Stephan Russ-Mohl sieht die Erfinder von Falschnachrichten immer noch vor den Faktencheckern. Auch weil Fake News eigene Vorurteile bestätigen.
Fast 200 Twitter-Konten gesperrt, 500 Facebook-Konten gelöscht, die von Russland aus in den US-Wahlkampf werbend mit Fake News und Hassbotschaften eingegriffen haben – was da so tröpfchenweise aus der Welt der Social Media-Plattformen durchsickert, mag auf den ersten Blick nicht allzu beunruhigend klingen, ist aber wohl auch nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Mutmaßlich geben sich Facebook & Co weiterhin alle Mühe, zu vertuschen, was da hinter den Kulissen schief lief und läuft.
Es gibt ja inzwischen einen bemerkenswerten Wettlauf zwischen Hase und Igel im Kampf gegen Fake News. Die Hasen sind all jene Initiativen, die Falschnachrichten löschen, kennzeichnen oder sonstwie unschädlich machen wollen und sich auch wie die Karnickel vermehren. Faktencheck ist zwar das Kerngeschäft des Journalismus, wird aber inzwischen auch vielfach außerhalb herkömmlicher Redaktionen betrieben. Luca Graves und Federica Cherubini (Reuters Institute for the Study of Journalism, Oxford) zählten kürzlich weltweit 113 Factchecking-Websites – rund 50 von ihnen sind in Europa tätig. Was sie tun, ist gewiss ein wichtiger erster Schritt, um Desinformation zu bekämpfen.
Unter den Forschern gibt es aber auch die Igel-Fraktion: Sie hält die Bemühungen, Fake News einzudämmen, bislang für verlorene Liebesmüh: Die Erfinder von Falschnachrichten seien ihren Verfolgern meist eine Pinocchio-Nasenlänge voraus. Mehrere Mechanismen tragen dazu bei, dass sich Fakes im Netz oftmals wie Lauffeuer ausbreiten und von Faktencheckern kaum einfangen lassen: Intelligent konstruierte Falschnachrichten haben einen hohen Nachrichtenwert und erzielen genau deshalb zahllose Clicks, Likes und Shares. Social Bots, also Text-Roboter, tun dann das ihrige, um den Effekt drastisch zu verstärken. Sie kosten wenig Geld, lassen sich schwer nachweisen und müssen weder von der AfD noch von Putins Propaganda-Apparat „ferngesteuert“ werden. Oftmals, so haben Kathleen Hall Jamieson (Annenberg Public Policy Center) und Man-pui Sally Chan (University of Illinois) in einer Studie soeben neuerlich bestätigt, wirken Filterblasen und der menschliche „Confirmation Bias“ allen Aufklärungsbemühungen entgegen: Wir glauben eben Fake News nur allzu zu gerne, wenn sie unsere Vorurteile bestätigen.
Luca Graves/Federica Cherubini: The Rise of Fact Checking Sites in Europe, Oxford: Reuters Institute for the Study of Journalism, 2016
Man-pui Sally Chan/ Kathleen Hall Jamieson et al. Debunking: A Meta-Analysis of the Psychological Efficacy of Messages Countering Misinformation, in: Psychological Science, Sept. 2017
Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 1. Oktober 2017
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Schlagwörter:Facktchecking, Fake News, Hase und Igel, Qualität, Wahrheit