Eine Art Marshallplan

9. Juli 2009 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: Die Zeit,  Nr. 29

Fünf Modelle, wie die Zeitungsbranche gerettet werden kann. Newspaper Death Watch, zu Deutsch »Totenwache Zeitung«, so heißt ein Blog aus den USA, der unter Medienleuten ebenso häufig besucht wird, wie er gefürchtet ist: Ende Juni wurden hier elf Tageszeitungen in Ballungsgebieten aufgelistet, die seit Bestehen des Angebots im März 2007 geschlossen wurden.

Verschwindet das gedruckte Wort? Es gibt zumindest Strategien, die die Zeitungsbranche retten könnten. Foto: dreamer 7112, www.flickr.com

Außerdem führt die Website zwölf weitere Blätter auf, darunter auch den renommierten Christian Science Monitor, die ihren Vertrieb auf sogenannte Online-Print-Hybride oder Online-Only-Modelle umgestellt haben und seither nicht mehr täglich, sondern nur zwei- bis dreimal wöchentlich oder eben ausschließlich im Netz erscheinen. Betreiber von Newspaper Death Watch ist ein ehemaliger Printjournalist namens Paul Gillian, der in seinem Internetprofil glaubhaft versichert, er sei ein leidenschaftlicher »newspaper junkie«. Selbst wenn der Titel seines Blogs das nahelege, berausche er sich keinesfalls am Siechtum der Presse. Eher im Gegenteil: Gillian sorgt sich darum, wie sich Zeitungen unter dem Diktum der Medienkrise wandeln – und damit auch die Identität des Journalistenberufs.

Auch hierzulande häufen sich die Vorboten eines baldigen Verschwindens des gedruckten Wortes. Selbst überzeugte Zeitungspioniere und saturierte Großverlage blicken inzwischen eher ängstlich auf den nordamerikanischen Kontinent, der so oft Trendsetter für europäische Märkte war. Schon wird in den USA über einen Newspaper Revitalization Act nachgedacht, unlängst vorgestellt von Benjamin L. Cardin, einem demokratischen Senator aus Maryland. Das von ihm erdachte »Zeitungswiederbelebungsgesetz«, eine Art Marshallplan zur Rettung der US-Presse, gründet auf der Annahme, dass das klassische Geschäftsmodell für Zeitungen – also Vertriebs- und Werbeerlöse – überholt sei. Um trotzdem überlebensfähig zu bleiben, so der Senator, sollten Zeitungsverlage künftig wie Bildungsträger wirtschaften können: Indem sie den Status von Non-Profit-Organisationen erhielten, müssten sie ihre Anzeigen- und Abonnementsumsätze nicht mehr versteuern. Spenden für die Berichterstattung wären laut Gesetzesentwurf leichter von der Steuer absetzbar. Ein verwegener Plan – aber nicht so abwegig, wie er zunächst klingt.

Was Politiker wie Cardin, aber auch Exjournalisten wie Gillian besorgt stimmt, ist die bedrohte Meinungsvielfalt ihres Landes – etwa wenn sich One-Paper-Citys wie San Francisco, mit 825000 Einwohnern eine der größten Metropolen der US-Westküste, allmählich zu No-Paper-Citys entwickeln und vermutlich schon bald ohne regionale Tageszeitung auskommen müssen. Die Opfer sind derzeit vor allem traditionsreiche Regionalblätter aus Ohio, Colorado und Arizona – die Cincinnati Post (gegründet 1881), die Rocky Mountain News (1859) oder der Tucson Citizen (1870) wurden bereits eingestellt, weil sie mit Journalismus kein Geld mehr verdienen konnten. Und selbst mächtige Prestige-Blätter wie die New York Times, die L.A. Times oder die Washington Post geraten ins Schlingern, weil ihre Auflagen seit Monaten im Sinkflug sind. Zu allem Unheil sind die Zahlen gegen Ende des ersten Quartals 2009 erneut eingebrochen: Auflagen minus 7 Prozent, Anzeigenerlöse satte minus 25,5 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Die deutsche Presselandschaft ist von ihrer Vertriebsstruktur und den Lesegewohnheiten her mit den US-Märkten nicht direkt vergleichbar, doch derlei Endzeitszenarien werden bald Rückkopplungseffekte auf den hiesigen Zeitungsmarkt haben. Entsprechende Eilmeldungen rütteln die Branche auf. Verlagshäuser mit respektablen Gewinnen wie die WAZ-Gruppe, Gruner + Jahr oder der Süddeutsche Verlag schrecken vor redaktionellen Schlankheitskuren nicht mehr zurück – auch in Deutschland, so die Prognosen, werde der Werbemarkt noch dieses Jahr um einige Prozentpunkte schrumpfen.

