Der unheilige Sonntag

5. Januar 2017 • Redaktion & Ökonomie, Redaktionsmanagement • von

Lange waren die Schweizer Sonntagsblätter die Oasen in der Wüste des Lesens. Nun trocknen die Oasen aus.

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In der Schweiz ist der Sonntag kein heiliger Lesetag mehr.

Im Februar 1997 zog sich SP-Präsident Peter Bodenmann aus der Politik zurück. Er tat es auf effektvolle Weise.

Der Politiker kündete seinen Abgang via Sonntagszeitung an. „Peter Bodenmann: Rücktritt als SP-Präsident und Nationalrat“, titelte das Blatt.

Natürlich war das sorgfältig inszeniert. Bodenmann verlangte für seine Story einen vierspaltigen Aufmacher auf der Frontseite und ein dreiseitiges Interview im Blatt. Das bekam er. Dazu bekam er einen Jubel-Kommentar, laut dem er seine Partei „von Erfolg zu Erfolg führte“.

Das Konzept ging für beide Seiten auf. Einen „Knalleffekt in eigener Sache“, registrierte nächstentags die NZZ.

Bodenmanns Sonntags-Strategie war zwanzig Jahre lang der Standard in der Aufmerksamkeits-Ökonomie. Zwanzig Jahre lang waren die Sonntagszeitungen die erfolgreichsten und die lautesten Lautsprecher im Mediengeschäft.

Der Sonntag war der Tag der Verkündigung. Wenn Micheline Calmy-Rey eine diplomatische Offensive anpries, Christoph Blocher einen Asylvorstoss plakatierte oder Nicolas Hayek eine Produktidee lancierte, dann taten sie das mit Vorliebe im Erfolgsmodell Sonntagspresse.

Nun hat der Trend gedreht. Mit der Schweiz am Sonntag verschwindet im zehnten Jahr ihres Erscheinens erstmals seit langem ein Sonntagstitel.

Der Trend hat sehr gedreht. Allein in den letzten drei Jahren haben die neun Sonntagsblätter der Schweiz zusammen 600 000 Leser verloren. Das ist ein deutlich stärkerer Einbruch als bei den Tageszeitungen. Der Sonntag hat seinen Nimbus als Sonderfall der Zeitungsgeologie verloren.

Nur zwei Titel, die Sonntagszeitung und die NZZ am Sonntag, sind echt profitabel. Beide verdienen um die zehn Millionen im Jahr. Sie machen damit mehr Geld als ihre Mütter Tages-Anzeiger und NZZ. Bei der Sonntagszeitung allerdings lag früher der Gewinn bei gegen dreißig Millionen.

Die Schweiz hat, anders als Großbritannien oder Deutschland, keine Sonntagszeitungs-Tradition. Erst 1969 entstand das Sonntagsjournal, bei dem Friedrich Dürrenmatt Co-Herausgeber war. Das Blatt überlebte nur drei Jahre. Ebenfalls 1969 startete der Sonntagsblick. Er erreichte recht schnell eine Auflage von 350 000 Stück. Inzwischen ist es nicht einmal mehr die Hälfte davon.

1987 folgte die Sonntagszeitung. Richtig Fahrt kam allerdings erst fünfzehn Jahre später in den Markt, als die NZZ-Gruppe und die AZ Medien ihre Sonntagstitel lancierten. Auf einmal galt nun der Sonntag als Göttertag des Leseverhaltens. Er war die zeitgeistige Oase, in der noch Gedrucktes genossen und nicht nur Digitales geklickt wurde.

Von dieser Euphorie profitierten die Redaktionen. Jeder Informant und jeder Denunziant, der eine Story krachend platzieren wollte, ging zu einem Sonntagstitel. Die meisten Knaller, genauso wie die meisten Knallerbsen, explodierten darum am Tag des Herrn. Thomas Borer, Carlo Jagmetti, Thomas Matter, Peter Regli, Oswald Grübel, Marko Turina, Peter Aliesch, Roland Nef: Zu etwa fünfzig Prozent waren die Knaller am Sonntag zutreffend, zu etwa fünfzig Prozent falsch.

Dann holte die Realität die Sonntags-Illusion ein. Die Realität hieß Smartphone. Nun war der Zugriff auf die Information jederzeit und überall möglich. Das zerstörte die Idylle vom heiligen Lesetag und verwandelte den besonderen Sonntagmorgen schnell in einen gewöhnlichen Dienstagnachmittag.

Noch ums Jahr 2010 kamen die Sonntagsblätter gemeinsam auf über 3,5 Millionen Leser. Heute ist es schon eine Million weniger. Der Sonntag hat seinen Heiligenschein verloren.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 22. Dezember 2016

Bildquelle: pixabay.com

 

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