ein Täter nur ein mutmasslicher Täter und ein Opfer eben nur ein mutmassliches Opfer. Und solange ist auch ein geschilderter Tathergang nur eine Version der Geschichte, die sich so oder eben auch anders hätte zutragen können. Hätten sich insbesondere die brasilianischen Medien daran gehalten, wäre ihnen eine Menge Ärger erspart geblieben. Demgegenüber kann man den schweizerischen Medien eine hohe Professionalität attestieren: Sie haben die zurückhaltenden Pressemitteilungen der Zürcher Stadtpolizei richtig interpretiert und in der Berichterstattung Augenmass bewiesen.