Ein mögliches Ende der gedruckten Presse wirft indessen die Frage auf, ob es in Zukunft noch professionellen Journalismus geben kann, der bis vor Kurzem locker aus Anzeigen- und Vertriebserlösen finanziert werden konnte. Denn seit es die Gratiskultur im Internet gibt, sind die Nutzer immer weniger bereit, für publizistische Erzeugnisse ihr Portemonnaie zu öffnen – alle Bezahlexperimente im Netz scheiterten bisher. Und spätestens seit der Sozialphilosoph Jürgen Habermas vor zwei Jahren beklagte, dass sich »keine Demokratie ein Marktversagen auf diesem Sektor leisten« könne, ist eine hitzige Debatte darüber entbrannt, ob und wie der Geist der gedruckten Presse konserviert werden solle. Aktuell werden fünf unterschiedliche Szenarien diskutiert:

1. Die privatwirtschaftliche Lösung: Mäzenatentum

Immer lauter wird über privates Kapital nachgedacht, das reiche Mitbürger und Unternehmer stiften sollen. Solche Stiftungsmodelle setzen zwar einen bürokratischen Hürdenlauf und Millioneninvestitionen voraus, und neu sind sie auch nicht gerade. Aber sie bekommen in Krisenzeiten neue Relevanz: So verteidigt die Fazit-Stiftung seit Jahrzehnten die finanzielle und redaktionelle Unabhängigkeit der Frankfurter Allgemeinen , in Großbritannien wähnt sich der Guardian in der sicheren Obhut des gemeinnützigen Scott Trust, und in den USA braucht die St. Petersburg Times durch den Schutz der mächtigen Poynter Stiftung die empfindlichen Schwingungen der Wall Street nicht zu fürchten. In Amerika hat die Medienkrise daher einen wahren Stiftungsboom im Journalismus ausgelöst: Kurzerhand entschloss sich das reiche Bankerehepaar Herbert und Marion Sandler, mit seiner Stiftung auch dem Journalismus Gutes zu tun. Zehn Millionen Dollar spendet es jährlich an das unabhängige Redaktionsbüro ProPublica (www.propublica.org ), das Anfang 2008 mit 27 Topreportern gestartet ist. »The Atlantic Philanthropies« ließen sich kürzlich sogar von der Blog-Pionierin Arianna Huffington (Huffington Post) überzeugen, einen Unterstützungsfonds – den sogenannten HuffFund – über 1,75 Millionen Dollar einzurichten, um das Jahreseinkommen von zehn Reportern zu sichern, die investigativen Qualitätsjournalismus betreiben.

2. Die medienpolitische Lösung: Öffentlich-rechtliche Gebühren

Geradewegs in die Domäne des Rundfunks zielt die medienpolitische Lösung eines öffentlich-rechtlichen Pressefonds. Auch wenn diese Alternative für die meisten Verleger ein rotes Tuch ist: Statt weiterhin mit ARD und ZDF über Kreuz zu liegen, würde man so den Zeitungen ein garantiertes Stück des Gebührenkuchens abgeben, der mit über sieben Milliarden Euro langfristig Sorgenfreiheit garantiert. Vor allem das BBC-Modell macht Eindruck auf Medienexperten weltweit – obwohl die Gebührenfinanzierung häufig zur Glaubensfrage wird: Verlagsvertreter verweisen auf die privatwirtschaftliche Verfasstheit der Presse und verbinden das Gebührenmodell mit Horrorvisionen staatlicher Einflussnahme.

