Ratschläge erteilen

26. Oktober 2007 • Ausbildung • von

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung

Über den Nutzen des Nutzwert-Journalismus

Service-Journalismus geniesst unter Medienschaffenden kein hohes Ansehen. Doch hat dieses Berichterstattungsfeld in den vergangenen 15 bis 20 Jahren eine grosse Bedeutung erlangt.

Einmal ist blumig vom «Knäckebrot des Zeitungsschreibers» die Rede, einmal vom «Opel Vectra Caravan Diesel», der eben vielfältig verwendbar seinen Dienst tut, aber kaum ähnliche Begeisterung auszulösen vermag wie ein «Porsche Turbo». Gemeint ist jeweils der Nutzwert-, Service- und Ratgeberjournalismus – ein Bereich, der ähnlich dem Lokaljournalismus lange Zeit unter Journalistenkollegen nicht gerade in hohem Ansehen stand. Fraglos lockt er aber seit eh und je viele Leser, Hörer und Zuschauer an. Kaum ein Berichterstattungsfeld hat sich in den letzten 15 bis 20 Jahren in vergleichbarer Weise als eigenständig und einträglich profilieren können.

Überzeugende Argumente

Dennoch mag manch einer zweifeln, ob es gleich eines Lehrbuchs für diese Gattung bedarf. Solchen Skeptikern begegnen Christoph Fasel und sein Autorenteam mit überzeugenden Argumenten. Nutzwertjournalismus sei schon deshalb ein eigenständiges Metier, weil er sich im Kanon herkömmlicher journalistischer Genres kaum verorten lasse. Vielmehr «plündert ein guter Sachtext die Vorratskammer der journalistischen Textsorten, um seinem Ziel gerecht zu werden: Im Leser etwas zu verändern.»

Wer im Nutzwertjournalismus arbeite, trage besonders viel Verantwortung – wenn er seine Publika ernst nehme. Eine Faustregel Fasels laute deshalb: «200 Prozent recherchieren, 150 Prozent kapieren, 100 Prozent produzieren». Scharlatane seien «auch dann schädlich, wenn man sie nur zitiert». Sie gefährdeten nicht nur das Wohlergehen des Medienkonsumenten, sondern auch die journalistische Glaubwürdigkeit.

Ein wenig irritiert, dass gleich zu Anfang des Buchs vorgeschlagen wird, den vielfach synonym verwandten, anschaulicheren Begriff des Ratgeberjournalismus «gar nicht mehr zu gebrauchen». Der Begriff entstamme «einer Zeit, als sich die Medien weniger als gleichberechtigte Partner des Rezipienten verstanden haben, die sich mit ihnen auf Augenhöhe befinden, sondern eher die belehrende Funktion eines Sachverständigen einnahmen». Eine solche Haltung erscheine «heute nicht mehr zeitgemäss».

Solcher Argumentation ist schwer zu folgen – denn der Nutzwertjournalismus lebt letztlich davon, dass die Information asymmetrisch verteilt ist und der Journalist zum jeweiligen Thema besser Bescheid weiss als sein Publikum. Er sollte sich also nicht scheuen, den Leser – wie es dann im Buch an anderer Stelle heisst – «an die Hand zu nehmen», was wohl nichts anderes bedeutet als: ihm wohlwollend Ratschläge zu erteilen.

In einem Punkt gibt das Buch ein schlechtes Beispiel: Fast schon in einer gewissen Tradition der Henri-Nannen-Schule, deren Leiter Fasel kurze Zeit war, wird auf der Titelseite und im Inhaltsverzeichnis nur ein Autor genannt: Christoph Fasel. Dabei ist er genau genommen nur Herausgeber. Insgesamt haben 24 Journalisten und Medienexperten zum Bändchen etwas beigesteuert – was es einerseits bereichert, anderseits heterogen ausfallen lässt.

Belehrung im positiven Sinn

Schon Fasels Vorvorgänger Wolf Schneider hat sich (beim Titel: «Unsere tägliche Desinformation», 1984) auf ähnliche Weise unverdient allein im Autorenruhm gesonnt und dabei gegen ein elementares Transparenzgebot des Journalismus verstossen. Zumindest Leute, die Nachwuchs ausbilden, sollten es mit solchen Dingen genau nehmen – selbst wenn dies nicht den Nutzwert des Buches steigert und womöglich sogar den Verkaufserfolg etwas beeinträchtigt. Immerhin – den Standard, den Fasel und seine Koautoren zur Messlatte für gelungenen Nutzwertjournalismus erheben, erfüllen sie für ihre Leser. Ihr Büchlein «nutzt und erfreut», es hat «belehrende Funktion – ohne jedoch, und das ist wichtig, diese Belehrung penetrant in den Vordergrund zu stellen».

Christoph Fasel: Nutzwertjournalismus. UVK, Konstanz 2004.

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