Schweizer Online-Medien berichten vielfältig über den Krieg, vermitteln Hintergründe und setzen Bilder vorsichtig ein. Aber sie vernachlässigen indirekt betroffene Regionen und sind abhängig von externen Quellen.
Der Ukrainekrieg ist innerhalb kürzester Zeit das zweite Top-Thema, das die Medien in der Schweiz in den Bann zieht. Die Corona-Pandemie, im März 2020 zum absolut dominanten Thema geworden, wird seit Anfang 2022 nicht mehr so intensiv beachtet, auch weil die Schweizer Behörden im Januar ankündigten, dass Mitte Februar 2022 alle Maßnahmen aufgehoben werden. Seit die Ukraine im Februar 2022 von russischen Truppen invadiert wurde, dominiert der Krieg die Schlagzeilen. In den ersten Tagen nach der Invasion enthielten bis zu 45 Prozent aller Medienbeiträge in der Schweiz einen Bezug zum Ukrainekrieg. Die Beachtung nahm über die Zeit ab und pendelte sich im Mai 2022 bei 20 Prozent der Gesamtberichterstattung ein – nach wie vor ein sehr hoher Wert. Dies zeigen wir in unserer kürzlich veröffentlichten Studie zur Medienberichterstattung über den Ukrainekrieg. Wir wollten vor allem wissen: Wie berichten die Medien über dieses große und schwierige Thema?
Dazu haben wir uns 13 reichweitestarke Online-Medien aus der Deutschschweiz und der französischsprachigen Schweiz angeschaut und dabei mit manuellen und automatisierten Inhaltsanalysen gearbeitet.
Schweizer Medien stehen beim Ukrainekrieg, wie Medien in vielen anderen Ländern, vor großen Herausforderungen: Das Berichten direkt aus der Ukraine oder aus Russland ist gefährlich, Regierungen und Militärs haben Interesse, den Informationsfluss zu kontrollieren, eine Vielzahl von ungeprüften Bildern prägt die sozialen Medien und der Krieg wirkt sich auf eine große Vielzahl von Bereichen und auf verschiedene Länder aus, erhöht also die Komplexität des Konflikts. Wir sind davon ausgegangen, dass Medien bereits wegen ihrer Finanzierungsmodelle unterschiedlich strukturiert sind und unterschiedlich gute Chancen und Anreize haben, auf diese Herausforderungen zu reagieren. Deshalb haben wir drei Typen von Medien analysiert: erstens die Websites von Abonnementsmedien (z.B. Neue Zürcher Zeitung), die sich vor allem am Lesermarkt finanzieren, zweitens die Websites des öffentlichen Rundfunks (SRF und RTS) und drittens Online-Angebote, die sich in erster Linie über Werbung finanzieren, wie zum Beispiel das Boulevardmedium „Blick“ oder das kostenlose Pendler-Angebot „20 Minuten”, die mit Abstand reichweitenstärkste Online-Medienmarke in der Schweiz.
Hohe Themenvielfalt mit blinden Flecken
Wenn wir die Gesamtberichterstattung über den Krieg in der Ukraine betrachten, beobachten wir insgesamt eine hohe Themenvielfalt. Doch sie unterscheidet sich zwischen den Medientypen. In Boulevard- und Pendlermedien macht die aktualitätsbezogene Berichterstattung zum Kriegsgeschehen (39%) den größten Anteil aus. Dieser Anteil ist deutlich höher als auf den Websites der Abonnementsmedien oder des öffentlichen Rundfunks (jeweils 25%). In Abonnementsmedien (41%) und dem öffentlichen Rundfunk (42%) stehen hingegen die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des Krieges stärker im Zentrum als in Boulevard- und Pendlermedien (25%). Eine automatisierte Analyse zur geographischen Vielfalt der Kriegsberichterstattung zeigt neben der erklärbaren Konzentration auf die Kriegsparteien Ukraine (20%) und Russland (13%) auch eine Konzentration auf einige wenige Länder des Westens (v.a. USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich, aber auch die Schweiz). Andere, indirekt betroffene Regionen des globalen Südens, die vor einer drohenden Hungersnot stehen, sind kaum sichtbar. Insofern spiegeln sich in dieser eingeschränkten geografischen Vielfalt bekannte Nachrichtenwerte und generelle Problemfelder der Auslandsberichterstattung wider.
