Religion ist „nicht so sexy“

17. März 2010 • Qualität & Ethik • von

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 2+3/2010

Wenn nicht gerade die EKD-Ratsvorsitzende Margot Kässmann mit 1,54 Promille in eine Alkoholkontrolle gerät und damit die Pädophilie gestrauchelter katholischer Priester temporär aus den Schlagzeilen verdrängt, tun sich die Protestanten offenbar schwer, sich in der Medienberichterstattung den ihnen „gebührenden“ Anteil zu sichern.

Selbst im Land von Zwingli und Calvin stehlen der Islam und der Katholizismus ihnen mühelos die Show. Carmen Koch von der Zürcher Hochschule Winterthur hat über ein Jahr hinweg Schweizer Tageszeitungen und Nachrichtensendungen inhaltsanalytisch auf ihren Umgang mit Religion hin untersucht. Ihr Ergebnis: „Der Anteil der Beiträge, die sich mit dem Protestantismus beschäftigen, ist verschwindend klein.“ Möglicherweise fehle „dem Protestantismus eine interessante Führungsperson, wie die Katholiken sie mit dem Papst haben“.

Ergänzend haben Vinzenz Wyss und Giudo Keel (beide ebenfalls: Zürcher Hochschule Winterthur) 35 Schweizer Journalisten über ihren Umgang mit Religionsberichterstattung interviewt. Ihre qualitative Studie bestätigt, dass Religion selten ins Zentrum der Berichterstattung rückt. Das Thema werde in den Redaktionen als „nicht so sexy“ wahrgenommen. Man müsse Religion zusammen mit Sex, Gewalt, Erziehung, Schule oder Staat thematisieren – am besten in skandalösem Zusammenhang.

Nur einige der befragten Journalisten sehen in der Religion ein vernachlässigtes Thema. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch die Religionszugehörigkeit der Journalisten selbst: 32 Prozent von ihnen sind in der Schweiz evangelisch, 31 Prozent katholisch. 34 Prozent sind konfessionslos – und bilden damit die größte Gruppe. Es scheint, als müssten vor allem die Protestanten, aber auch andere Religionsgemeinschaften vermehrt für den „lieben Gott“ PR machen, wenn sie öffentlich wahrgenommen werden möchten. Der Dalai Lama lässt grüßen. Bei der Berichterstattung über Buddhismus nimmt er nämlich, so Carmen Koch, eine „außerordentliche, dominierende Position ein“, was sich einzig „mit der Prominenz dieses Akteurs“ erklären lässt.“

Carmen Koch: Das Politische dominiert. Wie Schweizer Medien über Religionen berichten, in: Communicatio socialis, 42. Jg./Heft 4, 2009,365-381

Vinzenz Wyss/Guido Keel: Religion surft mit. Journalistische Inszenierungsstrategien zu religiösen Themen, in: Communicatio socialis, 42. Jg./Heft 4, 2009, 351-364

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