Erstaunlich war es schon, wie schnell die Medien angesichts des mutmaßlich größten Daten-Skandals der Weltgeschichte zur Tagesordnung übergegangen sind und erst einmal Edward Snowden gejagt haben.
Dabei scheinen angesichts der PRISM-Ausspähungsaktivitäten der amerikanischen National Security Agency nicht nur George Orwell und Aldous Huxley jeder auf seine Weise recht zu behalten, die vorhersahen, wie uns „Big Brother“ kontrollieren und wie wir uns dank Brot und Zirkusspielen in der „schönen neuen Welt“ einrichten würden.
Auch an den Medienforscher Ben Bagdikian ist zu erinnern, der bereits in den achtziger Jahren prognostizierte, in nicht allzu ferner Zeit würde eine Handvoll Medienkonzerne die Informationsströme der Welt kontrollieren. Damit hat im Rückblick auch er gepunktet – nur dass heute beim „Medien-Monopoly“ mit Apple, Facebook, Google und Microsoft ganz andere Player über „Los“ kommen, als er damals vermuten konnte. Und es hat ihm wohl auch an Phantasie gefehlt, sich vorzustellen, dass der Fünfte im Bunde die amerikanische Regierung werden könnte – einfach indem diese die Datensammlungen der anderen absaugt, filtert und für ihre eigenen, letztlich undurchschaubaren Zwecke nutzt.
Das schnelle Wegtauchen der Medien wirft einmal mehr die Frage auf, welche Verantwortung sie für den öffentlichen Kommunikationsprozess haben und inwieweit sie der Öffentlichkeit Rechenschaft zu ihrem eigenen (Fehl-)Verhalten schulden. Solchen Fragen hat in zwölf europäischen und in zwei arabischen Ländern ein großangelegtes vergleichendes Forschungsprojekt unter Leitung von Susanne Fengler (TU Dortmund) nachgespürt, dessen Ergebnisse soeben in Brüssel vorgestellt wurden (www.mediaact.eu).
Befragt wurden insgesamt 1762 Journalisten. Der am wenigsten überraschende, aber letztlich doch spannende Befund ist wohl, dass es auch unter Medienschaffenden menschelt: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“, heißt es im Volksmund, und dieses Verhaltensmuster trifft offensichtlich auch auf die Journalisten zu: In allen untersuchten Ländern bekannten sich die Befragten zwar unisono zur Rechenschaftspflicht der Medien, aber wenn es konkret wurde, dann wollten sie doch sehr viel lieber dem „eigenen Gewissen“ als irgendwelchen Selbstkontroll-Instanzen wie Presseräten, Ombudsleuten oder auch Vorgesetzten gegenüber verantwortlich sein.
Erstaunlich ehrlich dagegen die Antwort, dass sie im Zweifelsfall eher ihren Quellen gegenüber als ihren Publika „voll und ganz“ Rechenschaft zu schulden glauben. Nur in Spanien und Jordanien gaben die Befragten die Antwort, die in den Ethik-Kodizes vorgesehen ist – dass journalistische Loyalität vor allem den Lesern, Hörern und Zuschauern gebührt.
Allzu großen Widerhall hat die MediaAcT-Studie bisher übrigens nicht gefunden. In Großbritannien brachte der Daily Telegraph das Kunststück fertig, über die Studie und die medienpolitischen Empfehlungen der Forscher völlig verzerrt zu berichten – die Wissenschaftler hätten sich von Brüssel instrumentalisieren lassen, um den Medien EU-weit einen Maulkorb umzuhängen. Das passt insoweit ins Bild, als auch sonst die britische Presse im Umgang mit Kritik nicht gerade zimperlich ist, wie Gordon Neil Ramsey, Research Fellow beim Media Standards Trust, soeben in einer Inhaltsanalyse der 18 meinungsführenden britischen Tages- und Sonntagszeitungen zur Berichterstattung über den Leveson-Report und damit zur britischen Presseregulierung festgehalten hat.
Die Korrektur verzerrter Berichterstattung und von Falschmeldungen bleiben somit zentrale Herausforderungen publizistischer Selbstkontrolle – aber auch des Underreporting (wie bei PRISM – hätte nicht der Guardian inzwischen mit neuen Enthüllungen nachgelegt) oder gar der Nicht-Berichterstattung müssten sich funktionierende Selbstkontroll-Instanzen vermehrt annehmen. Wie das gehen könnte, zeigen seit Jahren Initiativen, die der Frage nachspüren, welche wichtigen Themen die Medien vernachlässigen – namentlich das „Project Censored“ in den USA und die „Initiative Nachrichtenaufklärung“ in Deutschland. Leider agieren beide etwas linkslastig. Und obendrein haben sie das Problem, mit dem sich Medienkritik generell herumschlagen muss: Die Mainstream-Medien schweigen sie zumeist tot.
PS: Wer von anderen mehr Transparenz fordert, schuldet sie auch selber. Disclaimer: Der Autor dieser Kolumne war als Schweizer Projektleiter an der MediaAcT-Studie beteiligt.
PPS: Diese Kolumne ist auch ein wissenschaftsjournalistisches Experiment. Es wurde versucht, wichtige Ergebnisse dreier Studien zusammenzufassen – ohne Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, auch nur einmal mit einem Prozentwert zu traktieren.
Erstveröffentlichung in Schweizer Journalist Nr. 6 +7/2013 – aktualisiert und ergänzt.
Quellen:
Ben Bagdikian, The Media Monopoly, Boston: Beacon Press 1983
Susanne Fengler et al. (eds.), How Fragile is Media Accountability, MediaAcT Final Research Report 2013
http://www.yumpu.com/document/view/15922335/mediaact
Gordon Neil Ramsey, Press Coverage of Leveson, London: Media Standards Trust 2013
Bildquelle: Imaginary Museum / Flickr
Schlagwörter:ausspähen, Big Brother, Edward Snowden, Gordon Neil Ramsey, Initiative Nachrichtenaufklärung, Leveson-Report, Media Standard Trust, MediaAct, National Security Agency, Presseregulierung, PRISM, Project Censored, Rechenschaftspflicht