Global Media Forum: Was Journalismus leisten kann – und muss

16. Juni 2021 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik • von

Das diesjährige Global Media Forum der Deutschen Welle stand unter dem Titel “Disruption und Innovation”. Zwei Tage lang diskutierten Expertinnen und Experten aus Medien, Politik und Zivilgesellschaft in digitalen Sessions zu verschiedensten Themen und versuchten, Antworten für einen Journalismus nach der Corona-Krise zu finden. Das EJO hat Panels zu Fake News, Diversität und Konstruktivem Journalismus besucht.

„Seit der Pandemie sind Fake News in Nigeria zum Mainstream geworden“, erklärt Richard Ali, Schriftsteller und Anwalt aus Nigeria, beim Global Media Forum. Das Misstrauen der Menschen gegenüber den Medien und anderen Institutionen, so Ali, sei historisch bedingt – Erfahrungen mit Krisen und Diktatur hätten dazu beigetragen. „Es gibt nur wenig, was man auf einer grundlegenden Ebene dagegen tun kann“, sagt der Autor.

Wahrheit in der digitalen Welt

Fake News sind aber nicht nur in Nigeria, sondern weltweit zu einem Problem geworden.

Es stellt sich also die Frage: Was lief falsch („What went wrong“)? Timothy Snyder, Historiker an der US-amerikanischen Yale-Universität, hatte darauf in seinem Vortrag eine weitreichende Antwort:

Snyder erklärt, dass neue Medien Zeit brauchen, um sich zu entwickeln und zu etablieren: „Das Internet muss nicht so bleiben, wie es heute ist. Es liegt nur an uns, was wir daraus machen.“ Snyder sagt das vor allem mit kritischem Blick auf bestimmte „große Internetkonzerne“ in den USA. „Wir haben die digitale Welt noch nicht als Ding begriffen – als etwas, das ist, das selbstständig denken und handeln kann“, mahnt der Historiker.

Der in der Debatte um Fake News viel verwendete Begriff der Wahrheit sei als „Projekt“ zu verstehen, erklärt Snyder – ein Projekt, an dem alle Seiten, ob rechts oder links, mitarbeiten müssten. Snyder bemängelt sowohl die linke Auffassung von Wahrheit als emotional geleitet als auch die rechte liberale Idee von Wahrheit als etwas, das sich von selbst durchsetzt, als „Unsinn“. Es gehe einzig und allein um Fakten: „Wenn uns an der Demokratie etwas liegt, müssen wir uns an Fakten und Faktizität halten“, erklärt Snyder.

Mangel an Lokalität und Individualität

Laut dem Yale-Professor gibt es verschiedene Phänomene, die die volle Entfaltung des demokratischen Nutzens der Medien verhindern. Dazu zählt Snyder unter anderem die globale Ungleichheit, aber auch konkret die finanzielle Situation des Journalismus: Wir unterbewerten Dinge, die Maschinen und Computer nicht tun können, zum Beispiel Kunst, Geisteswissenschaften und eben auch journalistische Berichterstattung.“ Die Tatsache, dass Menschen in diesem Bereich den Maschinen überlegen sind, müsse jedoch auch finanziell mehr wertgeschätzt werden.

Gefahren aus dem Internet

Um Wahrheit und Fake News ging es auch in einem Panel mit Philip Howard, Professor für Internet Studies am Oxford Internet Institute, Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, und Felipe Neto, YouTuber aus Brasilien und laut Deutscher Welle „einer der vehementesten Kritiker von Präsident Bolsonaro“. Sie diskutierten über Fake News in der digitalen Sphäre, vor allem in Social Media.

