Wie oppositionelle Journalisten und Weblogger in Iran informieren, diskutieren und die Zensur umgehen – und damit ihr Leben riskieren.
Welchen Einfluss hat das Internet auf die öffentliche Meinungsbildung in Iran? Eine brisante Frage vor dem Hintergrund, dass jegliche freie Meinungsäußerung in Iran unterdrückt wird und die Medien fest in der konservativ-geistlichen Hand des Staates sind. Samira Kügler vom Institut für Journalistik der TU Dortmund hat in ihrer Diplomarbeit dieser Frage nachgespürt. Die Autorin hat acht oppositionell orientierte iranische Journalisten und Weblogger, von denen drei im Exil leben, anonym befragt.
Lange im Voraus geplant, fielen die Interviews zufälligerweise in den Zeitraum der heftigsten Ausschreitungen seit 30 Jahren in Iran – in die Zeit nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni 2009: Massendemonstrationen gegen eine offensichtlich manipulierte Wahl waren genauso an der Tagesordnung wie die blutige Niederschlagung der Proteste durch Regierungstruppen und die Verhaftung Hunderter Oppositioneller, darunter viele Weblogger und Journalisten.Im Folgenden fasst die Autorin ihre Ergebnisse zusammen.
Oppositioneller, regierungskritischer Journalismus und freie Meinungsäußerung sind in Iran ohne das Internet nicht mehr denkbar: Zum einen nutzen die befragten Journalisten das World Wide Web als Hauptrecherchequelle. Hier finden sie Informationen, die es so in keinem anderen Medium gibt, da Rundfunk und Presselandschaft staatlich kontrolliert und zensiert werden. Zum anderen ist das Internet für die Journalisten im Untergrund die wichtigste Veröffentlichungsplattform. Ihre regierungskritischen Berichte, die in den offiziellen Medien keine Publikationschance hätten, finden sich auf zahlreichen Internetseiten, die sich an Iraner im In- und Ausland richten. Drittens gewinnt das Internet auch als Forum zum freien Austausch mit ihren Kollegen im In- und Ausland sowie mit ihren Rezipienten weiter an Bedeutung.
Zwar verfügt die Regierung über eines der umfangreichsten Internetfilter-Systeme der Welt, mit welchem sie der iranischen Bevölkerung viele Informationen vorenthält. Die befragten Journalisten kennen allerdings zahlreiche technische Tricks, mit denen sie die zensierten Inhalte dennoch abrufen und einer größeren Gruppe von Interessierten zugänglich machen können. Damit stellen die regierungskritischen Online-Journalisten einen wichtigen Teil der iranischen Gegenöffentlichkeit dar. Sie bereichern durch ihre Arbeit den öffentlichen Meinungsbildungsprozess – zumindest in dem Teil der Bevölkerung, der Zugang zum Internet hat, und das sind inzwischen etwa 35 Prozent der Iraner.
Auch viele Iraner mit Internetzugang, die keine Journalisten sind, nutzen die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung im Internet – zumal es die Option gibt, anonym zu schreiben. Daher wird in unzähligen iranischen Weblogs so frei wie an keinem anderen Ort diskutiert – ob über banale Alltagssituationen, über verbotene Musik und Filme aus demokratisch-liberalen Staaten oder über innen- und außenpolitische Themen des eigenen Landes.
Während in der realen Öffentlichkeit der Zivilgesellschaft die Spielräume immer weiter eingeschränkt wurden, verlagern sich kritische Aktivitäten zunehmend ins Internet. So vernetzen sich etwa Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen über das World Wide Web, diskutieren miteinander und organisieren ihre politischen Aktionen. All diese Komponenten bilden in Iran eine Art ‚Cyber-Gegenöffentlichkeit’, die dazu beitragen könnte, das Land in eine offenere, westlicher orientierte Gesellschaft mit einer pluralistischen Informations- und Kommunikationsstruktur zu führen.
Allerdings versuchen die iranischen Machthaber mit allen Mitteln, die Potenziale des Internets einzuschränken und die Entwicklung hin zu mehr Meinungs- und Informationsfreiheit zu behindern. Dies wurde im Rahmen der Präsidentschaftswahlen und der damit verbundenen massiven Einschränkung der freien Meinungsäußerung besonders deutlich: Tausende Webseiten wurden gesperrt, gefiltert und zensiert. Hunderte Blogger sowie über das Internet organisierte Oppositionspolitiker und regierungskritische Online-Journalisten wurden verhaftet, gefoltert, bedroht und sogar getötet. Kritische Texte zu schreiben, bedeutete auch für die befragten Journalisten, ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen.
Die Unsicherheit unter ihnen und die Vorsicht bei der Formulierung ihrer Artikel war im Wahljahr wieder größer als in den Jahren zuvor. Die Selbstzensur verstärkte sich auch im Internet und selbst die mutigsten Journalisten schrieben kritische Artikel unter Pseudonymen. Einige brisante Themen, über die vor einigen Monaten noch berichtet werden konnte – wie Religion – waren plötzlich wieder Tabu. Weder die Internet-basierte Kommunikation mit dem Ausland, noch jene innerhalb Irans war im Sommer 2009 so frei möglich wie zuvor – und dennoch war sie freier als in der realen Öffentlichkeit. Weil sich Beiträge im Internet anonym veröffentlichen lassen, wurde dort stets offener berichtet und diskutiert als in der realen Öffentlichkeit.
Es fanden und finden sich weiterhin Informationen, die der Bevölkerung in den staatlichen Medien vorenthalten wurden, und viele Journalisten und Blogger ließen sich ihre kritischen Stimmen trotz aller Drohungen nicht nehmen. Dennoch: Permanent damit konfrontiert zu werden, wie Kollegen verhaftet und gefoltert werden, hat viele kritische Online-Journalisten oder Blogger entmutigt und desillusioniert. Die erste Euphorie, das Internet als Chance für die Informations- und Meinungsfreiheit in Iran zu nutzen, hat sich relativiert.
Doch trotz aller Einschränkungen erfüllt das Internet weiterhin wichtige Funktionen in Iran, die für die öffentliche Meinungsbildung relevant sind: Neben dem offiziell verbotenen Satellitenfernsehen ist das Internet das einzige Medium, in dem es zumindest ansatzweise unabhängige Informationen gibt. Zweitens ist es für die Kommunikation zwischen Regierungskritikern, oppositionellen Journalisten, Aktivisten, aber auch für Privatpersonen innerhalb Irans sowie mit dem Ausland unerlässlich. Drittens bleibt es eine der letzten verbliebenen Möglichkeiten für gesellschaftliche Akteure, ihre Ansichten zu publizieren – auch wenn dies immer gefährlicher für sie wird.
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