Qualitätssicherung in wirtschaftlichen Krisenzeiten: ist der Zeitungsmarkt ein Markt für “Zitronen”?

1. Januar 2006 • Qualität & Ethik • von

FLASHextra, 2006

In Amerika ist kürzlich der Zeitungskonzern Knight-Ridder vom Wettbewerber McClatchy geschluckt worden. Stolz vermeldet dazu Gary Pruitt als CEO des neue Eigentümers im Wall Street Journal Europe („Brave News World“, 17.3. 2006), man habe den Konkurrenten zu einem Spottpreis übernehmen können, der noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre – so niedrig notierten eben derzeit Zeitungshäuser an den US-Börsen. Dabei habe es über 400 Jahre Zeitungsgeschichte hinweg immer wieder Untergangs-Vorhersagen ür das Gewerbe gegeben, die ersten bereits vor 399 Jahren.

Der Deal verdient nicht nur unsere Aufmerksamkeit, weil das zweitgrösste US-Zeitungshaus von einem kleineren Konkurrenten übernommen wurde. Knight Ridder war über lange Zeit auch der Vorzeigekandidat schlechthin, wenn in Amerika über die journalistische Qualität von Regionalblättern diskutiert wurde. Der Aufkauf ist fraglos ein neuerlicher Beleg dafür, dass Krisenzeiten dem wirtschaftlichen Konzentrationsprozess Schubkraft verleihen. Doch ist er womöglich auch ein Indiz dafür, dass Zeitungen auf einem „market for lemons“ verkauft werden, auf dem sich langfristig schlechtere Qualität durchsetzt?

„Lemons“ stehen hier nicht nur für Zitronen im wortwörtlichen oder für Gebrauchtwagen im übertragenen Sinne. Ökonomen pflegen damit Produkte zu bezeichnen, deren Qualität der potentielle Käufer nicht ohne weiteres beurteilen kann. Auf solchen Märkten findet der Wettbewerb eher über den Preis als über die Qualität statt. Das wiederum heisst, die Produzenten neigen dazu, vorzugsweise Güter mit relativ schlechter Qualität anzubieten – eben die sogenannten „Zitronen“. Sobald die Käufer dies realisiert haben, werden sie ihrerseits nur noch bereit sein, den Preis für Güter schlechter Qualität zu entrichten. Dadurch aber verringert sich für Anbieter von Gütern hoher Qualität nochmals der Anreiz, auf diesem Markt anzutreten. Dies führt dazu, dass langfristig immer mehrmher „Zitronen“ angeboten werden: Die schlechte Qualität setzt sich durch und verdrängt die gute vom Markt.

Der Aufkauf des qualitätsbewussten Zeitungshauses Knight-Ridder durch McClatchy, aber beispielsweise auch der Erfolg von Gratiszeitungen in der Schweiz und anderswo scheint auf den ersten Blick die These zu belegen, dass der Zeitungsmarkt solch ein Markt für „Zitronen“ ist.

Nur ein Teilmarkt funktioniert als market for lemons

Zahlt es sich also gar nicht mehr aus, in journalistische Qualität zu investieren? Der Kurzschluss mag nahe liegen, doch er bleibt ein Kurzschluss. Denn wie meist im Leben, lohnt es sich auch hier, genauer hinzusehen.

Der zweite Blick lehrt erst einmal, dass es den einen Zeitungsmarkt nicht gibt. Allenfalls Zeitungs-Teilmärkte funktionieren unmittelbar wie ein „Zitronen“-Markt. So bedroht ein Gratisblatt wie 20 Minuten sicherlich eine Boulevard-Zeitung wie den Blick stärker als eine für die zahlungskräftigeren und informationshungrigeren Eliten gemachte Zeitung wie die NZZ. Stimmt diese These, operiert der Blick eher als die NZZ in einem Marktsegment, das sich mit dem von 20 Minuten überschneidet und das somit wie ein Markt für „Zitronen“ funktioniert.

Andererseits sind nicht alle NZZ-Leser Abonnenten, und die allermeisten Menschen lesen eben pro Tag maximal eine Zeitung. So wird vielleicht auch der Professor oder Bankdirektor, der im Zugabteil bereits 20 Minuten in die Finger bekommen hat, danach nicht mehr zum Kiosk gehen, um ein weiteres Blatt zu erwerben. Die Alternative ist dann nicht mehr NZZ oder Tages-Anzeiger, sondern Kauf oder Nichtkauf. In diesem Fall wird dann das Gratisblatt auch zum bedrohlichen Wettbewerber für alle anderen Zeitungen – und die vielen Teilmärkte vereinen sich zu einem einzigen Markt, der dann eben doch zumindest in einem relevanten Randbereich wie ein einziger market for lemons funktioniert.