Einordnungsleistungen überdurchschnittlich hoch
Untersucht wurde auch, inwiefern Medien Hintergrundinformationen zum Ukrainekrieg liefern. Dabei zeigt sich, dass die analysierten Online-Medien insgesamt einen relativ hohen Anteil an einordnenden Beiträgen aufweisen (25%). Dieser ist deutlich höher als bei der themenunabhängigen Gesamtberichterstattung im Jahr 2021 (14%). Einen besonders hohen Beitrag zur Einordnung liefern die Abonnementsmedien (41%), deren Einordnungsleistung im Vergleich zur Gesamtberichterstattung 17 Prozentpunkte höher ist. Aber auch Boulevard- und Pendlermedien vermitteln mehr Hintergründe beim Thema Ukrainekrieg (11% gegenüber 7% bei der Gesamtberichterstattung).
Vorsichtiger Umgang mit Bildern
Bilder nehmen eine zentrale Funktion in der Darstellung von Krieg in den Medien ein. 95% der untersuchten Artikel, in denen das Kriegshandeln im Zentrum steht, sind bebildert. Die Bilder decken ein breites Spektrum ab, von Waffen über prominente Politiker (allen voran Wolodymyr Selesnkyj und Vladimir Putin) bis zu Zivilist:innen. Das Grauen des Krieges wird auch vermittelt, steht aber nicht im Zentrum: 4 Prozent der Kriegsberichterstattung zeigen Bilder von Verletzten oder Toten. Aus medienethischer Perspektive lässt sich feststellen, dass die Medien bei solchen Bildern zurückhaltend vorgehen. Alle Darstellungen von Toten sind anonymisiert, das heißt die Gesichter sind nicht zu sehen oder sind verpixelt bzw. die Körper sind abdeckt oder ebenfalls verpixelt.
Hohe Abhängigkeit von Nachrichtenagenturen und externen Quellen
Neben diesen tendenziell positiven Leistungen werden aber auch einige Probleme sichtbar. Manche Medientypen sind zum Teil sehr abhängig von einigen wenigen Nachrichtenagenturen oder von externen Quellen. Die Auslandsberichterstattung zum Ukrainekrieg von Boulevard- und Pendlermedien beruht zu 62 Prozent auf Agenturbeiträgen (Abonnementsmedien: 10%, öffentlicher Rundfunk: 32%). Diese Medien haben in der Regel auch kein eigenes Korrespondent:innen-Netzwerk, anders als Abonnementsmedien und der öffentliche Rundfunk, deren Beiträge zu 32 bzw. 18 Prozent von Auslandskorrespondent:innen stammen. Auch beim Ukraine-Krieg zeigt sich also, welche Medien überhaupt in eine Auslandsberichterstattung investieren.
Neben Nachrichtenagenturen sind journalistische Medien (23%) und Social Media (16%) – allen voran Twitter – zentrale externe Quellen für Beiträge. Wir beobachten, dass Boulevard- und Pendlermedien sich öfter auf solche Quellen stützen als die anderen Medientypen. Ein Indiz dafür, dass es bei Boulevard- und Pendlermedien stärker Praxis ist, das Netz auf mögliche verlässliche Quellen zu durchsuchen.
Wichtig bei allen Medientypen sind aber in erster Linie staatlich-militärische Quellen, die im Durchschnitt in 31 Prozent der Beiträge verwendet werden – ukrainische Quellen dabei einiges häufiger als russische Quellen. Wiederum ist es so, dass staatlich-militärische Quellen bei Boulevard- und Pendlermedien häufiger vorkommen (38%) als beim öffentlichen Rundfunk (27%) und bei Abonnementsmedien (21%). Auch sind sie generell in Agenturbeiträgen (63%) sichtbarer als in redaktionellen Beiträgen (32%). Gerade durch die Abhängigkeit von solchen externen Quellen besteht das Risiko, dass Narrative von Kriegsparteien unkritisch übernommen werden. Entsprechend haben Nachrichtenagenturen wie AFP und dpa sowie die Medien, die häufig solche offiziellen Quellen verwenden, eine besonders hohe Verantwortung, die Aussagen von diesen Quellen kritisch zu prüfen und einzuordnen.
Zur Studie:
Udris, L., Vogler, D., Eisenegger, M., Siegen, D., Weston, M., Schäfer, S. (2022): Die Qualität der Berichterstattung über den Ukrainekrieg. Jahrbuch Qualität der Medien. https://www.foeg.uzh.ch/dam/jcr:2491421c-950c-452e-9485-9ea8e27dfcd3/JB_2022_Ukraine-Studie_final.pdf
Diese Studie ist Teil des Jahrbuchs Qualität der Medien, das im Herbst 2022 erscheint. Sie kann hier heruntergeladen werden.
Bildquelle: Pixabay
Schlagwörter:Auslandsberichterstattung, Qualität im Journalismus, Schweiz, Ukrainekrieg