Die Wissenschaft als Schlagzeilenlieferantin

26. März 2019 • Digitales, Forschung aus 1. Hand • von

So eindeutig wie Medien Forschungsergebnisse präsentieren, sind die Befunde selten. Die knackige Schlagzeile erweist sich oft als wissenschaftliche Knacknuss. So auch bei der Frage: Googeln Frauen anders als Männer?

Wer danach googelt, ob Frauen oder Männer besser darin sind, Informationen im Internet zu recherchieren, findet hunderttausende Suchergebnisse. Darunter auch journalistische Artikel mit Überschriften wie „Why man are better at Google than women“ (The Telegraph, 2015), „Frauen im Netz: Sag doch auch mal was“ (Die Zeit, 2011) oder „Männer surfen zur Venus und Frauen zum…“ (Spiegel Online, 2005). Doch was davon ist wissenschaftlich belegt?

Eine amerikanische Studie gab 2003 vor, genderspezifische Muster bei der Websuche gefunden zu haben. Männliche Schüler hätten öfter zwischen der Trefferanzeige der Suchmaschine und den einzelnen Ergebnisseiten hin- und her geklickt und so mehr Wissen generiert als ihre weiblichen Mitschülerinnen. Allerdings basierten die Ergebnisse lediglich auf der Beobachtung von sieben Buben und sieben Mädchen der 8. Klasse einer US-amerikanischen Schule, die zum Thema „Mücken und ihre Beute“ im Internet Informationen suchen sollten.

Für manche Medien ein gefundenes Fressen. Zeitungen nahmen die Studie mitunter unreflektiert auf. So machte der britische „The Telegraph“ aus den Buben kurzerhand Männer und aus den Mädchen Frauen und folgerte: „Why men are better at Google than women“. Die Geschlechterunterschiede in der Online-Recherche wurden dann unter anderem damit begründet, dass Google von Männern gemacht und somit eine Software sei, die Männergehirne bevorzuge. Die Studie, welche dann die Unterschiede zwischen Frauen- und Männergehirnen belegen soll, zeigt allerdings nur, dass in Frauengehirnen oft stärkere Verbindungen zwischen beiden Gehirnhälften gefunden wurden. Männergehirne weisen indes oft stärkere Verbindungen innerhalb der einzelnen Gehirnhälften auf. Forschung, die erklären kann, was das mit dem Rechercheverhalten im Internet zu tun hat, gibt es nicht. Unterschiedliche Gehirne bedeuten eben nicht automatisch unterschiedliches Online-Rechercheverhalten.

Es ist Aufgabe des Wissenschaftsjournalismus, Forschungsprozesse adäquat zu reflektieren.

Wenn wissenschaftliche Forschungsergebnisse als zu sicher präsentiert und ohne Informationen zu Quellen, den wissenschaftlichen Studien und deren Methodik, Gültigkeit und Qualität unreflektiert als universelle Wahrheiten berichtet werden, kann das zu falschen Überzeugungen bei Leserinnen und Lesern führen. Es ist Aufgabe eines verantwortungsbewussten Wissenschaftsjournalismus, solche Kurzschlüsse zu verhindern. Wissenschaftsjournalismus darf einzelne Studien nicht als „die Wahrheit“ verkaufen. Neben den Ergebnissen muss er auch Forschungsprozesse aufzeigen, einordnen und reflektieren.

An der grundlegenden Forschungslücke änderte auch eine weitere Studie zum Thema nicht viel, die ein paar Jahre später erschien. Die Studie fragte 2006 nach geschlechtsspezifischen Einflüssen auf das Google-Suchverhalten. Hier bekamen 14 männliche und 9 weibliche Studierende insgesamt acht Suchaufgaben. Zum Beispiel: „Wie hieß das erste Antibiotikum?» (Antwort: Penicillin) oder „Wie heißt der höchste Berg in New York?“ (Antwort: Mount Marcy). Es zeigte sich, dass Frauen mehr Wörter ins Google-Suchfeld eingaben, aber weniger Treffer auf Google betrachteten als Männer. Die Frauen suchten demnach gezielter, während die Männer bei der Suche eher „scannten“.