Doch gerade in der Krise zeigt sich, wie anfällig unter Umständen ein liberales Marktmodell ist. Dass auf die Zuspitzung der Wirtschaftslage eine zunehmende Amalgambildung aus Redaktionellem und Anzeigen folgt, wie zuletzt bei der nicht gekennzeichneten Toyota-Anzeige in Form der »Hausmitteilung« im Spiegel, wird als Kavaliersdelikt betrachtet – doch wird dadurch gerade jene journalistische Integrität im Kern bedroht, die nach außen hin verteidigt werden soll. Da erscheint eine Gebühr, die in einen öffentlich-rechtlichen »Nationalfonds für Qualitätsjournalismus« fließt und deren Bedarf von einer Kommission wie derjenigen zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) festgelegt werden müsste, für die innere Pressefreiheit mitnichten bedrohlicher. Wenn die knapp 40 Millionen Gebührenzahler dazu verdonnert würden, nur zwei Euro pro TV-Haushalt monatlich zusätzlich aufzuwenden, wäre eine knappe Milliarde für die klammen Zeitungen im Topf.

3. Die wirtschaftspolitische Lösung: »Kultur-Flatrate«

Eine sozialverträglichere Lösung steckt hinter der Strategie einer gesetzlich geregelten Zugangsgebühr, die jeweils von allen Internetprovidern und Kabelnetzbetreibern pauschal entrichtet werden und idealerweise von einem branchenübergreifenden Konsortium, das beide Wirtschaftszweige vereint, verteilt werden müsste. Diese »Kopfpauschale« auf Internetanschlüsse, die derzeit vor allem von den Grünen unter dem Stichwort »Kultur-Flatrate« propagiert wird, um Urheberrechtsvergütungen für das digitale Kopieren von Inhalten pauschal abzugelten, müsste um den publizistischen Förderaspekt zum Erhalt der Presse erweitert werden. Während die Zugangsanbieter, die den Nutzern per Soft- oder Hardware den Weg ins Internet ebnen, jeden ihrer Kunden mit einer monatlichen Zusatzgebühr in Höhe von wenigen Cent zur Kasse bitten könnten, müssten Suchmaschinenportale wie Google News die Zeitungsverlage prozentual an ihren Werbeumsätzen beteiligen, um deren Texte und Bilder uneingeschränkt verlinken und aufrufen zu können. Kino- und Musiksektor machen seit Langem vor, dass dieses Modell praxistauglich ist. Um eine möglichst gerechte Erhebung und Verteilung der digitalen Kulturgebühren auf die Zeitungsverlage zu erreichen, könnten Verwertungsgesellschaften wie Gema und VG Wort Richtwerte der Onlinenutzung ermitteln.