Einige alarmierende Entwicklungen in diesem Bereich, beispielsweise die Desinformationskampagnen von QAnon, hätten, so Philip Howard, durch eine stärkere Regulierung des Internets verhindert – oder zumindest gemindert – werden können. Doch solche Regulierungen gebe es kaum, zumindest nicht von gesetzgeberischer Ebene. Alles deute darauf hin, dass das Internet die Selbstregulierung durch Unternehmen wie Facebook und Twitter hinter sich lassen müsse, erklärt Howard. Nur so können gefährliche Effekte von Falschinformationen, beispielsweise im Kontext von Covid-19, verhindert werden. Tobias Schmid stimmt Howard dabei zu: „Der Schutz der Freiheit im Internet sollte von den Gesetzgebern kommen, nicht von den Unternehmen.“

„Ich will reguliert werden“, bekennt der brasilianische YouTuber Felipe Neto. Er vergleicht das Internet in seiner aktuellen Form mit einer anarchistischen Verkehrsordnung: „Man kann einfach ein Auto nehmen und damit jemanden überfahren.“ Neto erklärt, dass es in der aktuellen Debatte nicht nur um Freiheit gehe, sondern vor allem um Sicherheit: „Wir sprechen hier über Menschen, die sterben, die sich umbringen, wegen Dingen, die im Netz passieren.“ Neto selbst hat Erfahrungen mit Morddrohungen gemacht. „Bolsonaros Regierung lebt von ihren Lügen – von eindeutig widerlegbaren Lügen“, sagt er. „Was uns hierhergeführt hat, ist die Tatsache, dass die Digitalkonzerne ihre eigenen Regeln machen.“

„Menschen zuhören, die einen anderen Background haben“

Dass Diversität in Redaktionen und in den Medien mehr als nur ein Trend ist, darüber waren sich Ellen Ehni, Chefredakteurin WDR Fernsehen, Kheira Tami, Executive Producer bei AJ+ français und die britisch-türkische Autorin Elif Shafak einig. Zudem, so betont Ehni, müsse man sich immer wieder vor Augen führen, dass Diversität mehrere Dimensionen habe, sowohl kulturelle als auch ethnische, aber auch Dimensionen bezogen auf das Geschlecht, das Alter, den religiösen Hintergrund, Ausbildung und Einkommen. Diversität in Redaktionen könne am besten mit einem divers zusammengesetzten Team erreicht werden. Und: „Jeder muss sich der blinden Flecken bewusst sein und den Menschen zuhören, die einen anderen Background haben“, sagt die WDR-Chefredakteurin, die sich noch immer fassungslos zeigt, als DW-Moderator Max Hofmann sie auf die scharfe Kritik an einer im Januar 2021 ausgestrahlten Folge der WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ anspricht. In der Runde saßen fünf weiße Menschen, die über Rassismus diskutierten und urteilten. „Wir wissen nicht, wie das passieren konnte“, sagt Ehni.

Um Diversität in Redaktionen zu steigern, sei es auch wichtig, schon bei der Ausbildung anzusetzen, betonen die WDR-Chefredakteurin und Kheira Tami von AJ+ français. Mittlerweile können sich auch junge Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung – und nicht nur mit einem abgeschlossenen Studium – um ein WDR-Programmvolontariat bewerben, zudem hat der Sender mit „WDR grenzenlos“ ein Projekt speziell für junge Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund ins Leben gerufen.

In Frankreich sei die Journalistenausbildung an Journalistenschulen traditionell mit hohen Zugangsbedingungen verknüpft und sehr elitär, erzählt Kheira Tami und betont: „Auch Angehörige der Arbeiterklasse sollten die Möglichkeit haben, Journalistenschulen zu besuchen.“ Mittlerweile hätten einige Verantwortliche begriffen, dass sie ihre Schulen „öffnen müssen“ und spezielle Programme gestartet, um angehende Journalistinnen und Journalisten der Arbeiterklasse aus den Vorstädten auszubilden. Einige davon arbeiteten inzwischen auch in ihrer Redaktion, berichtet Tami, in der diverse Teams Alltag seien, was auch der Art des Mediums geschuldet sei, denn AJ+ ist ein Medium, das sich „den Menschenrechten und der Gleichberechtigung widmet, die Mächtigen zur Rechenschaft zieht und die Stimmen marginalisierter Communitys verstärkt“, wie es auf der Webseite heißt.

