Gegenthesen zum Internet-Manifest

11. Oktober 2009 • Digitales • von

Erstveröffentlichung: Message 4

Das Internet-Manifest, das eine Zahl arrivierter Online-Journalisten und Blogger Anfang September formuliert hat, sorgt für viel Diskussionsstoff. Stephan Russ-Mohl erhebt 17 Einwände gegen die 17 Positionen des Manifests.

1. Das Internet ist anders.
… aber Journalismus im Internet ist nicht notwendig gratis.

2. Das Internet ist kein Medienimperium.
… aber Medienimperien im Internet (Google, Microsoft & Co) sind die neuen Oligopolisten.

3. Die Gesellschaft ist nicht das Internet

… und das Internet ist nicht die Gesellschaft. Und so »herrschaftsfrei«, wie Jürgen Habermas die Gesellschaft gerne hätte, ist auch das Internet nicht. Eher schon gilt: Der Markt sind wir: Die Konsumenten sind die Bürger sind die Konsumenten.

4. Freiheit ist immer …

… die Freiheit der Andersdenkenden (Rosa Luxemburg) – also der anderen. Weil Freiheit in der Gesellschaft nicht grenzenlos sein kann, bedarf auch das Internet einer (liberalen!) Ordnungspolitik.

5. Im Internet sind Sieg …

… und Niederlage der Information nahe beieinander. Man kann auch in Information ertrinken.

6. Das Internet ist ein neuer Distributionskanal, der Interaktivität erleichtert. Daraus ergeben sich Chancen und Risiken für den Journalismus – ob mehr Chancen, hängt von der Zahlungsbereitschaft der Nutzer und nicht vom Internet als Technologie ab.

7. Das Netz verlangt gar nichts …

… aber Vernetzung nützt den Nutzern.

8. Links lohnen …

… (viele, aber bei weitem nicht alle!), Zitate zieren (bitte mit Quellenangabe!).

9. Das Internet ist nicht der, sondern ein Ort für den Diskurs. Und zwar nicht nur für den politischen Diskurs, sondern auch für tausendundein Diskurse, die von der Politik ablenken.

10. Meinungsfreiheit verkommt …

… ohne professionellen Journalismus zum Blabla.

11. Unkanalisierter »information overload«.

… ist genauso demokratiezerstörend und gesellschaftsschädlich wie Mangel an Information.

12. »Gratis« ist kein Geschäftsmodell für hochwertigen Journalismus – auch nicht online.

Journalistische Unabhängigkeit lässt sich nur durch zahlende Leser, Hörer, Zuschauer, User sichern. Wer zahlt, schafft an!

13. Das Urheberrecht wird bisher im Internet nicht hinreichend respektiert.

Diebstahl ist Diebstahl – auch bei geistigem Eigentum, auch im Netz. Die Qualität und der Wert von Informationen verändern sich, indem Letztere vervielfältigt werden. Das weiß jeder Spekulant, der an der Börse über Insider-Information verfügt – aber auch jeder Werbetreibende oder PR-Experte, der von den Multiplikatoreffekten der Botschaften lebt, die er in Umlauf bringt.

14. Die Hauptwährung im Internet ist die Werbung.

Vor 50 Jahren waren Werbetreibende die »geheimen Verführer«. Heute sollen sie den Journalismus und die Demokratie retten, weil deren Bürger nicht bereit sind, für guten Journalismus täglich so viel wie für einen Latte macchiato zu bezahlen. Der Streit um gratis/nicht-gratis ist verbohrt und ideologisch. Gerade weil exzellenter Journalismus etwas wert ist, darf, ja sollte er etwas kosten – online allerdings weniger als gedruckt, denn Papier, Druck und Vertrieb von Printmedien sind teuer.

15. Ob im Netz bleibt, was im Netz ist …

… wissen die Götter. Die Zukunft ist offen. Fehler korrigieren und Transparenz herstellen gehört zur journalistischen Professionalität, online ebenso wie offline. Leider wollen viele Journalisten das noch immer nicht wahrhaben.

16. Das Internet »entlarvt« gar nichts.

Journalismus, der aufklärt, Spin reduziert, Skandale enthüllt, Korruption eindämmt, kostet Geld und hat große, arbeitsteilige und leistungsfähige Redaktionen zur Voraussetzung. Diese sind bisher über Online-Angebote nicht finanzierbar. Gestiegene Ansprüche der Nutzer nützen nichts, wenn sie nicht an steigende Zahlungsbereitschaft gekoppelt sind.

17. Alle für alle – das ist Populismus pur.

Die Generation »Wikipedia« ist oftmals erstaunlich naiv, nicht nur im blinden Vertrauen auf ungeprüfte Quellen. Medienpädagogik – soll heißen Schulunterricht, um den Umgang mit Medien zu lernen – ist im Internet-Zeitalter wichtiger als je zuvor, setzt allerdings auch eine neue Generation medienkompetenter Lehrer und Lehrerinnen voraus.

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