Entschuldigung!

5. Januar 2007 • Qualität & Ethik • von

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung

Eine US-Rangliste der Irrtümer des Jahres
«Müsste man kategorisieren, wäre das Jahr 2006 in den angelsächsischen Medien zweifellos das Jahr der verspäteten Richtigstellungen», behauptet US-Autor Craig Silverman auf der Website www.regrettheerror.com , auf der er systematisch Hinweise auf Irrtümer in den Informationsmedien zusammenträgt.

In der Tat: Zwei US- Tageszeitungen, der «Raleigh News and Observer» und der «Charlotte Observer», haben sich für die Form ihrer Berichterstattung über die Rassenaufstände in North Carolina entschuldigt – das liegt gut 120 Jahre zurück. Die Vorfälle, für die sich die Tageszeitung «Tallahassee Democrat» im vergangenen Mai entschuldigte, sind dagegen «nur» 50 Jahre alt. Da Medien in unseren Breitengraden dazu neigen, eigene Irrtümer überhaupt nie zuzugeben, ist es wohl besser, sich spät als nie zu entschuldigen.Silverman gibt jedes Jahr eine Rangliste heraus, die mehrere Kategorien umfasst. Sieger der Kategorie «Irrtum des Jahres» ist die Tageszeitung «Canada’s National Post». Sie glaubte, einen sensationellen Knüller zu haben, und schenkte den Behauptungen eines iranischen Schriftstellers Glauben, wonach in Iran vor kurzem ein Gesetz verabschiedet worden sei, das Nichtmuslimen vorschreibe, Erkennungszeichen auf ihrer Kleidung anzubringen.

Die Parallele zum Schicksal der Juden im Dritten Reich war offenkundig. Das kanadische Blatt widmete der Nachricht ihre ganze Titelseite. Eine riesige Foto von ungarischen Juden wurde veröffentlicht, die den Stern trugen. Es war eine Falschmeldung, doch sie wurde ungeprüft und sofort von den Medien in Nordamerika und Europa übernommen. Nach fünf Tagen folgte die Entschuldigung: «Wir räumen ein, beim Verbreiten dieser Geschichte nicht genügend Vorsicht und Skepsis an den Tag gelegt und unsere Quellen nicht genügend geprüft zu haben.»

Die heftigste Anklage erhebt Silverman weder wegen verspäteter Richtigstellungen noch wegen grosser Fehler. Das schlimmste Problem der letzten Jahre, sagt er, seien Plagiate: Artikel von Kollegen werden als eigene ausgegeben, ganz oder teilweise kopiert. Es fragt sich, ob es heute tatsächlich mehr solche Fälle gibt oder ob es nur einfacher geworden ist, den Tätern auf die Spur zu kommen. In einem kürzlich im «Newspaper Research Journal» (Ausgabe 2, 2006) erschienenen Artikel vertieft der amerikanische Journalistikprofessor Fred Fedler dieses Thema. Er zeigt, wie sich die Zeiten entwickelten und veränderten: «In den vergangenen Jahrhunderten sahen es die Schriftsteller geradezu als eine Ehre an, wenn andere ihre Arbeit kopierten. Dies war ein Zeichen von Brillanz, das die eigene Reputation verbesserte.» Heute herrsche eine andere Haltung vor: «Die Journalisten stehen buchstäblich geschlossen hinter der Verurteilung eines Plagiats.» Fedler stellt allerdings fest, dass diejenigen, die von anderen abschreiben, bei der Aufdeckung oft als Entschuldigung anführen, gar nicht gewusst zu haben, dass sie damit gegen das Berufsethos verstossen haben. Die Problematik muss offenbar mittels berufsethischer Verhaltensregeln sowie über öffentliche Diskussionen mehr erörtert werden. Das ist eine zentrale Aufgabe im Zeitalter des Internets, da das Kopieren eines Textes nur wenige Sekunden dauert. Zu befürchten ist aber, dass es sich um einen Kampf gegen Windmühlen handeln könnte.

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