Verschmähte Auszeichnung

1. Oktober 2004 • Qualität & Ethik • von

Neue Zürcher Zeitung, 1. Oktober 2004

ARD und ZDF im Streit mit dem Medien-Tenor
Das Institut Medien-Tenor zeichnete vergangene Woche mehrere Pressetitel für ihre Perspektivenvielfalt im Nachrichtenjournalismus aus. Auszeichnungen hätten auch ARD und ZDF erhalten. Doch deren Chefs wiesen die Preise zurück.

Es ist vermutlich der erste Journalistenpreis im deutschsprachigen Raum, der nicht von einer Jury vergeben wird, sondern aufgrund der fortlaufenden wissenschaftlichen Analyse von Medieninhalten: Letzte Woche hat das Forschungsinstitut Medien-Tenor den diesjährigen «International Media Tenor Award for Media Diversity» vergeben. Mit dem Preis wird in mehreren Kategorien und unter Berücksichtigung von insgesamt zehn Kriterien die Perspektivenvielfalt im Nachrichtenjournalismus ausgezeichnet. Die Vergabe- Zeremonie war der Höhepunkt einer zweitägigen internationalen Konferenz auf dem Petersberg in Bonn, bei der neueste Erkenntnisse zum Agenda- Setting ausgetauscht wurden – also darüber, wer in Demokratien die politische Tagesordnung bestimmt, die Politiker und Grossunternehmen, ihre Berater und PR-Leute, die Interessenvertreter von Nonprofitorganisationen oder die Medien und Journalisten.

Beleidigte Leberwürste

Mehr als die Preisträger selbst verrät vermutlich deren Umgang mit der Preisverleihung etwas über die unterschiedlich ausgeprägten Qualitätskulturen im Journalismus: Während der Chefredaktor des «Wall Street Journal Europe», Fred Kempe, herbeigeeilt kam, um den Preis persönlich in Empfang zu nehmen und mit einer Grossanzeige im eigenen Blatt dafür sorgte, dass seine Leserinnen und Leser tags darauf erfuhren, dass seine Redaktion mit dem Global Business Media Award ausgezeichnet worden war, schickten die prämierten deutschen Zeitungen – darunter «Die Zeit», die «Süddeutsche Zeitung», «Die Welt», «Die Welt am Sonntag» und die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» – stellvertretende Redaktionsleiter oder Ressortchefs vorbei. Die öffentlichrechtlichen Sender ARD und ZDF spielten gar die beleidigten Leberwürste und verzichteten ganz darauf, die Auszeichnung anzunehmen.

Dies wiederum rührt wohl daher, dass der Medien-Tenor die beiden deutschen öffentlichrechtlichen Fernsehgiganten öfters mal an ihren Grundversorgungsauftrag erinnert und einige Wochen zuvor in einer aktuellen Studie Zahlen darüber veröffentlichte, wie stark inzwischen der Sport Politik und Wirtschaft aus deren Nachrichtensendungen verdrängt. Obschon jedermann, der regelmässig deutsche Fernsehnachrichten guckt, den vom Medien-Tenor mit seinen wissenschaftlichen Daten vermittelten Eindruck bestätigen dürfte, hatten die Sender daraufhin Zweifel an den Forschungsmethoden des Instituts angemeldet. Die ARD berief sich dabei auf externe wissenschaftliche Gutachter, die es aber – peinlich genug – offenbar vorziehen, wie Heckenschützen in der Anonymität zu verbleiben.

Eine Hilfe zur Selbstbeobachtung

Die Vorgänge zeigen einmal mehr, wie schwer sich Journalisten und Medienmanager, zumal die öffentlichrechtlichen Fernsehgewaltigen, noch immer im Umgang mit Kritik tun, selbst dann, wenn sie wissenschaftlich fundiert und obendrein für nahezu jedermann nachvollziehbar ist. Dabei versorgt der Medien-Tenor, der dieser Tage sein zehnjähriges Bestehen feiern konnte und inzwischen auch in den USA, in Tschechien und in Südafrika die Medienberichterstattung beobachtet, Redaktionen, die ihren Qualitätsanspruch ernst nehmen, eigentlich mit einem unverzichtbaren Instrument. Um ihre journalistischen Leistungen zu verbessern, liefert ihnen der Forschungsdienst nämlich Monat für Monat Daten, mit deren Hilfe sie erst in den Stand versetzt werden, ihre eigene Arbeit mit jener der Konkurrenz zu vergleichen.

Welch ein historischer Fortschritt dies ist, kann wohl nur ermessen, wer noch vor kurzem von staatlichen Zensurbehörden gegängelt wurde. Auf dem Petersberg war es jedenfalls Zdenek Velisek, der für das öffentlichrechtliche Fernsehen in Tschechien einen der Awards entgegennehmen konnte und bei dieser Gelegenheit darauf hinwies, wie befreiend es für ihn als Journalisten sei, sich nun mit wissenschaftlichen «Kontrollinstanzen» statt mit Staats- und Parteiapparaten auseinandersetzen zu dürfen.

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