Last but not least erreichen aber 20 Minuten und demnächst wohl auch heute einen grossen Leserkreis, der offenbar vorher gar keine Zeitung konsumiert hat. Der Effekt dieser Markterweiterung lässt sich schwerlich als qualitative Verschlechterung des Informationsangebots werten – womöglich ist das Gegenteil der Fall, und auch deshalb ist es nicht redlich, den gesamten Zeitungsmarkt als market for lemons zu deklarieren.

Die Gefahr der Abwärtsspirale

Was wiederum heisst all das für das Bemühen um journalistische Qualität?

Zunächst einmal, dass man sehr genau das Marktsegment analysieren sollte, in dem sich der eigene Titel bewegt und verkaufen muss. Das Marktsegment entscheidet mit darüber, welche Investitionen in Qualität sich lohnen und welche nicht. In einem market for lemons kann die Rechnung aufgehen, Abstriche bei der Qualität zu machen, um einen niedrigeren Preis zu ermöglichen oder gar ein Produkt wie die Zeitung gratis anzubieten, wenn es sich auf dem Werbemarkt gewinnbringend finanzieren lässt.

Die meisten Zeitungen operieren indes eher nicht in einem „Zitronen“-Markt. Im Gegenteil:, aus einer Vielzahl amerikanischer Studien (und auch der ein oder anderen, die im deutschen Sprachraum durchgeführt wurde) wissen wir, dass gekürzte Redaktionsetats und damit Abstriche bei der Qualität oft nur kurzfristig der Bilanz aufhelfen. Statt wirtschaftlich zu gesunden, gerät die Zeitung leicht in eine Abwärtsspirale: Wenn die Leser erst einmal merken, dass an ihnen gespart wird und ihre Zeitung nicht mehr glaubwürdig ist, reagieren sie sauer. Es muss nicht gleich Abbestellungen hageln. Es gibt auch die „innere Kündigung“: Womöglich besorgen sie sich ihre Informationen anderswo, und sie widmen einfach dem „Käsblättchen“ weniger Zeit, was dann seinen Wert als Werbeträger reduziert und Inserenten dazu verleitet, anderswo Anzeigen zu schalten. So kommt noch weniger Geld in die Kasse, und die nächste Kürzungsrunde istwird programmiert…

Kommunikationsstrategie für die höherwertigen Produkte

Aber selbst in einem market for lemons ist es nicht die einzig denkbare Strategie, sich den vermeintlich unabänderlichen Marktgesetzen zu fügen. Der „Teufelskreis“ von undurchschaubarer Qualität, einem sich verschlechternden Angebot und daraufhin reduzierter Zahlungsbereitschaft der Kunden liiesseße sich ja gerade durch offensives Qualitäts-Management und durch transparente Qualitätsstandards durchbrechen. Marktbedingungen lassen sich nicht nur über den Preis und die Qualität, sondern auch durch Kommunikation verändern. Wer die höherwertige Qualität seines Produktes überzeugend kommuniziert, hat auch eher eine Chance, diese am Markt durchzusetzen, statt beim Preis faule Kompromisse machen zu müssen. Hier können viele Medienunternehmen noch eine Menge von Markenartiklern und Dienstleistern in anderen Branchen lernen.

Doch Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, wie sie in vielen Medienunternehmen in den letzten Jahren verstärkt worden sind, allein genügen nicht. So wie Porsche, BMW und Toyota ihre Autos nicht nur über Anzeigen und PR verkaufen, sondern letztlich bei der Vermarktung auf journalistische Plattformen angewiesen sind, so wichtig ist es wohl auch, die Publika journalistisch über Medienprodukte und über Journalismus zu informieren. Vor allem jene Medienunternehmen, die ihre Branche nicht „mcdonaldisieren“ wollen, müssen bei ihren Publika Qualitätsbewusstsein wecken. Das geht wohl nur mit einem qualitativ hochwertigen Journalismus, der – in guten ebenso wie in krisenhaften Zeiten – auch kritisch und schonungslos über die eigene Branche und übers eigene Metier berichtet.

Die richtige Kommunikationsstrategie könnte jedenfalls erheblich dazu beitragen, dass es auch in 400 Jahren noch Qualitätszeitungen geben wird. Die Leserinnen und Leser werden dann vielleicht sogar bereit sein, etwas mehr für sie zu bezahlen als für eine Tasse Cappuccino. Auch wenn sie diese Zeitungen vielleicht schon in vier oder 14 Jahren nicht mehr auf gedrucktem Papier lesen wollen – sondern auf einem faltbaren elektronischen Bildschirm, der dann genauso cool sein wird wie heute das Natel, und der sich auch genauso lässig in der Jackentasche verstauen lässt.

 

in FLASHextra 2006, s. 111-113

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