Eine Gelegenheit zur Selbstvermarktung

30. März 2007 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung

«La Repubblica» und das Entführungsopfer Daniele Mastrogiacomo
Die Entführung des italienischen Journalisten Daniele Mastrogiacomo war der Zeitung «La Repubblica» auch ein Anlass, sich selbst zu inszenieren. Sie zeigte, wie sich durch kampagnenartige Berichte noch immer Menschen und andere Medien mobilisieren lassen.

Es mag fast so selten vorkommen wie eine Sonnenfinsternis, aber gerade deshalb lohnt es sich, genau hinzugucken: Die Befreiungsaktion rund um den italienischen Journalisten Daniele Mastrogiacomo war nicht zuletzt ein Medienspektakel, bei dem eine Zeitung und ihr Chefredaktor 15 Tage lang selbst im Zentrum journalistischer Aufmerksamkeit standen. Diejenigen, die sonst als Merker agieren, wurden zu Machern: «La Repubblica», Italiens grosse linksliberale Tageszeitung, hat nicht nur hinter den Kulissen ihr Scherflein dazu beigesteuert, dass Mastrogiacomo zu guter Letzt, wenn auch nicht unversehrt, freikam. Das Blatt zeigte auch, wie sich durch exzessive und kampagnenartige Berichterstattung eines Leitmediums noch immer Menschenmassen und vor allem andere Medien mobilisieren lassen.

Erfolgreiches tägliches Agenda-Setting
Die Redaktion, die ihren Ruhm nicht zuletzt der Tatsache verdankt, dass sie wie keine andere in Italien täglich ein Thema in den Vordergrund schiebt und somit Agenda-Setting betreibt, hat 15 Tage lang auf all ihren verfügbaren Kanälen den Entführungsfall (hoch)gespielt. 100 000 Unterschriften wurden so binnen kürzester Zeit im Internet gesammelt, es gab Schülerdemonstrationen in der Innenstadt Roms. Allein am Tag der Freilassung berichtete die Zeitung über elf Seiten hinweg ausschliesslich über dieses Ereignis – mit Aufmacher («Daniele, finalmente»), Schlagzeilen und einer Fotostrecke, die ein Boulevardblatt wie die «Bild-Zeitung» kaum rührseliger hätte inszenieren können: Daniele Mastrogiacomo, von seiner Frau umarmt, dann von Frau und Tochter geküsst, dann in Siegerpose, dann vom Ministerpräsidenten begrüsst und neuerlich vom Chefredaktor Ezio Mauro freundschaftlich umarmt – und schliesslich die Rückblende: Mastrogiacomo in Geiselhaft und im Krankenhaus in Afghanistan.

Mauro zeigte sich beim Festival internazionale del giornalismo, das vorige Woche erstmals in Perugia stattfand, sichtlich überwältigt und bewegt von all den Geistern, die er und seine Zeitung aus der Flasche hervorgezaubert hatten. Erstaunt habe ihn, wie über alle politischen Lager und Grabenkämpfe hinweg Zusammenhalt und Solidarität gezeigt worden seien. Für ihn habe es von Anfang an keinen Zweifel gegeben, dass sich der italienische Staat nicht habe erpressen und zum Abzug seines Truppenkontingents in Afghanistan zwingen lassen dürfen, betonte Mauro. Umso glücklicher sei er, dass es trotzdem gelungen sei, das Leben Mastrogiacomos im Austausch gegen fünf Taliban-Häftlinge zu retten.

Auch ein starker Buchhändler
Angelo Agostini, der als Journalismusprofessor in Mailand in einem Buch dem Erfolgsgeheimnis von «La Repubblica» nachspürte,* betonte beim Gespräch mit Mauro in Perugia, dass kein anderes Blatt in Italien über eine vergleichbar starke Leserbindung verfüge. Diese zahlt sich auch kommerziell aus: Über die Zeitungskioske Italiens vertreibt «La Repubblica» inzwischen mehr Bücher pro Jahr, als sich über den Buchhandel verkaufen lassen.

Das Spektakel und der Erfolg der Freilassung dürften auch Mauros eigene Stellung gefestigt haben. Aufgrund eines langatmigen Tarifstreits war die Stimmung in der Redaktion vor dem Entführungsfall ziemlich getrübt. Mauro ist Anfang der neunziger Jahre in die grossen Fussstapfen des legendären Eugenio Scalfari getreten, der 1976 «La Repubblica» gegründet und mit seinem Erfolg den geschwätzigen und parteilichen Journalismus Italiens revolutioniert hatte. Jetzt hat Mauro wohl – bis auf weiteres – als Padrone des Blatts eine vergleichbar unangefochtene Statur erreicht wie sein Vorgänger.

Für die Veranstalter hätte es besser nicht kommen können: In Perugia stellte Mauro mit seinem Auftritt, umringt von Fernsehkameras, alle anderen in den Schatten. Immerhin, viele junge Leute lauschten auch wie gebannt dem engagierten Plädoyer von Piero Ottone für mehr Objektivität des italienischen Journalismus. Dieser Zuspruch des studentischen Publikums, der dem über 80-jährigen früheren Chefredaktor des «Corriere della Sera» zuteil wurde, sollte eigentlich hoffnungsfroher stimmen als der Kampagnen-Journalismus von «La Repubblica».

Stephan Russ-Mohl

* Angelo Agostini: La Repubblica. Un’idea dell’Italia (1976-2006). Il Mulino, 2005.

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