Kurz und gut: Es gibt bis heute kaum öffentliche, wissenschaftliche Studien und spezifische Forschung zu diesem Thema. Die Forschung, die es gibt, entdeckte nur wenige, nicht repräsentative Unterschiede im Online-Rechercheverhalten. Zudem betrachteten die Studien auch nur das biologische Geschlecht. Dabei weiß auch die wissenschaftliche Forschung schon lange, dass es sinnvoller ist, Personen nach ihrem sozialen Gender zu unterscheiden. Dieses wird durch die Sozialisation eines Menschen, durch Erziehung und kulturell geprägt. Das soziale Geschlecht kann, muss aber nicht, mit dem biologischen Geschlecht einer Person übereinstimmen.

Männer haben mehr Selbstvertrauen in ihre Online-Suchfertigkeiten. Frauen sind sorgfältiger und vermeiden das Risiko.

Wenn Forschende Geschlechtsunterschiede im Online-Rechercheverhalten finden, kann es zudem sein, dass eigentlich andere Personenmerkmale die Ursache dafür sind. Oft beachten Studien relevante andere Personenmerkmale aber gar nicht, obwohl diese das Online-Suchverhalten beeinflussen könnten und mit dem Gender einer Person zusammenhängen. So spielen etwa die Wahrnehmung der eigenen Online-Suchfertigkeiten und das Selbstvertrauen in diese, Sorgfältigkeit, Risikovermeidung, Bindung an spezifische Informationsquellen, Erfahrung mit Technologie, Fragestellungen und deren wahrgenommene Schwierigkeit wichtige Rollen beim Online-Rechercheverhalten.

Frauen schätzen ihre Fähigkeiten bei der Internetrecherche tendenziell schlechter ein als Männer. Männer mit geringer Einschätzung der eigenen Suchfertigkeiten recherchieren aber ähnlich wie Frauen mit geringer Wahrnehmung der eigenen Suchfertigkeiten. Das entscheidende Personenmerkmal ist hier also nicht das Geschlecht, sondern die Einschätzung der eigenen Suchfertigkeiten.

Ein Szenario: Frauen werden aufgrund ihres Rechercheverhaltens immer intelligenter – Männer anfälliger für Verschwörungstheorien.

Warum ist es überhaupt relevant, ob Männer und Frauen unterschiedlich nach Informationen suchen? Vorwiegend Unternehmen möchten für eine direkte Zielgruppenansprache wissen, wie Frauen und Männer im Internet recherchieren. Werbung können sie so gleich ans passende Geschlecht liefern. Aber auch Institutionen, denen es an Chancengleichheit in der Bildung gelegen ist, finden die Unterschiede interessant. Wenn beispielsweise Männer bei ihrer Recherche immer nur auf User-Postings und Frauen immer nur auf wissenschaftlichen Artikeln landen würden, könnte das dazu führen, dass Frauen immer intelligenter werden und Männer immer anfälliger für Verschwörungstheorien. Eine sogenannte Wissenskluft entstünde am Ende aufgrund von unterschiedlichem Suchverhalten.

Welche Unterschiede es im Online-Rechercheverhalten zwischen den Geschlechtern gibt, weiß derzeit wohl nur Google. Die Datenmenge, die Google zur Verfügung hat, ist jeder öffentlich finanzierten wissenschaftlichen Studie zum Suchverhalten weit überlegen. Aber Unternehmen wie Google oder Facebook geben diese Daten nicht oder nur beschränkt für wissenschaftliche Zwecke frei. Sehr wahrscheinlich könnte Google ganz genau sagen, wie Männer und Frauen nach Informationen suchen und wo die Unterschiede liegen. Nur, welche Faktoren für die Unterschiede verantwortlich sind – unterschiedliches Vertrauen in die eigene Recherchefertigkeit? Unterschiedliches Risikoverhalten? Unterschiedlicher Erfahrungsgrad mit Technologien? – das weiß wahrscheinlich selbst Google (noch) nicht.

Erstveröffentlichung: Medienwoche vom 21. März 2019

Der Beitrag ist Teil einer Serie der Schweizer Medienwoche zu aktueller kommunikationswissenschaftlicher Forschung. Die Serie wurde von Forscherinnen des DGPuK-Mentoring Programms und der MFG – MedienforscherInnengruppe initiiert.

Bislang in der Serie erschienen:

Die Nicht-Themen zum Thema machen

Facebooks gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit

Bildquelle: pixabay.de

 

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