Weniger Trump und mehr Wissenschaftler

23. Juli 2018 • Qualität & Ethik • von

Wo bleiben die Wissenschaftler, die als halbwegs unabhängige Experten wichtige Medien-News kommentieren und einordnen?

Es ist, wie es ist: Donald Trump hat eine weitere Woche die Schlagzeilen dominiert. Die Nachricht, dass die EU Google zu 4 Milliarden Euro Strafe vergattert hat, erzielte dagegen vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Dass das Bundesverfassungsgericht die Rundfunkgebühr absegnete, und dass Amazon-Chef Jeff Bezos mit einem geschätzten Vermögen von 150 Mrd. Dollar inzwischen der reichste Mensch der Welt ist, ging nahezu unter. Wohlgemerkt: Bezos ist als Online-Buchhändler, sprich: Medienunternehmer, steinreich geworden. Außerdem gehört ihm mit der Washington Post eine der wichtigsten Stimmen des westlichen Journalismus.

Und wo bleiben bitte die Wissenschaftler, die als halbwegs unabhängige Experten solch wichtige Medien-News kommentieren und einordnen? Fehlanzeige. Deren Absenz im gesellschaftspolitischen Diskurs thematisieren immerhin die Sozialforscher Stefan Selke (Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Furtwangen) und Annette Treibel (Pädagogische Hochschule Karlsruhe). Was sie im Sammelband „Öffentliche Gesellschaftswissenschaften“ zusammengetragen haben, reflektiert wohl den „state of the art“ der vielfältigen Versuche, sozialwissenschaftliche Erkenntnisse an eine breitere Öffentlichkeit heranzutragen. Eine Einzelschilderung geht dabei sogar an die Schmerzgrenze. Annette Treibel berichtet, wie sie als Migrationsexpertin ins Kreuzfeuer der sozialen Medien geraten ist und mit Hassbotschaften überschüttet wurde. Manch ein Forscherkollege mag sich so fragen, ob er sich solchen Rückmeldungen aussetzen soll. Andererseits ging es einer Zeit-Journalistin nicht besser. Sie wurde dieser Tage zum Shitstorm-Opfer, weil sie sich – durchaus differenziert – damit auseinandergesetzt hatte, wie Schlepperbanden Seenotretter für ihre Zwecke einspannen.

Indes stehen sich mehrere der im Buch versammelten Autoren auch selbst im Weg. Sie vermitteln ihr Anliegen zu wenig anschaulich und richten sich eher an Fachkollegen als an die mediale Öffentlichkeit. Um das mit einem Beispiel zu illustrieren: Selke fordert zu „gelebtem Grenzgängertum“ auf und belehrt dann im selben Atemzug darüber, dass „der Kategorienbegriff Öffentliche Gesellschaftswissenschaften“ eigentlich nur Sinn mache, „weil er das progressive Moment der notwendigen Disziplinüberschreitung bereits beinhaltet“. Das ließe sich fraglos einfacher sagen.

Ja, wir brauchen mehr Interdisziplinarität. Und einen Journalismus, der – angesichts der Herausforderungen der Digitalisierung, für die Google und Amazon stehen – weniger Trump und öfter mal Wissenschaftler zu Wort kommen lässt. Aber viele Forscher müssten wohl auch erst einmal lernen, wie man öffentlich kommuniziert.

Stefan Selke/Annette Treibel: Öffentliche Gesellschaftswissenschaften: Grundlagen, Anwendungsfelder und neue Perspektive, Wiesbaden: Springer VS 2018

Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 22. Juli 2018 (leicht gekürzt)

Bildquelle: Flickr CC; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/ 

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