PR als Gegenreaktion

10. Juni 2008 • PR & Marketing • von

23. Mai 2008, Neue Zürcher Zeitung

Schlechter Journalismus gab den Anstoss
Nirgendwo auf der Welt hat die Medienforschung das Verhältnis von Journalismus und Public Relations so intensiv ausgeleuchtet wie im deutschsprachigen Raum.

Im Anschluss an die Pionierleistungen von Barbara Baerns und René Grossenbacher widmeten sich seit Mitte der achtziger Jahre zahlreiche Arbeiten der Machtfrage, wer wen dominiere – ob PR den Journalismus fernsteuere oder umgekehrt letztlich die Journalisten mit ihren Nachrichtenfaktoren bestimmten, welche Pressemitteilung die Öffentlichkeit erreicht und welche im Papierkorb landet.

Erstaunlicherweise machte sich in dieser Kontroverse bisher offenbar niemand die Mühe, gründlicher historisch der Entstehung von PR nachzuspüren. Philomen Schönhagen, die an der Universität Freiburg i. Ü. lehrt, hat dies jetzt nachgeholt. In der «Publizistik» (53. Jg., Heft 1, 2008, S. 9–24) arbeitet sie mit zahlreichen beeindruckenden Quellenverweisen heraus, dass PR in erster Linie als Gegenreaktion auf (Fehl-)Entwicklungen der Presse gewertet werden muss. Vor allem «Unzufriedenheit über fehlende bzw. aus der Sicht der Betroffenen verfälschte Berichterstattung, die mit der Parteilichkeit der Medien und des Journalismus in Zusammenhang gebracht wird», habe zu systematischer Pressearbeit geführt.

Mit der Legende, dass PR «ein amerikanischer Import nach 1945» gewesen seien, hatten bereits vor Schönhagen andere Forscher aufgeräumt. Bisher wurde meist auf die Institutionalisierung von Öffentlichkeitsarbeit in deutschen Kommunalverwaltungen und Unternehmen wie etwa Krupp Ende des 19. Jahrhunderts verwiesen. Schönhagen zeigt, dass wichtige Impulse auch von den Kirchen ausgingen. So habe der evangelische Theologe Johann Hinrich Wichern bereits 1832 gezielt Pressearbeit eingesetzt, um für ein Projekt zur Resozialisierung von verwahrlosten Jugendlichen Spenden einzuwerben. Die Generalversammlung der katholischen Vereine in Trier liess 1865 ein Correspondenzbüro «lithographierte Berichte an die grossen Blätter verschicken», um einseitiger, fehlerhafter Berichterstattung entgegenzuwirken. Auch die Schweizer Firma Maggi habe bereits 1886 ein «Reclame- und Pressebüro» eingerichtet und noch vor dem Ersten Weltkrieg einer Pressekampagne getrotzt. Vom Bund Deutscher Frauenvereine seien ebenfalls Impulse ausgegangen, als dieser 1912 eine Pressezentrale gegründet habe.

Schönhagen erinnert an den Münchner Zeitungswissenschafter Hans Wagner, der in PR «Prozesse der Gegenrationalisierung» im Blick auf die «journalistische Kommunikationsvermittlung» sieht. Auf den Punkt gebracht, heisst das wohl: Wäre der Journalismus so fair, so ausgewogen, so «objektiv», wie er an Journalistenschulen und Universitäten gelehrt wird, wäre Öffentlichkeitsarbeit überflüssig.

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