Wird der Journalismus in den USA schlechter? Hat er seine Prinzipien verraten? Neuere empirische Daten widersprechen den prominenten Kritikern in den Vereinigten Staaten.
Folgt man den Kassandrarufen prominenter US-Journalisten und Journalismus-Kritiker wie etwa Ben Bagdikian, Geneva Overholser oder Bill Kovach, ist es schlimm um den amerikanischen Journalismus bestellt: Er kommerzialisiert sich, er verliert Glaubwürdigkeit, und er ist längst dabei, seine hehren Prinzipien zu verraten und seine Seele zu verkaufen, während sich die Medienmacht in immer weniger Konzernzentralen zusammenballt.
Blickt man dagegen auf neue empirische Daten, so ergibt sich ein ganz anderes Bild:
Die US-Journalisten sind besser ausgebildet denn je, sie haben Freude an ihrer Arbeit und sie sind – selbst wenn man die generell weitverbreitete Tendenz zu vollmundiger Selbstdarstellung in Amerika mitberücksichtigt – in einem geradezu überraschenden Ausmass stolz auf die Qualität ihres Medienprodukts. Zu mehr als 60 Prozent bescheinigen sie sich ausserdem selbst erstklassige oder sehr gute Leistungen – und fühlen sich dabei weiterhin stark an eine Service public-Ethik gebunden.
Eine Wissenschaftler-Gruppe um David H. Weaver und G. Cleaveland Wilhoit (beide Indiana University) hat, anknüpfend an eine Pionierstudie von John Johnstone aus dem Jahre 1976, zum vierten Mal innerhalb von 30 Jahren in einer aufwendigen repräsentativen Befragung diese und viele weitere nützliche Daten erhoben. Sie ermöglichen erstmalig über mehrere Jahrzehnte hinweg im Längsschnitt einen Vergleich, wie sich die amerikanischen Journalisten und damit wohl auch der amerikanische Journalismus verändert haben. Allein schon dieser Forschungsfortschritt ist vermeldenswert – auch wenn die Ergebnisse eher unspektakulär sein mögen, letztlich auf Auskünften und subjektiven Wahrnehmungen der Journalisten selbst beruhen und zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung fünf Jahre alt sind, weil die Daten bereits 2002 erhoben wurden.
Das statistische Profil des US-Journalisten ähnelt dem aus den vorangehenden Untersuchungen: Der amerikanische Durchschnittsjournalist ist noch immer weisser Hautfarbe, männlich und verheiratet. Aber er ist mit 41 fünf Jahre älter als noch zehn Jahre zuvor, und er verdient mit einem Jahreseinkommen von 43 600 Dollar – um die Inflationsrate bereinigt und nach heutiger Kaufkraft berechnet – um 7 200 Dollar weniger als sein Durchschnitts-Kollege vor 40 Jahren.
Das ist eine Entwicklung, die beunruhigen sollte. Misst man Journalistengehälter an den Einkünften der PR-Branche, die sich rasch professionalisiert, nimmt es nicht wunder, dass es den Nachwuchs verstärkt in die Öffentlichkeitsarbeit drängt. Von dort aus wird dann der Journalismus umso erfolgreicher „ferngesteuert“, je schlechter die Redaktionen personell bestückt sind. Auch die Zahl der hauptberuflichen Journalisten ist nämlich in Amerika geschrumpft, und zwar um fünf Prozent auf schätzungsweise 116 000 in den zuletzt untersuchten zehn Jahren.
Frauen haben im US-Journalismus längst erfolgreich Fuss gefasst, allerdings ihre Position in den letzten zehn Jahren kaum mehr ausbauen können. Stark unterrepräsentiert sind in den Redaktionen weiterhin Mütter. Auch die ethnischen „Minderheiten“ sind nach wie vor schlecht vertreten. Während sie dabei sind, in den USA zur Bevölkerungsmehrheit zu werden, sind sie in den Redaktionen derzeit nur mit einem Anteil von knapp zehn Prozent präsent – trotz langjähriger bemerkenswerter personalpolitischer Anstrengungen der Medienhäuser, dies zu ändern.
Im persönlichen Gespräch relativiert Weaver die Forschungsergebnisse zur Arbeitszufriedenheit: Unter den heutigen Bedingungen seien viele Journalisten froh, überhaupt einen Job in einer Redaktion zu haben. Inzwischen gebe es allerdings inzwischen auch Chefredakteure und Ressortleiter, die etwas von Personalführung verstünden und ihre Mitarbeiter motivierten. Per se interessant sei eben auch, dass offenbar eine „schweigende Mehrheit“ in den Redaktionen stolz auf ihre Arbeit sei, sich aber weniger lautstark artikuliere als dies die Kritiker des Journalismus tun.
Nach der Kooperationsbereitschaft der Redaktionen gefragt , wird der sonst eher kontrolliert und kühl wirkende Forscher leidenschaftlich. Die Medienunternehmen würden kaum Daten herausrücken – selbst Basis-Informationen, die nötig seien, um die Befragungs-Samples zu bilden, gälten als „top secret“. Auch in Amerika geben sich also Verlage und Sender, die tagtäglich von der Auskunftsbereitschaft anderer leben, besonders zugeknöpft, wenn Forscher etwas von ihnen wissen wollen.
David H. Weaver et al.: The American Journalist in the 21st Century.
U.S. Newspeople at the Dawn of the New Millennium, Mahwah, N.J.: Lawrence Erlbaum, 2007
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