4. Die zivilgesellschaftliche Lösung: Volksaktien

An wohl keinem Finanzierungsmodell zeigt sich die Unentschlossenheit der Zeitungsindustrie so deutlich wie an den Versuchen, den Leser höchstselbst an den Kosten für Qualität zu beteiligen. Galt die Strategie, gegen geringe Einzelgebühren Artikel aus dem Archiv zum Downloaden anzubieten oder kostenpflichtige Abonnements einzurichten, längst als gescheitert, sind neuerdings »Micropayments« in aller Munde. Doch sosehr sich die Verlagsmanager an integrierte Zahlungssysteme klammern, erscheinen Appelle an die Solidarität der Leser als aussichtsreicher; sogar Beteiligungen der Leserschaft in Form von Volksaktien werden ernsthaft diskutiert. Im kleinen Maßstab funktioniert dieses Modell bereits seit 1992 bei der taz. Eine radikalere Form der Leserbindung fordert eine Website aus San Francisco: Der Name Spot.Us (www.spot.us ) ist hier Programm – nach dem Prinzip »Rent-a-Journalist« können zahlende Nutzer für geringe Beträge um die 20 Dollar zielgerichtet einzelne Reporter anheuern, damit diese Missstände im sozialen Umfeld der Leser recherchieren und publik machen. Der Reporter zieht erst los, wenn ein bestimmtes Honorar für die geplante Story gespendet wurde. Angesagt waren bisher kommunale Reizthemen wie Müllentsorgung oder marode Straßen. Das ursprüngliche Abonnementmodell findet hier also seine Entsprechung auf der Mikroebene: Der Leser investiert nicht mehr in teures Papier und Vertriebswege, sondern das Geld fließt direkt in die journalistische Arbeit.

5. Die bildungspolitische Lösung: Öffentliche Einrichtungen

Das im Vergleich mit den anderen Lösungen etwas abgespeckte, aber nicht minder attraktive Modell fußt auf der korporativen Vernetzung bereits bestehender öffentlicher Einrichtungen und Thinktanks. Ohnehin schon größtenteils aus Steuergeldern finanziert, verspräche eine Einbindung von Universitäten, Fachhochschulen, Medienakademien, Kirchen, Bildungsträgern und gemeinnützigen Initiativen nicht nur die nötige Kontinuität einer grundständigen Presseförderung: Eine mit üppigeren Finanzmitteln ausgestattete und vom Innenministerium stärker entkoppelte Bundeszentrale für politische Bildung beispielsweise wäre aufgrund ihrer ideellen Leitziele als Clearingstelle zur Sicherung des Qualitätsjournalismus prädestiniert. Voraussetzung wäre, den Erhalt des Zeitungsjournalismus als bildungspolitische Aufgabe für eine funktionierende demokratische Grundordnung zu begreifen. Noch radikaler wäre es, Zeitungsverlagen den Status einer Bildungseinrichtung zuzuerkennen, damit diese weitgehend steuerbefreit arbeiten können. Solche indirekten staatlichen Förderpakete für Zeitungen könnten eine bessere Lösung sein, als diese über Jahrzehnte nach dem Gießkannenprinzip mit einer Art Medien-Abwrackprämie zu bezuschussen, wie es sich in Frankreich abzeichnet.

Wenn sich die Lage für die deutsche Qualitätspresse weiter zuspitzt, ist eine Debatte über solche Strategien und »dritte Wege« notwendig – unter Teilhabe einer breiten Öffentlichkeit. Dafür sollte auch scheinbar Selbstverständliches wie das bisherige Geschäftsmodell der gedruckten Presse grundsätzlich hinterfragt werden. Im Rekurs auf Habermas ließe sich argumentieren, dass Artikel 5 des Grundgesetzes die Politik verpflichtet, eine vielfältige, freie Presse zu erhalten. Doch welches Modell man auch immer favorisieren mag: Die Schwierigkeit wird sein, die Unabhängigkeit, Vielfalt und Überparteilichkeit der Presse zu erhalten. Die derzeitige Krise des klassischen Abo- und Vertriebsmodells der Papierzeitung macht deutlich, dass der Pressemarkt diese Werte nicht mehr lange aufrechterhalten kann. Aber ein Marktversagen in diesem Sektor kann sich – um es mit Habermas zu sagen – »keine Demokratie leisten«.

* Von Stephan Weichert und Leif Kramp sind jüngst auch das Gutachten »Das Verschwinden der Zeitung? Internationale Trends und medienpolitische Problemfelder« (Friedrich-Ebert-Stiftung) sowie der mit Hans-Jürgen Jakobs herausgegebene Band »Wozu noch Zeitungen?« (Vandenhoeck & Ruprecht) erschienen

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