Wie Geld, Tech-Giganten und Regierungen den Journalismus kontrollieren

2. Juli 2021 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Qualität & Ethik • von

Ein Sammelband von Anya Schiffrin von der Columbia University analysiert die Probleme, die durch die Macht digitaler Plattformen entstehen – zeigt aber auch Lösungen auf.

Die übergroße Rolle, die Tech-Giganten in der globalen Medienlandschaft spielen, wurde im Februar deutlich, als Facebook alle Links zu Medienseiten auf seiner Plattform in Australien sperrte. Mark Zuckerbergs Unternehmen ließ seine Muskeln spielen, um sich gegen den von der australischen Regierung vorgestellten Entwurf des neuen Mediengesetzes (News Media Bargaining Code) zu wehren, der Tech-Unternehmen dazu zwingen sollte, für die über ihre Plattformen verbreiteten Nachrichten zu bezahlen.

Der Einfluss der Technologieunternehmen aus dem Silicon Valley auf die Medien hat tiefgreifende Auswirkungen – nicht nur auf die Nachhaltigkeit der Medien, sondern auch auf die Demokratie. Während Medienschaffende in vielen Teilen der Welt weiterhin direkt bedroht werden, sind Journalismus und Medienunternehmen im digitalen Zeitalter auch weicheren Formen der Kontrolle ausgesetzt, die zu Selbstzensur führen können. Dies lässt sich als eine Form der Medienvereinnahmung beschreiben: Autokraten und Konzerne fördern heimtückisch ihre eigenen Interessen, indem sie die Medienlandschaft umgestalten und die Unabhängigkeit des Journalismus untergraben.

Einen umfassenden Überblick über die derzeitige Medienvereinnahmung und wie sie die vierte Gewalt, die über die Demokratie wachen soll, schwächt, bietet der Sammelband „Media Capture: How Money, Digital Platforms and Governments Control the News“, der im Juni im Verlag Columbia University Press erschienen ist. Es ist bereits der dritte Band, den ich zu diesem Thema herausgegeben habe und fokussiert sich nicht nur auf die Probleme, die durch die Macht von Big Tech entstehen, sondern auch auf einige Lösungen für diese Herausforderungen.

Der Einfluss von Big Tech

Das Buch zeichnet ein breites Bild einer unterfinanzierten und verletzlichen Medienlandschaft – vom langsamen Untergang des Lokaljournalismus über die Fehlinformationen, die Boulevardzeitungen in Großbritannien und TV-Sender wie Fox News in den USA verbreiten, bis hin zur Rolle, die Stiftungen und Philanthropen spielen, im Positiven wie im Negativen.

Andrea Gabor schreibt darüber, wie große Stiftungen wie die Bill and Melinda Gates Foundation und die Eli and Edythe Broad Foundation Online-Journalismus und Nachrichtenbeiträge über Bildung finanziert haben. Viele dieser Bemühungen hatten eine Agenda: die Förderung von Charter Schools (Schulen, die mit Steuergeld finanziert, aber von unabhängigen Betreibern geführt werden; Anm. d. Red.) und die Schwächung von Lehrergewerkschaften und öffentlicher Bildung.

Der Band enthält Kapitel über die katastrophale Situation der Pressefreiheit und den Einfluss der Regierungen in der Türkei und in Indien; und einen detaillierten Blick darauf, wie die britische Tageszeitung Evening Standard den Unternehmen Uber und Google eine positive Berichterstattung verkauft hat.

Rana Foroohar, Noam Cohen und Emily Bell thematisieren in ihren Beiträgen die Bedrohung, die große Tech-Unternehmen für den unabhängigen Journalismus darstellen. Es wird deutlich, dass die Verbreitung von Nachrichten nur ein Teil der Art und Weise ist, wie Tech-Giganten die Mediensphäre beeinflussen. Diesen Unternehmen gehört oft die digitale Infrastruktur, die den Informationsfluss untermauert. Ihr Einfluss erstreckt sich deshalb auch auf die Finanzierung von journalistischen Initiativen und Veranstaltungen, die zwar die Medienvielfalt unterstützen, aber auch ihren Interessen dienen können.

Chancen und Lösungen

Doch neben diesem düsteren Bild zeigt unser Sammelband auch die große Vielfalt der Medienlandschaft im digitalen Zeitalter auf und macht Vorschläge, wie man unabhängige Medien erhalten kann.

In Australien änderte die Regierung schließlich das Gesetz, um Facebook entgegenzukommen und den Streit zu beenden. Das überarbeitete Gesetz trat im März in Kraft. Google war ebenfalls gegen das Gesetz, wählte aber einen weniger konfrontativen Ansatz und verhandelte mit großen Medienunternehmen in Australien, darunter Rupert Murdochs News Corp. Zudem traf Google mit Medienunternehmen in Frankreich, wo es zuvor ähnliche urheberrechtliche Auseinandersetzungen gegeben hatte, Vereinbarungen zur Umsatzbeteiligung und weitete seinen Nachrichten-Dienst News Showcase aus, der es Verlagen erlaubt, Inhalte prominent im Internet zu platzieren – angeblich verknüpft mit vielen Bedingungen für Medienunternehmen.

Ist das neue australische Gesetz, das digitale Plattformen dazu zwingt, für die von ihnen verbreiteten Nachrichten zu bezahlen, also ein Modell, dem andere Länder folgen könnten? Kann es angeschlagenen Medienunternehmen, die auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen sind, dringend benötigte Einnahmen verschaffen? Kritiker des australischen Mediengesetzes sagen, dass es große Nachrichtenorganisationen wie Murdochs News Corp begünstigt, aber kleineren Medienunternehmen nicht genug Unterstützung bietet. Gespräche mit Wettbewerbsministern aus aller Welt deuten darauf hin, dass die Länder unterschiedliche Maßnahmen verfolgen werden – wobei die britische Digital Markets Unit (eine neue Untereinheit der Kartellbehörde Competition und Markets Authority CMA; Anm. d. Red.) die Umsetzung von Richtlinien plant und in der Europäischen Union die EU-Urheberrechtsrichtlinie in den Vordergrund gestellt wird.

Auch wenn das neue australische Gesetz bei weitem nicht perfekt ist, so ist es doch ein wichtiger Schritt, um das wachsende Macht-Ungleichgewicht zwischen dem Silicon Valley und den Medienunternehmen auszugleichen. Aber es ist klar, dass noch viel mehr getan werden muss. Unser Sammelband enthält einen Abschnitt über mögliche Lösungen. So ruft Mark Nelson vom Center of International Media Assistance dazu auf, dass Gruppen, die sich für Medienentwicklung und freie Meinungsäußerung einsetzen, sich an der Gestaltung von Regulierungen und Regierungsstrategien beteiligen sollten. Drew Sullivan vom Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) stellt einen Plan zur Schaffung eines Treuhandfonds zur Unterstützung des investigativen Journalismus vor. Dean Starkman, Senior Editor beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), hat den finanziellen Niedergang des Lokaljournalismus beobachtet. Nun schlägt er eine Lösung vor, die aus einem Land kommt, mit dem man erst einmal nicht rechnet: Ungarn. Hier hilft ein Steuergesetz, das in den liberalen, hoffnungsvollen 90er Jahren verabschiedet wurde, den unabhängigen Journalismus unter einem zunehmend autoritären Regime am Leben zu erhalten.

 

Vielen Dank an Nicole Pope und Chloe Oldham für ihre Unterstützung bei diesem Beitrag.

 

Dieser Beitrag wurde zuerst auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht.

 

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