Mit Konstruktivem Journalismus gegen das Informationschaos

Wie Konstruktiver Journalismus gegen Informationsüberflutung helfen kann, wurde in einem Panel mit Ulrik Haagerup, Gründer und CEO des Constructive Institute, Rouna Meyer, Africa Initiative Manager vom Solutions Journalism Network, und Ellen Heinrichs, Head of Trends & Knowledge bei der Deutschen Welle, diskutiert.

„Wir müssen endlich damit beginnen, den Leuten zuzuhören“, betont der Däne Ulrik Haagerup, der den Begriff des Konstruktiven Journalismus nicht nur im skandinavischen Raum maßgeblich geprägt hat. Wenn man Leute auf der Straße fragen würde, ob sie mehr Nachrichten in ihrem Leben bräuchten, würde die Antwort eher ‚nein‘ lauten, würde man sie aber fragen, ob sie mehr Informationen benötigen, wäre die Antwort mit Sicherheit ‚ja‘. „Wir brauchen also jemanden, der Ordnung in die Sache bringt.“

Vor allem in Krisensituationen spiele Konstruktiver Journalismus eine wichtige Rolle, um Hoffnung zu geben und den Menschen Lösungsansätze aufzuzeigen sagt Ellen Heinrichs von der Deutschen Welle. Der Positive-Nachrichten-Ansatz habe aber rein gar nichts mit „flauschig oder gar PR“ zu tun, betont Heinrichs – ein Vorurteil, auf das sie immer wieder stoße. In der Tat sei Konstruktiver Journalismus „keine Alternative“ zum investigativen Journalismus und erst recht „keine nordkoreanische Version von Journalismus“, wie es Haagerup formuliert.

Das sei auch das größte Missverständnis, dem Rouna Meyer vom Solutions Journalism Network immer wieder begegne: „Konstruktiver Journalismus darf auf keinen Fall losgelöst von anderen Journalismus-Formen betrachtet werden, sondern muss integriert werden, z.B. in Umweltjournalismus oder investigativen Journalismus.“

Was können Redaktionen also tun, um das Konzept des Konstruktiven Journalismus in ihre Berichterstattung zu integrieren? Aus- und Fortbildungen seien ein wichtiger Bestandteil, sagt Meyer und berichtet von Lehrmaterialien, die ihr Netzwerk gemeinsam mit Akademikern, Medienschaffenden und Vertretern der Zivilgesellschaft in 17 Sprachen entwickelt haben. Auch auf der Webseite des Constructive Institute finden sich Lehrmaterialien, Tipps und Beispiele. Die DW Akademie hat im Juni das Constructive Journalism Lab ins Leben gerufen, das unter anderem 15 Medienschaffenden aus Afrika und dem Nahen Osten, die im visuellen Bereich tätig sind, Fellowships anbietet.

Eines sei Haagerup aber sehr wichtig zu betonen: „Es geht um Veränderung in der Redaktion.“ Er weist darauf hin, dass folgendes mit Sicherheit nicht funktionieren werde: Dass die Redaktionsleitung einen Fortbildungskurs für Konstruktiven Journalismus besuche, daraufhin beschließe, dass ab nächster Woche Konstruktiver Journalismus gemacht werde und ihrem Team ein Handbuch zur Anleitung gebe.

Das Medienmanagement mit einzubeziehen, sei aber trotzdem wichtig, betont Ellen Heinrichs von der Deutschen Welle. Diese Erfahrung habe sie generell mit dem Vorantreiben von Innovationen in Redaktionen gemacht.

Und dann sei Konstruktiver Journalismus nicht nur gut für die Gesellschaft, sondern auch noch gut fürs Geschäft, sagt Heinrichs. Analysen hätten gezeigt, dass Online-Nutzer länger beim Beitrag und auf der Seite verweilen, wenn die Story verschiedene Perspektiven und Lösungen aufzeigt. „Diese Nutzer sind viel länger Werbung ausgesetzt – und haben vielleicht auch noch bessere Laune“, sagt Heinrichs. Das sollte das Management doch überzeugen.

 

Alle Sessions des Global Media Forum wurden aufgezeichnet und stehen auf YouTube zum Anschauen bereit

 

 

Bildquelle: Collage pixabay.com / DW

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