Mit schwarzen Fingern

25. August 2008 • Medienökonomie • von

Weltwoche 33 / 2008

Potz Blitz. Zum ersten Mal seit der Erfindung des Internets investieren unsere Verleger im Internet.

Die Zeitung, so sagen uns die Verleger, sei ein Medium der Sinnlichkeit. In der Zeitung zu blättern, das Knistern des Papiers zu hören, schwarze Finger zu bekommen, dazu ein ebenso schwarzer Kaffee – dieses Erlebnis mache die Zeitung auch in Zukunft unersetzlich.

In dieser Argumentation ist die Zeitung ein reines Lifestyle-Produkt.

Lifestyle-Produkte sind Accessoires. Sie haben keine echte Funktionalität. Niemand braucht heute eine Uhr, um zu wissen, wie spät es ist. Dies übernehmen Computer und Handy jederzeit und präzise. Die Swatch oder die Patek Philippe am Arm signalisiert nur den persönlichen Stil.

Wenn es bei Zeitungen auch so ist, und die Verleger sagen es uns, dann haben auch Zeitungen keine echte Funktionalität. Niemand braucht heute eine Zeitung, um zu wissen, was los ist. Dies übernehmen Computer und Handy jederzeit und präzise. Der Blick oder die NZZ unter dem Arm signalisieren nur den persönlichen Stil.

Für den Wandel der Zeitung zum Lifestyle-Produkt spricht, dass unsere klassischen Tageszeitungen mit einer Verzögerung von zwölf Jahren nun das Internet entdecken. Zum ersten Mal investieren sie im Netz mehr als ein paar Hosenknöpfe. Das gemeinsame Newsportal von Tages-Anzeiger,Basler Zeitung und Berner Zeitung beschäftigt gegen sechzig Journalisten und wurde soeben aufgeschaltet. Demnächst geht die Konkurrenz von Neuer Luzerner Zeitung,St. Galler Tagblatt,Aargauer Zeitung und Südostschweiz mit demselben kollektiven Modell an den Start.

Natürlich geben wir gerne unseren Senf zur aktuellen Internet-Euphorie in unseren Verlagen. Zuvor aber müssen wir kurz zusammenfassen, wozu die einzelnen Mediensparten nütze sind.

Typisch für die Zeitung ist, dass ihre Konsumenten keine Zeit haben und darum keine langatmigen Artikel wollen. Die Zeitung muss verdichtete Informationen mit hohem Sachwissen liefern. Sie ist das klassische Vordergrundmedium.

Typisch für die Zeitschrift ist, dass ihre Konsumenten kein Pflichtgefühl haben und darum Überraschungen wollen. Die Zeitschrift muss attraktive Ergänzung und Analyse zur Aktualität liefern. Sie ist das klassische Hintergrundmedium.

Typisch für das Radio ist, dass seine Konsumenten keine Konzentration haben und darum Abwechslung wollen. Radio muss einen rhythmisierten Teppich von Musik und Information liefern. Es ist das klassische Begleitmedium.

Typisch für das Fernsehen ist, dass seine Konsumenten keine Ambitionen haben und darum keine Intellektualität wollen. TV muss unkompliziert unterhalten und ohne viel Tiefgang informieren. Es ist das klassische Unterhaltungsmedium.

Und was ist typisch fürs Internet? Typisch fürs Internet ist, dass seine Konsumenten keine Präferenzen haben. Sie wollen online all das, was ihnen offline Zeitungen, Zeitschriften, Radio und TV bieten. Dazu wollen sie Interaktivität, die nur das Netz bieten kann. Internet ist keine Mediensparte, es ist Medientotalität.

Das gemeinsame Newsportal von Tages-Anzeiger,Basler Zeitung und Berner Zeitung, diese erste ernsthafte Internet-Investition, versucht diese Erkenntnis umzusetzen. Die Sache ist gut gelungen, wobei, wie immer bei Verlags-Sites, die Zeitungs- und Zeitschriftenelemente im Netz übergewichtet werden.

Aufgrund der Online-News werden die Zeitungen weiterhin Auflage verlieren. Verschwinden werden sie nicht, zumindest nicht in den nächsten dreissig, vierzig Jahren. Es wird weiterhin Lifestyle-Romantiker geben.

Schwarze Finger holt man sich am Computer nicht und am Handy nicht und nicht einmal mehr am Printer.

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